Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. unschätzbarer Vortheil. Die Unbändigkeit des römischen Sin-nes, die der ruhigen, friedlichen Existenz widerstrebte und stets der Kriege bedurfte, fand in der durch diese Kriege bedingten militärischen Disciplin ihr Gegengewicht, band sich selbst die Ruthe, durch die sie erzogen werden sollte. Das älteste Rom war ein immerwährendes Lager; die Ordnung und strenge Zucht des Lagers regierten hier, und die Staatsverfassung ging auf in der Wehrverfassung. Bei andern Völkern ward das Lager abgebrochen, wenn der Krieg beendet war; die Kriegsverfas- sung mit ihrer Disciplin war nur für den vorübergehenden Zu- stand der Spannung bestimmt; mit dem Frieden fiel sie, möchte ich sagen, in die behaglichere Form einer Friedensverfassung zurück. 141) Den Kern der folgenden Ausführung können wir in den 141) So ließen manche germanische Völkerstämme die vortheilhaften
Einrichtungen, zu denen sie bei Ausbruch eines Krieges griffen, und die bei nicht bloß vorübergehender Existenz den Keim einer heilsamen politischen Ent- wicklung hätten abgeben können, fallen, sowie der Krieg beendet war. Caesar de b. g. VI, 23: Quum bellum civitas aut illatum defendit aut infert, magistratus, qui ei bello praesint, ut vitae necisque habeant potestatem, deliguntur. In pace nullus communis magistratus, sed u. s. w. Aus Waitz deutscher Verfassungsgeschichte B. 1 S. 101 entnehme ich eine andere Stelle Beda hist. eccl. V, 10: Non enim habent regem iidem antiqui Saxones, sed satrapas plurimos suae genti praepositos, qui ingruente belli articulo mittunt aequaliter sortes, et quemcunque sors ostenderit, hunc tempore belli ducem omnes sequuntur; huic obtemperant, peracto autem bello rursum aequalis potentiae fiunt satrapae. Die Einheit und die Disciplin dauerte nur so lange, als die Noth, wie es ja auch mit der Energie bei manchen Individuen der Fall zu sein pflegt. Das Glück für die Römer lag darin, daß ihre Vorfah- ren, denen sie ihre Verfassung verdankten, in beständiger Noth gewesen waren. Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. unſchätzbarer Vortheil. Die Unbändigkeit des römiſchen Sin-nes, die der ruhigen, friedlichen Exiſtenz widerſtrebte und ſtets der Kriege bedurfte, fand in der durch dieſe Kriege bedingten militäriſchen Disciplin ihr Gegengewicht, band ſich ſelbſt die Ruthe, durch die ſie erzogen werden ſollte. Das älteſte Rom war ein immerwährendes Lager; die Ordnung und ſtrenge Zucht des Lagers regierten hier, und die Staatsverfaſſung ging auf in der Wehrverfaſſung. Bei andern Völkern ward das Lager abgebrochen, wenn der Krieg beendet war; die Kriegsverfaſ- ſung mit ihrer Disciplin war nur für den vorübergehenden Zu- ſtand der Spannung beſtimmt; mit dem Frieden fiel ſie, möchte ich ſagen, in die behaglichere Form einer Friedensverfaſſung zurück. 141) Den Kern der folgenden Ausführung können wir in den 141) So ließen manche germaniſche Völkerſtämme die vortheilhaften
Einrichtungen, zu denen ſie bei Ausbruch eines Krieges griffen, und die bei nicht bloß vorübergehender Exiſtenz den Keim einer heilſamen politiſchen Ent- wicklung hätten abgeben können, fallen, ſowie der Krieg beendet war. Caesar de b. g. VI, 23: Quum bellum civitas aut illatum defendit aut infert, magistratus, qui ei bello praesint, ut vitae necisque habeant potestatem, deliguntur. In pace nullus communis magistratus, sed u. ſ. w. Aus Waitz deutſcher Verfaſſungsgeſchichte B. 1 S. 101 entnehme ich eine andere Stelle Beda hist. eccl. V, 10: Non enim habent regem iidem antiqui Saxones, sed satrapas plurimos suae genti praepositos, qui ingruente belli articulo mittunt aequaliter sortes, et quemcunque sors ostenderit, hunc tempore belli ducem omnes sequuntur; huic obtemperant, peracto autem bello rursum aequalis potentiae fiunt satrapae. Die Einheit und die Disciplin dauerte nur ſo lange, als die Noth, wie es ja auch mit der Energie bei manchen Individuen der Fall zu ſein pflegt. Das Glück für die Römer lag darin, daß ihre Vorfah- ren, denen ſie ihre Verfaſſung verdankten, in beſtändiger Noth geweſen waren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0258" n="240"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.