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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Einfluß der Wehrverfassung -- das Königthum. §. 17.
Feind verfährt, gegen den wird auch wieder so verfahren, d. h.
der König richtet ihn nach Kriegsrecht, und eine Provokation
ans Volk ist unstatthaft.

Wie weit nun immerhin selbst über diese Gesichtspunkte
hinaus die Strafgerichtsbarkeit des Königs sich ausgedehnt ha-
ben möge, der ursprüngliche Grund und das Gebiet derselben
lag innerhalb der Wehrverfassung. Hier erscheint ihre Bildung
ebenso begreiflich, ja nothwendig, wie sie umgekehrt abgesehn
davon gegenüber den Ideen über vindicta publica räthselhaft
sein würde. Daß sie von hier aus Uebergriffe in das Gebiet
der Strafgerichtsbarkeit des Volks machte, ist gleichfalls er-
klärlich, und ich erblicke in der gegen die Urtheilssprüche der
Könige eingelegten Provokation ans Volk nichts, als eine Ab-
wehr dieser Uebergriffe, eine Reklamation des Volksgerichts in
Fällen, wo der Verurtheilte die Competenz des Königs glaubte
bestreiten zu dürfen 159) und ein Interesse daran hatte, dies zu
thun. Es braucht aber nicht ausgeführt zu werden, daß und
warum bei diesem Conflikt beider Strafgewalten die Lage des
Königs eine unendlich viel günstigere war, als die des Volks,
das erst durch den König zusammenberufen werden mußte.

159) Also nicht eine Appellation an eine höhere Instanz, sondern wenn
man will, eine Nichtigkeitsbeschwerde wegen Incompetenz. Bei militärischen
Vergehn fiel die Provokation aus diesem Grunde hinweg, denn für sie war ja
die Competenz des Königs zweifellos, und hierauf sind die Nachrichten zu be-
ziehen, welche die Zuläßigkeit der Provokation in der Königszeit verneinen.
Bei gemeinen Verbrechen hingegen waren die Volksgerichte competent, und
wenn hier dennoch der König eingeschritten war, so mochte der Verurtheilte
auf sein competentes Gericht provociren; hierauf beziehe ich die Nachrichten,
welche bezeugen, provocationem etiam a regibus fuisse. In dem bekann-
ten Fall des Horatius (Liv. I. 25, 26) enthielt die Verstattung der Provo-
kation eine große Vergünstigung, denn Horatius tödtete die Schwester, als
er mit dem siegreichen Heere in Rom einzog, also als Soldat. Dies war
der Grund, der diese Provokation so auffällig machte, und warum der Vater
des Fabius (Liv. VIII. 33) sich auf sie berief, denn auch er wollte eine Pro-
vokation gegen ein militärisches Vergehen verstattet wissen.

2. Einfluß der Wehrverfaſſung — das Königthum. §. 17.
Feind verfährt, gegen den wird auch wieder ſo verfahren, d. h.
der König richtet ihn nach Kriegsrecht, und eine Provokation
ans Volk iſt unſtatthaft.

Wie weit nun immerhin ſelbſt über dieſe Geſichtspunkte
hinaus die Strafgerichtsbarkeit des Königs ſich ausgedehnt ha-
ben möge, der urſprüngliche Grund und das Gebiet derſelben
lag innerhalb der Wehrverfaſſung. Hier erſcheint ihre Bildung
ebenſo begreiflich, ja nothwendig, wie ſie umgekehrt abgeſehn
davon gegenüber den Ideen über vindicta publica räthſelhaft
ſein würde. Daß ſie von hier aus Uebergriffe in das Gebiet
der Strafgerichtsbarkeit des Volks machte, iſt gleichfalls er-
klärlich, und ich erblicke in der gegen die Urtheilsſprüche der
Könige eingelegten Provokation ans Volk nichts, als eine Ab-
wehr dieſer Uebergriffe, eine Reklamation des Volksgerichts in
Fällen, wo der Verurtheilte die Competenz des Königs glaubte
beſtreiten zu dürfen 159) und ein Intereſſe daran hatte, dies zu
thun. Es braucht aber nicht ausgeführt zu werden, daß und
warum bei dieſem Conflikt beider Strafgewalten die Lage des
Königs eine unendlich viel günſtigere war, als die des Volks,
das erſt durch den König zuſammenberufen werden mußte.

