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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
des Friedens und des Aufenthaltes in Rom selbst aber suspen-
dirt. Behielt das Volk seine Qualität als Heer auch in Rom
bei, so dauerte auch die Disciplin und mit ihr die militärische
Strafgewalt fort. Die Disciplin ist aber ein sehr elastischer
Begriff und ließ sich in den Händen eines herrschsüchtigen Kö-
nigs ohne Gewaltsamkeit so spannen, daß von einem dienst-
fähigen Bürger kaum ein Verbrechen begangen werden konnte,
das der König, wenn er wollte, nicht hätte bestrafen dürfen.
Ein zweiter Gesichtspunkt gab dem König eine Strafgewalt
auch über die nicht mehr zum aktiven Herr gehörigen Personen.
Als Befehlshaber der bewaffneten Macht sollte er den Staat
gegen seine Feinde schützen, die öffentliche Sicherheit, wo sie
gestört war, wieder herstellen. Ob diese Feinde aber äußere
oder innere und im letzteren Fall der militärischen Strafgewalt
unterworfen waren oder nicht, machte keinen Unterschied; sie
verfielen gleichmäßig der Schärfe des Schwertes. So wenig
das Volk das Schicksal gefangener Feinde zu bestimmen hatte,
sondern wie dies dem Feldherrn allein überlassen blieb, so auch
die Bestrafung der inneren Feinde. 156) Die Sprache gibt uns
diese Gleichheit beider durch den Ausdruck perduellio 157) zu er-
kennen; perduellis ist die Bethätigung feindseliger Gesinnung
von Seiten eines römischen Bürgers. 158) Wer seinerseits als

156) Daß der König den perduellis richtete, geht aus dem bekannten
Fall des Horatius hervor, ebenso richtet Brutus als Innehaber des impe-
rium
die Verschwornen, welche dem Tarquinius die Stadt verrathen wollten.
Auch im letztern Fall lag eine perduellio vor, und es scheint mir nicht statt-
haft aus den hier und anderwärts gebrauchten Ausdrücken: proditores, pro-
ditio
u. s. w. mit Rubino S. 466 u. s. ein eignes Verbrechen der proditio
im Gegensatz der perduellio zu bilden. Wäre es statthaft, so würde aber
auch dieses Verbrechen nach dem im Text aufgestellten Gesichtspunkt der
Strafgerichtsbarkeit des Königs anheim gefallen sein.
157) Perduellis (von para, sehr, und duellum, dem spätern bellum)
Festus sub voc. hostis apud antiquos peregrinus dicebatur et qui nunc
hostis, perduellis.
158) L. 11 ad leg. Iul. maj. (48. 4): Perduellionis reus est, hostili
animo adversus rem publicam vel principem animatus.

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
des Friedens und des Aufenthaltes in Rom ſelbſt aber ſuspen-
dirt. Behielt das Volk ſeine Qualität als Heer auch in Rom
bei, ſo dauerte auch die Disciplin und mit ihr die militäriſche
Strafgewalt fort. Die Disciplin iſt aber ein ſehr elaſtiſcher
Begriff und ließ ſich in den Händen eines herrſchſüchtigen Kö-
nigs ohne Gewaltſamkeit ſo ſpannen, daß von einem dienſt-
fähigen Bürger kaum ein Verbrechen begangen werden konnte,
das der König, wenn er wollte, nicht hätte beſtrafen dürfen.
Ein zweiter Geſichtspunkt gab dem König eine Strafgewalt
auch über die nicht mehr zum aktiven Herr gehörigen Perſonen.
Als Befehlshaber der bewaffneten Macht ſollte er den Staat
gegen ſeine Feinde ſchützen, die öffentliche Sicherheit, wo ſie
geſtört war, wieder herſtellen. Ob dieſe Feinde aber äußere
oder innere und im letzteren Fall der militäriſchen Strafgewalt
unterworfen waren oder nicht, machte keinen Unterſchied; ſie
verfielen gleichmäßig der Schärfe des Schwertes. So wenig
das Volk das Schickſal gefangener Feinde zu beſtimmen hatte,
ſondern wie dies dem Feldherrn allein überlaſſen blieb, ſo auch
die Beſtrafung der inneren Feinde. 156) Die Sprache gibt uns
dieſe Gleichheit beider durch den Ausdruck perduellio 157) zu er-
kennen; perduellis iſt die Bethätigung feindſeliger Geſinnung
von Seiten eines römiſchen Bürgers. 158) Wer ſeinerſeits als

