Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

2. Der Staat -- Die Nichtbürger -- Die Clientel. §. 16.
war ein sehr wirksames Mittel, den Clienten an der Aufrecht-
haltung des Verhältnisses zu interessiren und mochte als solches
in allgemeinen Gebrauch kommen 137) und die uns von Diony-
sius bezeugte Thatsache bewirken, daß das Verhältniß von bei-
den Seiten von einer Generation auf die andere überging. Zur
Erklärung dieser Erscheinung braucht man nicht mit Niebuhr
im Widerspruch mit Dionysius zu der Annahme zu greifen, daß
jenes Verhältniß von Seiten des Clienten unauflösbar gewe-
sen; das beiderseitige Interesse, die Macht der Gewohnheit,
die untergeordnete Stellung des Clienten u. s. w. konnten auch
ohne diese Voraussetzung dasselbe Resultat herbeiführen.

Auffallend ist das Schweigen der lateinischen Sprache über
die vermögensrechtliche Seite jenes Verhältnisses; es wird uns
kein Ausdruck für jene Landverleihung an den Clienten berichtet,
kein Ausdruck für das Clienten-Vermögen, ungeachtet dasselbe
doch von den "bonis" eines römischen pater familias, dem "pa-
trimonium,"
der "familia" (dem Hausstand desselben, Perso-
nen und Sachen gleichmäßig umfassend) sich rechtlich so sehr un-
terschied. Auffallend nenne ich dies Schweigen, weil wichtige
Unterschiede, die im Leben selbst in auffälliger Weise hervortre-
ten, auch in der Sprache sich abzuspiegeln pflegen. Die lateini-
sche Sprache muß Ausdrücke für jene Verhältnisse gehabt haben;
sind dieselben mit letztern selbst untergegangen, oder sollten sie
vielleicht mit veränderter Bedeutung in der neuern lateinischen
Sprache noch fortexistiren? Ich nehme letzteres an und erblicke
im precarium 138) und peculium zwei Ausdrücke und Institute,

buhr bei Gelegenheit der Clientel erinnert (röm. Gesch. B. 1 S. 342), und
das sein rechtliches Fundament nicht in der Schutzlosigkeit des Vasallen, son-
dern in dem ihm verliehenen Lehn hatte.
137) Darauf zielt wohl die oft benutzte Stelle von Festus: Patres se-
natores ideo appellati sunt, quia agrorum partes attribuebant tenuiori-
bus perinde ac liberis propriis.
Die letzten Worte drücken das
Verhältniß treffender aus, als es auf den ersten Blick scheint.
138) Savigny Recht des Besitzes §. 42 hat bereits eine ähnliche Ansicht

2. Der Staat — Die Nichtbürger — Die Clientel. §. 16.
war ein ſehr wirkſames Mittel, den Clienten an der Aufrecht-
haltung des Verhältniſſes zu intereſſiren und mochte als ſolches
in allgemeinen Gebrauch kommen 137) und die uns von Diony-
ſius bezeugte Thatſache bewirken, daß das Verhältniß von bei-
den Seiten von einer Generation auf die andere überging. Zur
Erklärung dieſer Erſcheinung braucht man nicht mit Niebuhr
im Widerſpruch mit Dionyſius zu der Annahme zu greifen, daß
jenes Verhältniß von Seiten des Clienten unauflösbar gewe-
ſen; das beiderſeitige Intereſſe, die Macht der Gewohnheit,
die untergeordnete Stellung des Clienten u. ſ. w. konnten auch
ohne dieſe Vorausſetzung daſſelbe Reſultat herbeiführen.

Auffallend iſt das Schweigen der lateiniſchen Sprache über
die vermögensrechtliche Seite jenes Verhältniſſes; es wird uns
kein Ausdruck für jene Landverleihung an den Clienten berichtet,
kein Ausdruck für das Clienten-Vermögen, ungeachtet daſſelbe
doch von den „bonis“ eines römiſchen pater familias, dem „pa-
trimonium,“
der „familia“ (dem Hausſtand deſſelben, Perſo-
nen und Sachen gleichmäßig umfaſſend) ſich rechtlich ſo ſehr un-
terſchied. Auffallend nenne ich dies Schweigen, weil wichtige
Unterſchiede, die im Leben ſelbſt in auffälliger Weiſe hervortre-
ten, auch in der Sprache ſich abzuſpiegeln pflegen. Die lateini-
ſche Sprache muß Ausdrücke für jene Verhältniſſe gehabt haben;
ſind dieſelben mit letztern ſelbſt untergegangen, oder ſollten ſie
vielleicht mit veränderter Bedeutung in der neuern lateiniſchen
Sprache noch fortexiſtiren? Ich nehme letzteres an und erblicke
im precarium 138) und peculium zwei Ausdrücke und Inſtitute,

