Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.2. Der Staat -- Die Nichtbürger -- Clientel, precarium. §. 16. verhältniß ablöste und auch zwischen römischen Bürgern vorkam,behielt es doch diese seine Structur bei und nahm keinen obli- gatorischen Zusatz in sich auf, so daß weder der Verleiher an sein Versprechen, die Sache dem Empfänger eine bestimmte Zeit zu lassen, gebunden war, nach letzterer in Form einer Obligation zur Zurückgabe gezwungen werden konnte. Ein precarium zwi- schen Römern eingegangen hieß nichts anders, als Stellung des Verhältnisses unter das Recht der patronatischen Leihe, ich darf mich vielleicht des Vergleichs mit dem deutschen "Hofrecht" bedienen. Von Anwendung der Grundsätze des römischen Rechts konnte hier keine Rede sein, das Verhältniß selbst verdankte ja seine Entstehung der Unanwendbarkeit dieser Grundsätze, und seine bestimmt ausgebildete, jedem geläufige, durch den Namen selbst angedeutete Natur widerstrebte jedem Gedanken an eine Obligation. Den Vereinbarungen beider Partheien über Art, Zeit u. s. w. der Rückgabe obligatorische Wirkung beizulegen, hätte in alter Zeit nichts geheißen, als ein precarium zu gleicher Zeit eingehen und nicht eingehen; römisches Recht und nicht- römisches Recht gleichmäßig zur Anwendung zu bringen. Pre- carium und rechtliche Möglichkeit eines obligatorischen Ver- hältnisses zwischen beiden Theilen waren von vornherein abso- lute Widersprüche, und es gehörten viele Jahrhunderte dazu, um den Charakter des precarium so zu verwischen, daß man keinen Anstand mehr zu nehmen brauchte, die Theorie der Inno- minatcontrakte darauf anzuwenden. Das Vermögen, das der Client sich selbst erworben hatte, 2. Der Staat — Die Nichtbürger — Clientel, precarium. §. 16. verhältniß ablöſte und auch zwiſchen römiſchen Bürgern vorkam,behielt es doch dieſe ſeine Structur bei und nahm keinen obli- gatoriſchen Zuſatz in ſich auf, ſo daß weder der Verleiher an ſein Verſprechen, die Sache dem Empfänger eine beſtimmte Zeit zu laſſen, gebunden war, nach letzterer in Form einer Obligation zur Zurückgabe gezwungen werden konnte. Ein precarium zwi- ſchen Römern eingegangen hieß nichts anders, als Stellung des Verhältniſſes unter das Recht der patronatiſchen Leihe, ich darf mich vielleicht des Vergleichs mit dem deutſchen „Hofrecht“ bedienen. Von Anwendung der Grundſätze des römiſchen Rechts konnte hier keine Rede ſein, das Verhältniß ſelbſt verdankte ja ſeine Entſtehung der Unanwendbarkeit dieſer Grundſätze, und ſeine beſtimmt ausgebildete, jedem geläufige, durch den Namen ſelbſt angedeutete Natur widerſtrebte jedem Gedanken an eine Obligation. Den Vereinbarungen beider Partheien über Art, Zeit u. ſ. w. der Rückgabe obligatoriſche Wirkung beizulegen, hätte in alter Zeit nichts geheißen, als ein precarium zu gleicher Zeit eingehen und nicht eingehen; römiſches Recht und nicht- römiſches Recht gleichmäßig zur Anwendung zu bringen. Pre- carium und rechtliche Möglichkeit eines obligatoriſchen Ver- hältniſſes zwiſchen beiden Theilen waren von vornherein abſo- lute Widerſprüche, und es gehörten viele Jahrhunderte dazu, um den Charakter des precarium ſo zu verwiſchen, daß man keinen Anſtand mehr zu nehmen brauchte, die Theorie der Inno- minatcontrakte darauf anzuwenden. Das Vermögen, das der Client ſich ſelbſt erworben hatte, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0253" n="235"/><fw place="top" type="header">2. 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2. Der Staat — Die Nichtbürger — Clientel, precarium. §. 16.
verhältniß ablöſte und auch zwiſchen römiſchen Bürgern vorkam,
behielt es doch dieſe ſeine Structur bei und nahm keinen obli-
gatoriſchen Zuſatz in ſich auf, ſo daß weder der Verleiher an
ſein Verſprechen, die Sache dem Empfänger eine beſtimmte Zeit
zu laſſen, gebunden war, nach letzterer in Form einer Obligation
zur Zurückgabe gezwungen werden konnte. Ein precarium zwi-
ſchen Römern eingegangen hieß nichts anders, als Stellung
des Verhältniſſes unter das Recht der patronatiſchen Leihe, ich
darf mich vielleicht des Vergleichs mit dem deutſchen „Hofrecht“
bedienen. Von Anwendung der Grundſätze des römiſchen Rechts
konnte hier keine Rede ſein, das Verhältniß ſelbſt verdankte ja
ſeine Entſtehung der Unanwendbarkeit dieſer Grundſätze, und
ſeine beſtimmt ausgebildete, jedem geläufige, durch den Namen
ſelbſt angedeutete Natur widerſtrebte jedem Gedanken an eine
Obligation. Den Vereinbarungen beider Partheien über Art,
Zeit u. ſ. w. der Rückgabe obligatoriſche Wirkung beizulegen,
hätte in alter Zeit nichts geheißen, als ein precarium zu gleicher
Zeit eingehen und nicht eingehen; römiſches Recht und nicht-
römiſches Recht gleichmäßig zur Anwendung zu bringen. Pre-
carium und rechtliche Möglichkeit eines obligatoriſchen Ver-
hältniſſes zwiſchen beiden Theilen waren von vornherein abſo-
lute Widerſprüche, und es gehörten viele Jahrhunderte dazu,
um den Charakter des precarium ſo zu verwiſchen, daß man
keinen Anſtand mehr zu nehmen brauchte, die Theorie der Inno-
minatcontrakte darauf anzuwenden.
Das Vermögen, das der Client ſich ſelbſt erworben hatte,
ſein Inventar und Vieh hieß peculium und ſtand unter denſel-
ben Grundſätzen, nach denen im neuern Recht das peculium
des Hausſohns und Sklaven beurtheilt wird d. h. faktiſch ge-
hörte es zwar dem Clienten, juriſtiſch aber galt der Patron als
Eigenthümer deſſelben. Der Name weiſt auf die Beziehung die-
ſes Vermögens zur Landwirthſchaft hin; wörtlich überſetzt be-
deutet er „kleines Vieh“ d. h. einen von der Hauptheerde geſon-
derten Viehſtand. Dieſer Wink, den die Etymologie uns über
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