156) Daß der König den perduellis richtete, geht aus dem bekannten
Fall des Horatius hervor, ebenſo richtet Brutus als Innehaber des impe-
rium
die Verſchwornen, welche dem Tarquinius die Stadt verrathen wollten.
Auch im letztern Fall lag eine perduellio vor, und es ſcheint mir nicht ſtatt-
haft aus den hier und anderwärts gebrauchten Ausdrücken: proditores, pro-
ditio
u. ſ. w. mit Rubino S. 466 u. ſ. ein eignes Verbrechen der proditio
im Gegenſatz der perduellio zu bilden. Wäre es ſtatthaft, ſo würde aber
auch dieſes Verbrechen nach dem im Text aufgeſtellten Geſichtspunkt der
Strafgerichtsbarkeit des Königs anheim gefallen ſein.
157) Perduellis (von para, ſehr, und duellum, dem ſpätern bellum)
Festus sub voc. hostis apud antiquos peregrinus dicebatur et qui nunc
hostis, perduellis.
158) L. 11 ad leg. Iul. maj. (48. 4): Perduellionis reus est, hostili
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[250/0268] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. des Friedens und des Aufenthaltes in Rom ſelbſt aber ſuspen- dirt. Behielt das Volk ſeine Qualität als Heer auch in Rom bei, ſo dauerte auch die Disciplin und mit ihr die militäriſche Strafgewalt fort. Die Disciplin iſt aber ein ſehr elaſtiſcher Begriff und ließ ſich in den Händen eines herrſchſüchtigen Kö- nigs ohne Gewaltſamkeit ſo ſpannen, daß von einem dienſt- fähigen Bürger kaum ein Verbrechen begangen werden konnte, das der König, wenn er wollte, nicht hätte beſtrafen dürfen. Ein zweiter Geſichtspunkt gab dem König eine Strafgewalt auch über die nicht mehr zum aktiven Herr gehörigen Perſonen. Als Befehlshaber der bewaffneten Macht ſollte er den Staat gegen ſeine Feinde ſchützen, die öffentliche Sicherheit, wo ſie geſtört war, wieder herſtellen. Ob dieſe Feinde aber äußere oder innere und im letzteren Fall der militäriſchen Strafgewalt unterworfen waren oder nicht, machte keinen Unterſchied; ſie verfielen gleichmäßig der Schärfe des Schwertes. So wenig das Volk das Schickſal gefangener Feinde zu beſtimmen hatte, ſondern wie dies dem Feldherrn allein überlaſſen blieb, ſo auch die Beſtrafung der inneren Feinde. 156) Die Sprache gibt uns dieſe Gleichheit beider durch den Ausdruck perduellio 157) zu er- kennen; perduellis iſt die Bethätigung feindſeliger Geſinnung von Seiten eines römiſchen Bürgers. 158) Wer ſeinerſeits als 156) Daß der König den perduellis richtete, geht aus dem bekannten Fall des Horatius hervor, ebenſo richtet Brutus als Innehaber des impe- rium die Verſchwornen, welche dem Tarquinius die Stadt verrathen wollten. Auch im letztern Fall lag eine perduellio vor, und es ſcheint mir nicht ſtatt- haft aus den hier und anderwärts gebrauchten Ausdrücken: proditores, pro- ditio u. ſ. w. mit Rubino S. 466 u. ſ. ein eignes Verbrechen der proditio im Gegenſatz der perduellio zu bilden. Wäre es ſtatthaft, ſo würde aber auch dieſes Verbrechen nach dem im Text aufgeſtellten Geſichtspunkt der Strafgerichtsbarkeit des Königs anheim gefallen ſein. 157) Perduellis (von para, ſehr, und duellum, dem ſpätern bellum) Festus sub voc. hostis apud antiquos peregrinus dicebatur et qui nunc hostis, perduellis. 158) L. 11 ad leg. Iul. maj. (48. 4): Perduellionis reus est, hostili animo adversus rem publicam vel principem animatus.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/268>, abgerufen am 22.11.2024.