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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
die ursprünglich dem Clientelarverhältniß angehörten. Beide
stehen außer dem Boden des eigentlichen Rechts, sind Institute,
von denen die spätern römischen Juristen sagen: magis facti
sunt, quam juris,
die Clientel selbst aber konnte nur Institute
von diesem Charakter kennen. Sodann aber sind beide, wie die
Clientel selbst, Verhältnisse auf Gnade und Ungnade, nicht
durch das Recht geschützt, jeden Augenblick widerruflich. Es
läßt sich das clientelarische Vermögensrecht, wie es seiner juristi-
schen Natur und innern Consequenz nach sein mußte, nicht bloß
ohne Zwang unter die Grundsätze jener beiden Institute brin-
gen, sondern ich glaube, daß diese Anknüpfung auf letztere selbst
einiges Licht wirft.

Ich denke mir die Sache in folgender Weise. Precarium
hieß alles, was der Patron dem Clienten auf dessen Bitten
(preces, daher precarium) zum Gebrauch einräumte; am häufig-
sten war dies wohl ein Grundstück, doch mochte auch Wohnung
(ein Anknüpfungspunkt für die habitatio des spätern Rechts)
nicht selten verliehen werden. Der beliebige Widerruf desselben
verstand sich nach dem Verhältniß, in dem beide Personen zu
einander standen, von selbst, er brauchte weder ausgemacht zu
werden, noch konnte ein Verzicht darauf irgendwie juristisch
wirksam sein. Eine civilrechtliche Obligation war auf beiden
Seiten undenkbar; es konnte weder der Patron sich obligiren,
dem Clienten die Sache eine bestimmte Zeit zu lassen, noch
letzterer, sie demnächst zurückzugeben. Begehrte der Patron sie
zurück, so nahm er sie. Dritten Personen gegenüber mochte der
Client sich zur Wehr setzen, dem Patron gegenüber war dies selbst
dann unzulässig, wenn letzterer vor Ablauf der dem Clienten zu-
gesicherten Nutzungszeit die Sache herausbegehrte. Als das pre-
carium
sich von seiner ursprünglichen Beziehung zum Clientelar-

von precarium aufgestellt. Ich wurde durch den Zusammenhang darauf
geführt, ohne mir anfänglich jenes Zusammentreffens mit Savigny, das
übrigens auch nur partiell ist, bewußt zu sein.

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
die urſprünglich dem Clientelarverhältniß angehörten. Beide
ſtehen außer dem Boden des eigentlichen Rechts, ſind Inſtitute,
von denen die ſpätern römiſchen Juriſten ſagen: magis facti
sunt, quam juris,
die Clientel ſelbſt aber konnte nur Inſtitute
von dieſem Charakter kennen. Sodann aber ſind beide, wie die
Clientel ſelbſt, Verhältniſſe auf Gnade und Ungnade, nicht
durch das Recht geſchützt, jeden Augenblick widerruflich. Es
läßt ſich das clientelariſche Vermögensrecht, wie es ſeiner juriſti-
ſchen Natur und innern Conſequenz nach ſein mußte, nicht bloß
ohne Zwang unter die Grundſätze jener beiden Inſtitute brin-
gen, ſondern ich glaube, daß dieſe Anknüpfung auf letztere ſelbſt
einiges Licht wirft.

Ich denke mir die Sache in folgender Weiſe. Precarium
hieß alles, was der Patron dem Clienten auf deſſen Bitten
(preces, daher precarium) zum Gebrauch einräumte; am häufig-
ſten war dies wohl ein Grundſtück, doch mochte auch Wohnung
(ein Anknüpfungspunkt für die habitatio des ſpätern Rechts)
nicht ſelten verliehen werden. Der beliebige Widerruf deſſelben
verſtand ſich nach dem Verhältniß, in dem beide Perſonen zu
einander ſtanden, von ſelbſt, er brauchte weder ausgemacht zu
werden, noch konnte ein Verzicht darauf irgendwie juriſtiſch
wirkſam ſein. Eine civilrechtliche Obligation war auf beiden
Seiten undenkbar; es konnte weder der Patron ſich obligiren,
dem Clienten die Sache eine beſtimmte Zeit zu laſſen, noch
letzterer, ſie demnächſt zurückzugeben. Begehrte der Patron ſie
zurück, ſo nahm er ſie. Dritten Perſonen gegenüber mochte der
Client ſich zur Wehr ſetzen, dem Patron gegenüber war dies ſelbſt
dann unzuläſſig, wenn letzterer vor Ablauf der dem Clienten zu-
geſicherten Nutzungszeit die Sache herausbegehrte. Als das pre-
carium
ſich von ſeiner urſprünglichen Beziehung zum Clientelar-

von precarium aufgeſtellt. Ich wurde durch den Zuſammenhang darauf
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[234/0252] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. die urſprünglich dem Clientelarverhältniß angehörten. Beide ſtehen außer dem Boden des eigentlichen Rechts, ſind Inſtitute, von denen die ſpätern römiſchen Juriſten ſagen: magis facti sunt, quam juris, die Clientel ſelbſt aber konnte nur Inſtitute von dieſem Charakter kennen. Sodann aber ſind beide, wie die Clientel ſelbſt, Verhältniſſe auf Gnade und Ungnade, nicht durch das Recht geſchützt, jeden Augenblick widerruflich. Es läßt ſich das clientelariſche Vermögensrecht, wie es ſeiner juriſti- ſchen Natur und innern Conſequenz nach ſein mußte, nicht bloß ohne Zwang unter die Grundſätze jener beiden Inſtitute brin- gen, ſondern ich glaube, daß dieſe Anknüpfung auf letztere ſelbſt einiges Licht wirft. Ich denke mir die Sache in folgender Weiſe. Precarium hieß alles, was der Patron dem Clienten auf deſſen Bitten (preces, daher precarium) zum Gebrauch einräumte; am häufig- ſten war dies wohl ein Grundſtück, doch mochte auch Wohnung (ein Anknüpfungspunkt für die habitatio des ſpätern Rechts) nicht ſelten verliehen werden. Der beliebige Widerruf deſſelben verſtand ſich nach dem Verhältniß, in dem beide Perſonen zu einander ſtanden, von ſelbſt, er brauchte weder ausgemacht zu werden, noch konnte ein Verzicht darauf irgendwie juriſtiſch wirkſam ſein. Eine civilrechtliche Obligation war auf beiden Seiten undenkbar; es konnte weder der Patron ſich obligiren, dem Clienten die Sache eine beſtimmte Zeit zu laſſen, noch letzterer, ſie demnächſt zurückzugeben. Begehrte der Patron ſie zurück, ſo nahm er ſie. Dritten Perſonen gegenüber mochte der Client ſich zur Wehr ſetzen, dem Patron gegenüber war dies ſelbſt dann unzuläſſig, wenn letzterer vor Ablauf der dem Clienten zu- geſicherten Nutzungszeit die Sache herausbegehrte. Als das pre- carium ſich von ſeiner urſprünglichen Beziehung zum Clientelar- 138) 138) von precarium aufgeſtellt. Ich wurde durch den Zuſammenhang darauf geführt, ohne mir anfänglich jenes Zuſammentreffens mit Savigny, das übrigens auch nur partiell iſt, bewußt zu ſein.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/252>, abgerufen am 22.11.2024.