Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
2. Der Staat. -- 2 die Wehrverfassung. §. 17.
2. Einfluß der Wehrverfassung auf Staat und Recht.
Vortheilhafter Einfluß des Krieges auf die Verfassung -- Die
Staatsverfassung eine Wehrverfassung -- Die militärische Ein-
theilung des Volks -- Prinzip der Subordination -- Das im-
perium
-- Militärischer Charakter des Königthums -- Strafge-
walt -- Einfluß der Wehrverfassung auf die Erziehung des
Volks -- Sinn für äußere Ordnung und Gesetzlichkeit.

XVII. Daß der Krieg auf die Entwicklung des Rechts und
Staats den heilsamsten Einfluß ausüben kann, ist weniger pa-
radox, als es klingt. Ein Krieg zur rechten Zeit kann diese Ent-
wicklung in wenig Jahren mehr fördern, als Jahrhunderte
friedlicher Existenz. Einem Gewitter gleich reinigt er die Luft,
macht der politischen und moralischen Stagnation ein rasches
Ende, wirft das morsche Gebäude einer schwerfälligen Staats-
verfassung und drückender socialer Institutionen mit einem
Stoße zu Boden und macht so einen politischen und socialen
Verjüngungsprozeß nothwendig. Was dem alterschwachen Staat
vielleicht das Leben kostet, dient bei einem andern dazu, ihn
zur Anspannung seiner Kräfte zu zwingen, ein neues, frisches
Leben in ihm anzuregen.

Bei den Römern war der Krieg bekanntlich nicht ein Aus-
nahmszustand, sondern die Regel; es war die Schule, in der
sie groß geworden sind, und deren eigenthümlicher, stählender
Einfluß sich auch in ihrem Recht vielfältig erkennen läßt. Schon
an der ältesten Verfassung, die Rom mitbringt, ist derselbe
nachweisbar; sie ist, möchte ich sagen, eine Rüstung, die zwar
dem Kriege ihren Ursprung verdankt und für ihn bestimmt ist,
die Rom aber, um stets gerüstet zu sein, auch im Frieden nicht
ablegt. Dank der kriegerischen Gesinnungs- und Lebensweise
der Römer, die sie dauernd in dieser kampfbereiten Lage erhielt,
denn darin eben daß diese Lage keine vorübergehende, sondern
ein perpetuirliche Schule der militärischen Zucht war, lag ein

2. Der Staat. — 2 die Wehrverfaſſung. §. 17.
2. Einfluß der Wehrverfaſſung auf Staat und Recht.
Vortheilhafter Einfluß des Krieges auf die Verfaſſung — Die
Staatsverfaſſung eine Wehrverfaſſung — Die militäriſche Ein-
theilung des Volks — Prinzip der Subordination — Das im-
perium
— Militäriſcher Charakter des Königthums — Strafge-
walt — Einfluß der Wehrverfaſſung auf die Erziehung des
Volks — Sinn für äußere Ordnung und Geſetzlichkeit.

XVII. Daß der Krieg auf die Entwicklung des Rechts und
Staats den heilſamſten Einfluß ausüben kann, iſt weniger pa-
radox, als es klingt. Ein Krieg zur rechten Zeit kann dieſe Ent-
wicklung in wenig Jahren mehr fördern, als Jahrhunderte
friedlicher Exiſtenz. Einem Gewitter gleich reinigt er die Luft,
macht der politiſchen und moraliſchen Stagnation ein raſches
Ende, wirft das morſche Gebäude einer ſchwerfälligen Staats-
verfaſſung und drückender ſocialer Inſtitutionen mit einem
Stoße zu Boden und macht ſo einen politiſchen und ſocialen
Verjüngungsprozeß nothwendig. Was dem alterſchwachen Staat
vielleicht das Leben koſtet, dient bei einem andern dazu, ihn
zur Anſpannung ſeiner Kräfte zu zwingen, ein neues, friſches
Leben in ihm anzuregen.