buhr bei Gelegenheit der Clientel erinnert (röm. Geſch. B. 1 S. 342), und
das ſein rechtliches Fundament nicht in der Schutzloſigkeit des Vaſallen, ſon-
dern in dem ihm verliehenen Lehn hatte.
137) Darauf zielt wohl die oft benutzte Stelle von Feſtus: Patres se-
natores ideo appellati sunt, quia agrorum partes attribuebant tenuiori-
bus perinde ac liberis propriis.
Die letzten Worte drücken das
Verhältniß treffender aus, als es auf den erſten Blick ſcheint.
138) Savigny Recht des Beſitzes §. 42 hat bereits eine ähnliche Anſicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0251" n="233"/><fw place="top" type="header">2. Der Staat &#x2014; Die Nichtbürger &#x2014; Die Clientel. §. 16.</fw><lb/>
war ein &#x017F;ehr wirk&#x017F;ames Mittel, den Clienten an der Aufrecht-<lb/>
haltung des Verhältni&#x017F;&#x017F;es zu intere&#x017F;&#x017F;iren und mochte als &#x017F;olches<lb/>
in allgemeinen Gebrauch kommen <note place="foot" n="137)">Darauf zielt wohl die oft benutzte Stelle von Fe&#x017F;tus: <hi rendition="#aq">Patres se-<lb/>
natores ideo appellati sunt, quia agrorum partes attribuebant tenuiori-<lb/>
bus <hi rendition="#g">perinde ac liberis propriis</hi>.</hi> Die letzten Worte drücken das<lb/>
Verhältniß treffender aus, als es auf den er&#x017F;ten Blick &#x017F;cheint.</note> und die uns von Diony-<lb/>
&#x017F;ius bezeugte That&#x017F;ache bewirken, daß das Verhältniß von bei-<lb/>
den Seiten von einer Generation auf die andere überging. Zur<lb/>
Erklärung die&#x017F;er Er&#x017F;cheinung braucht man nicht mit Niebuhr<lb/>
im Wider&#x017F;pruch mit Diony&#x017F;ius zu der Annahme zu greifen, daß<lb/>
jenes Verhältniß von Seiten des Clienten unauflösbar gewe-<lb/>
&#x017F;en; das beider&#x017F;eitige Intere&#x017F;&#x017F;e, die Macht der Gewohnheit,<lb/>
die untergeordnete Stellung des Clienten u. &#x017F;. w. konnten auch<lb/>
ohne die&#x017F;e Voraus&#x017F;etzung da&#x017F;&#x017F;elbe Re&#x017F;ultat herbeiführen.</p><lb/>
                  <p>Auffallend i&#x017F;t das Schweigen der lateini&#x017F;chen Sprache über<lb/>
die vermögensrechtliche Seite jenes Verhältni&#x017F;&#x017F;es; es wird uns<lb/>
kein Ausdruck für jene Landverleihung an den Clienten berichtet,<lb/>
kein Ausdruck für das Clienten-Vermögen, ungeachtet da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
doch von den <hi rendition="#aq">&#x201E;bonis&#x201C;</hi> eines römi&#x017F;chen <hi rendition="#aq">pater familias,</hi> dem <hi rendition="#aq">&#x201E;pa-<lb/>
trimonium,&#x201C;</hi> der <hi rendition="#aq">&#x201E;familia&#x201C;</hi> (dem Haus&#x017F;tand de&#x017F;&#x017F;elben, Per&#x017F;o-<lb/>
nen und Sachen gleichmäßig umfa&#x017F;&#x017F;end) &#x017F;ich rechtlich &#x017F;o &#x017F;ehr un-<lb/>
ter&#x017F;chied. Auffallend nenne ich dies Schweigen, weil wichtige<lb/>
Unter&#x017F;chiede, die im Leben &#x017F;elb&#x017F;t in auffälliger Wei&#x017F;e hervortre-<lb/>
ten, auch in der Sprache &#x017F;ich abzu&#x017F;piegeln pflegen. Die lateini-<lb/>
&#x017F;che Sprache muß Ausdrücke für jene Verhältni&#x017F;&#x017F;e gehabt haben;<lb/>
&#x017F;ind die&#x017F;elben mit letztern &#x017F;elb&#x017F;t untergegangen, oder &#x017F;ollten &#x017F;ie<lb/>