159) Alſo nicht eine Appellation an eine höhere Inſtanz, ſondern wenn
man will, eine Nichtigkeitsbeſchwerde wegen Incompetenz. Bei militäriſchen
Vergehn fiel die Provokation aus dieſem Grunde hinweg, denn für ſie war ja
die Competenz des Königs zweifellos, und hierauf ſind die Nachrichten zu be-
ziehen, welche die Zuläßigkeit der Provokation in der Königszeit verneinen.
Bei gemeinen Verbrechen hingegen waren die Volksgerichte competent, und
wenn hier dennoch der König eingeſchritten war, ſo mochte der Verurtheilte
auf ſein competentes Gericht provociren; hierauf beziehe ich die Nachrichten,
welche bezeugen, provocationem etiam a regibus fuisse. In dem bekann-
ten Fall des Horatius (Liv. I. 25, 26) enthielt die Verſtattung der Provo-
kation eine große Vergünſtigung, denn Horatius tödtete die Schweſter, als
er mit dem ſiegreichen Heere in Rom einzog, alſo als Soldat. Dies war
der Grund, der dieſe Provokation ſo auffällig machte, und warum der Vater
des Fabius (Liv. VIII. 33) ſich auf ſie berief, denn auch er wollte eine Pro-
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[251/0269] 2. Einfluß der Wehrverfaſſung — das Königthum. §. 17. Feind verfährt, gegen den wird auch wieder ſo verfahren, d. h. der König richtet ihn nach Kriegsrecht, und eine Provokation ans Volk iſt unſtatthaft. Wie weit nun immerhin ſelbſt über dieſe Geſichtspunkte hinaus die Strafgerichtsbarkeit des Königs ſich ausgedehnt ha- ben möge, der urſprüngliche Grund und das Gebiet derſelben lag innerhalb der Wehrverfaſſung. Hier erſcheint ihre Bildung ebenſo begreiflich, ja nothwendig, wie ſie umgekehrt abgeſehn davon gegenüber den Ideen über vindicta publica räthſelhaft ſein würde. Daß ſie von hier aus Uebergriffe in das Gebiet der Strafgerichtsbarkeit des Volks machte, iſt gleichfalls er- klärlich, und ich erblicke in der gegen die Urtheilsſprüche der Könige eingelegten Provokation ans Volk nichts, als eine Ab- wehr dieſer Uebergriffe, eine Reklamation des Volksgerichts in Fällen, wo der Verurtheilte die Competenz des Königs glaubte beſtreiten zu dürfen 159) und ein Intereſſe daran hatte, dies zu thun. Es braucht aber nicht ausgeführt zu werden, daß und warum bei dieſem Conflikt beider Strafgewalten die Lage des Königs eine unendlich viel günſtigere war, als die des Volks, das erſt durch den König zuſammenberufen werden mußte. 159) Alſo nicht eine Appellation an eine höhere Inſtanz, ſondern wenn man will, eine Nichtigkeitsbeſchwerde wegen Incompetenz. Bei militäriſchen Vergehn fiel die Provokation aus dieſem Grunde hinweg, denn für ſie war ja die Competenz des Königs zweifellos, und hierauf ſind die Nachrichten zu be- ziehen, welche die Zuläßigkeit der Provokation in der Königszeit verneinen. Bei gemeinen Verbrechen hingegen waren die Volksgerichte competent, und wenn hier dennoch der König eingeſchritten war, ſo mochte der Verurtheilte auf ſein competentes Gericht provociren; hierauf beziehe ich die Nachrichten, welche bezeugen, provocationem etiam a regibus fuisse. In dem bekann- ten Fall des Horatius (Liv. I. 25, 26) enthielt die Verſtattung der Provo- kation eine große Vergünſtigung, denn Horatius tödtete die Schweſter, als er mit dem ſiegreichen Heere in Rom einzog, alſo als Soldat. Dies war der Grund, der dieſe Provokation ſo auffällig machte, und warum der Vater des Fabius (Liv. VIII. 33) ſich auf ſie berief, denn auch er wollte eine Pro- vokation gegen ein militäriſches Vergehen verſtattet wiſſen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/269>, abgerufen am 22.11.2024.