Bei den Römern war der Krieg bekanntlich nicht ein Aus-
nahmszuſtand, ſondern die Regel; es war die Schule, in der
ſie groß geworden ſind, und deren eigenthümlicher, ſtählender
Einfluß ſich auch in ihrem Recht vielfältig erkennen läßt. Schon
an der älteſten Verfaſſung, die Rom mitbringt, iſt derſelbe
nachweisbar; ſie iſt, möchte ich ſagen, eine Rüſtung, die zwar
dem Kriege ihren Urſprung verdankt und für ihn beſtimmt iſt,
die Rom aber, um ſtets gerüſtet zu ſein, auch im Frieden nicht
ablegt. Dank der kriegeriſchen Geſinnungs- und Lebensweiſe
der Römer, die ſie dauernd in dieſer kampfbereiten Lage erhielt,
denn darin eben daß dieſe Lage keine vorübergehende, ſondern
ein perpetuirliche Schule der militäriſchen Zucht war, lag ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0257" n="239"/>
              <fw place="top" type="header">2. Der Staat. &#x2014; 2 die Wehrverfa&#x017F;&#x017F;ung. §. 17.</fw><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b">2. Einfluß der Wehrverfa&#x017F;&#x017F;ung auf Staat und Recht.</hi> </head><lb/>
                <div n="6">
                  <head> <hi rendition="#b">Vortheilhafter Einfluß des Krieges auf die Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x2014; Die<lb/>
Staatsverfa&#x017F;&#x017F;ung eine Wehrverfa&#x017F;&#x017F;ung &#x2014; Die militäri&#x017F;che Ein-<lb/>
theilung des Volks &#x2014; Prinzip der Subordination &#x2014; Das <hi rendition="#aq">im-<lb/>
perium</hi> &#x2014; Militäri&#x017F;cher Charakter des Königthums &#x2014; Strafge-<lb/>
walt &#x2014; Einfluß der Wehrverfa&#x017F;&#x017F;ung auf die Erziehung des<lb/>
Volks &#x2014; Sinn für äußere Ordnung und Ge&#x017F;etzlichkeit.</hi> </head><lb/>
                  <p><hi rendition="#aq">XVII.</hi> Daß der Krieg auf die Entwicklung des Rechts und<lb/>
Staats den heil&#x017F;am&#x017F;ten Einfluß ausüben kann, i&#x017F;t weniger pa-<lb/>
radox, als es klingt. Ein Krieg zur rechten Zeit kann die&#x017F;e Ent-<lb/>
wicklung in wenig Jahren mehr fördern, als Jahrhunderte<lb/>
friedlicher Exi&#x017F;tenz. Einem Gewitter gleich reinigt er die Luft,<lb/>
macht der politi&#x017F;chen und morali&#x017F;chen Stagnation ein ra&#x017F;ches<lb/>
Ende, wirft das mor&#x017F;che Gebäude einer &#x017F;chwerfälligen Staats-<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ung und drückender &#x017F;ocialer In&#x017F;titutionen mit <hi rendition="#g">einem</hi><lb/>
Stoße zu Boden und macht &#x017F;o einen politi&#x017F;chen und &#x017F;ocialen<lb/>
Verjüngungsprozeß nothwendig. Was dem alter&#x017F;chwachen Staat<lb/>
vielleicht das Leben ko&#x017F;tet, dient bei einem andern dazu, ihn<lb/>
zur An&#x017F;pannung &#x017F;einer Kräfte zu zwingen, ein neues, fri&#x017F;ches<lb/>
Leben in ihm anzuregen.</p><lb/>
                  <p>Bei den Römern war der Krieg bekanntlich nicht ein Aus-<lb/>
nahmszu&#x017F;tand, &#x017F;ondern die Regel; es war die Schule, in der<lb/>
&#x017F;ie groß geworden &#x017F;ind, und deren eigenthümlicher, &#x017F;tählender<lb/>
Einfluß &#x017F;ich auch in ihrem Recht vielfältig erkennen läßt. Schon<lb/>
an der älte&#x017F;ten Verfa&#x017F;&#x017F;ung, die Rom mitbringt, i&#x017F;t der&#x017F;elbe<lb/>
nachweisbar; &#x017F;ie i&#x017F;t, möchte ich &#x017F;agen, eine Rü&#x017F;tung, die zwar<lb/>
dem Kriege ihren Ur&#x017F;prung verdankt und für ihn be&#x017F;timmt i&#x017F;t,<lb/>
die Rom aber, um &#x017F;tets gerü&#x017F;tet zu &#x017F;ein, auch im Frieden nicht<lb/>
ablegt. Dank der kriegeri&#x017F;chen Ge&#x017F;innungs- und Lebenswei&#x017F;e<lb/>
der Römer, die &#x017F;ie dauernd in die&#x017F;er kampfbereiten Lage erhielt,<lb/>
denn darin eben daß die&#x017F;e Lage keine vorübergehende, &#x017F;ondern<lb/>
ein perpetuirliche Schule der militäri&#x017F;chen Zucht war, lag ein<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0257] 2. Der Staat. — 2 die Wehrverfaſſung. §. 17. 2. Einfluß der Wehrverfaſſung auf Staat und Recht. Vortheilhafter Einfluß des Krieges auf die Verfaſſung — Die Staatsverfaſſung eine Wehrverfaſſung — Die militäriſche Ein- theilung des Volks — Prinzip der Subordination — Das im- perium — Militäriſcher Charakter des Königthums — Strafge- walt — Einfluß der Wehrverfaſſung auf die Erziehung des Volks — Sinn für äußere Ordnung und Geſetzlichkeit. XVII. Daß der Krieg auf die Entwicklung des Rechts und Staats den heilſamſten Einfluß ausüben kann, iſt weniger pa- radox, als es klingt. Ein Krieg zur rechten Zeit kann dieſe Ent- wicklung in wenig Jahren mehr fördern, als Jahrhunderte friedlicher Exiſtenz. Einem Gewitter gleich reinigt er die Luft, macht der politiſchen und moraliſchen Stagnation ein raſches Ende, wirft das morſche Gebäude einer ſchwerfälligen Staats- verfaſſung und drückender ſocialer Inſtitutionen mit einem Stoße zu Boden und macht ſo einen politiſchen und ſocialen Verjüngungsprozeß nothwendig. Was dem alterſchwachen Staat vielleicht das Leben koſtet, dient bei einem andern dazu, ihn zur Anſpannung ſeiner Kräfte zu zwingen, ein neues, friſches Leben in ihm anzuregen. Bei den Römern war der Krieg bekanntlich nicht ein Aus- nahmszuſtand, ſondern die Regel; es war die Schule, in der ſie groß geworden ſind, und deren eigenthümlicher, ſtählender Einfluß ſich auch in ihrem Recht vielfältig erkennen läßt. Schon an der älteſten Verfaſſung, die Rom mitbringt, iſt derſelbe nachweisbar; ſie iſt, möchte ich ſagen, eine Rüſtung, die zwar dem Kriege ihren Urſprung verdankt und für ihn beſtimmt iſt, die Rom aber, um ſtets gerüſtet zu ſein, auch im Frieden nicht ablegt. Dank der kriegeriſchen Geſinnungs- und Lebensweiſe der Römer, die ſie dauernd in dieſer kampfbereiten Lage erhielt, denn darin eben daß dieſe Lage keine vorübergehende, ſondern ein perpetuirliche Schule der militäriſchen Zucht war, lag ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/257
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/257>, abgerufen am 22.11.2024.