</fw><lb/> unſchätzbarer Vortheil. Die Unbändigkeit des römiſchen Sin-<lb/> nes, die der ruhigen, friedlichen Exiſtenz widerſtrebte und ſtets<lb/> der Kriege bedurfte, fand in der durch dieſe Kriege bedingten<lb/> militäriſchen Disciplin ihr Gegengewicht, band ſich ſelbſt die<lb/> Ruthe, durch die ſie erzogen werden ſollte. Das älteſte Rom<lb/> war ein immerwährendes Lager; die Ordnung und ſtrenge Zucht<lb/> des Lagers regierten hier, und die Staatsverfaſſung ging auf<lb/> in der Wehrverfaſſung. Bei andern Völkern ward das Lager<lb/> abgebrochen, wenn der Krieg beendet war; die Kriegsverfaſ-<lb/> ſung mit ihrer Disciplin war nur für den vorübergehenden Zu-<lb/> ſtand der Spannung beſtimmt; mit dem Frieden fiel ſie, möchte<lb/> ich ſagen, in die behaglichere Form einer Friedensverfaſſung<lb/> zurück. <note place="foot" n="141)">So ließen manche germaniſche Völkerſtämme die vortheilhaften<lb/> Einrichtungen, zu denen ſie bei Ausbruch eines Krieges griffen, und die bei<lb/> nicht bloß vorübergehender Exiſtenz den Keim einer heilſamen politiſchen Ent-<lb/> wicklung hätten abgeben können, fallen, ſowie der Krieg beendet war. <hi rendition="#aq">Caesar<lb/> de b. g. VI, 23: Quum bellum civitas aut illatum defendit aut infert,<lb/> magistratus, qui ei bello praesint, ut <hi rendition="#g">vitae necisque habeant<lb/> potestatem</hi>, deliguntur. In pace nullus communis magistratus, sed</hi><lb/> u. ſ. w. Aus Waitz deutſcher Verfaſſungsgeſchichte B. 1 S. 101 entnehme<lb/> ich eine andere Stelle <hi rendition="#aq">Beda hist. eccl. V, 10: Non enim habent regem<lb/> iidem antiqui Saxones, sed satrapas plurimos suae genti praepositos,<lb/> qui ingruente belli articulo mittunt aequaliter sortes, et quemcunque<lb/> sors ostenderit, hunc tempore belli ducem omnes sequuntur; huic<lb/> obtemperant, peracto autem bello <hi rendition="#g">rursum aequalis potentiae<lb/> fiunt satrapae</hi>.</hi> Die Einheit und die Disciplin dauerte nur ſo lange,<lb/> als die Noth, wie es ja auch mit der Energie bei manchen Individuen der<lb/> Fall zu ſein pflegt. Das Glück für die Römer lag darin, daß ihre Vorfah-<lb/> ren, denen ſie ihre Verfaſſung verdankten, in beſtändiger Noth geweſen<lb/> waren.</note></p><lb/> <p>Den Kern der folgenden Ausführung können wir in den<lb/> Satz zuſammenfaſſen: das militäriſche Intereſſe iſt das Motiv,<lb/> das den Staat um einen Gedanken bereichert, den wir bis jetzt<lb/> noch nicht kennen, den der Ueber- und Unterordnung, und dem<lb/> Geſchlechterſtaat die Form der Wehrverfaſſung aufzwingt. Nicht<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [240/0258]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
unſchätzbarer Vortheil. Die Unbändigkeit des römiſchen Sin-
nes, die der ruhigen, friedlichen Exiſtenz widerſtrebte und ſtets
der Kriege bedurfte, fand in der durch dieſe Kriege bedingten
militäriſchen Disciplin ihr Gegengewicht, band ſich ſelbſt die
Ruthe, durch die ſie erzogen werden ſollte. Das älteſte Rom
war ein immerwährendes Lager; die Ordnung und ſtrenge Zucht
des Lagers regierten hier, und die Staatsverfaſſung ging auf
in der Wehrverfaſſung. Bei andern Völkern ward das Lager
abgebrochen, wenn der Krieg beendet war; die Kriegsverfaſ-
ſung mit ihrer Disciplin war nur für den vorübergehenden Zu-
ſtand der Spannung beſtimmt; mit dem Frieden fiel ſie, möchte
ich ſagen, in die behaglichere Form einer Friedensverfaſſung
zurück. 141)
Den Kern der folgenden Ausführung können wir in den
Satz zuſammenfaſſen: das militäriſche Intereſſe iſt das Motiv,
das den Staat um einen Gedanken bereichert, den wir bis jetzt
noch nicht kennen, den der Ueber- und Unterordnung, und dem
Geſchlechterſtaat die Form der Wehrverfaſſung aufzwingt. Nicht
141) So ließen manche germaniſche Völkerſtämme die vortheilhaften
Einrichtungen, zu denen ſie bei Ausbruch eines Krieges griffen, und die bei
nicht bloß vorübergehender Exiſtenz den Keim einer heilſamen politiſchen Ent-
wicklung hätten abgeben können, fallen, ſowie der Krieg beendet war. Caesar
de b. g. VI, 23: Quum bellum civitas aut illatum defendit aut infert,
magistratus, qui ei bello praesint, ut vitae necisque habeant
potestatem, deliguntur. In pace nullus communis magistratus, sed
u. ſ. w. Aus Waitz deutſcher Verfaſſungsgeſchichte B. 1 S. 101 entnehme
ich eine andere Stelle Beda hist. eccl. V, 10: Non enim habent regem
iidem antiqui Saxones, sed satrapas plurimos suae genti praepositos,
qui ingruente belli articulo mittunt aequaliter sortes, et quemcunque
sors ostenderit, hunc tempore belli ducem omnes sequuntur; huic
obtemperant, peracto autem bello rursum aequalis potentiae
fiunt satrapae. Die Einheit und die Disciplin dauerte nur ſo lange,
als die Noth, wie es ja auch mit der Energie bei manchen Individuen der
Fall zu ſein pflegt. Das Glück für die Römer lag darin, daß ihre Vorfah-
ren, denen ſie ihre Verfaſſung verdankten, in beſtändiger Noth geweſen
waren.
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