vielleicht mit veränderter Bedeutung in der neuern lateini&#x017F;chen<lb/>
Sprache noch fortexi&#x017F;tiren? Ich nehme letzteres an und erblicke<lb/>
im <hi rendition="#aq">precarium</hi> <note xml:id="seg2pn_17_1" next="#seg2pn_17_2" place="foot" n="138)">Savigny Recht des Be&#x017F;itzes §. 42 hat bereits eine ähnliche An&#x017F;icht</note> und <hi rendition="#aq">peculium</hi> zwei Ausdrücke und In&#x017F;titute,<lb/><note xml:id="seg2pn_16_2" prev="#seg2pn_16_1" place="foot" n="136)">buhr bei Gelegenheit der Clientel erinnert (röm. Ge&#x017F;ch. B. 1 S. 342), und<lb/>
das &#x017F;ein rechtliches Fundament nicht in der Schutzlo&#x017F;igkeit des Va&#x017F;allen, &#x017F;on-<lb/>
dern in dem ihm verliehenen Lehn hatte.</note><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0251] 2. Der Staat — Die Nichtbürger — Die Clientel. §. 16. war ein ſehr wirkſames Mittel, den Clienten an der Aufrecht- haltung des Verhältniſſes zu intereſſiren und mochte als ſolches in allgemeinen Gebrauch kommen 137) und die uns von Diony- ſius bezeugte Thatſache bewirken, daß das Verhältniß von bei- den Seiten von einer Generation auf die andere überging. Zur Erklärung dieſer Erſcheinung braucht man nicht mit Niebuhr im Widerſpruch mit Dionyſius zu der Annahme zu greifen, daß jenes Verhältniß von Seiten des Clienten unauflösbar gewe- ſen; das beiderſeitige Intereſſe, die Macht der Gewohnheit, die untergeordnete Stellung des Clienten u. ſ. w. konnten auch ohne dieſe Vorausſetzung daſſelbe Reſultat herbeiführen. Auffallend iſt das Schweigen der lateiniſchen Sprache über die vermögensrechtliche Seite jenes Verhältniſſes; es wird uns kein Ausdruck für jene Landverleihung an den Clienten berichtet, kein Ausdruck für das Clienten-Vermögen, ungeachtet daſſelbe doch von den „bonis“ eines römiſchen pater familias, dem „pa- trimonium,“ der „familia“ (dem Hausſtand deſſelben, Perſo- nen und Sachen gleichmäßig umfaſſend) ſich rechtlich ſo ſehr un- terſchied. Auffallend nenne ich dies Schweigen, weil wichtige Unterſchiede, die im Leben ſelbſt in auffälliger Weiſe hervortre- ten, auch in der Sprache ſich abzuſpiegeln pflegen. Die lateini- ſche Sprache muß Ausdrücke für jene Verhältniſſe gehabt haben; ſind dieſelben mit letztern ſelbſt untergegangen, oder ſollten ſie vielleicht mit veränderter Bedeutung in der neuern lateiniſchen Sprache noch fortexiſtiren? Ich nehme letzteres an und erblicke im precarium 138) und peculium zwei Ausdrücke und Inſtitute, 136) 137) Darauf zielt wohl die oft benutzte Stelle von Feſtus: Patres se- natores ideo appellati sunt, quia agrorum partes attribuebant tenuiori- bus perinde ac liberis propriis. Die letzten Worte drücken das Verhältniß treffender aus, als es auf den erſten Blick ſcheint. 138) Savigny Recht des Beſitzes §. 42 hat bereits eine ähnliche Anſicht 136) buhr bei Gelegenheit der Clientel erinnert (röm. Geſch. B. 1 S. 342), und das ſein rechtliches Fundament nicht in der Schutzloſigkeit des Vaſallen, ſon- dern in dem ihm verliehenen Lehn hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/251
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/251>, abgerufen am 22.11.2024.