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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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3. Das religiöse Prinzip -- das Fas. §. 18.
berufen ist, um so früher kann es jener Beihülfe der Religion
entrathen, um so früher gelangt es dazu, Staat und Recht
ihrer selbst, nicht der Götter wegen zu achten und heilig zu
halten.

Wir haben nun ein Volk vor uns, das einerseits ebenso
sehr zur Cultur jener beiden Institutionen prädestinirt war, wie
es andererseits dauernd der Religion die größte Beachtung
schenkte. Erst bei der Charakteristik des römischen Geistes (§. 20)
werden wir Gelegenheit haben, das praktische Verhältniß, in
dem die Religion zur römischen Welt stand, zu untersuchen, hier
hingegen, wo uns noch die Ausgangspunkte des römischen
Rechts beschäftigen, die vielleicht weit über Rom hinaufreichen,
beschränken wir uns auf den Antheil, den das religiöse Prinzip
am Bau jener Welt genommen hat, auf die Spuren des reli-
giösen Einflusses im ältesten Recht und Staat. Dieser Ein-
fluß hat sich im Laufe der Zeit ehr vermindert, als vermehrt;
wo also der Zufall der historischen Ueberlieferung uns denselben
erst in späterer Zeit wahrnehmbar macht, dürfen wir ihn min-
destens in demselben Umfang auch für die älteste Zeit annehmen.

Wir beginnen unsere Darstellung mit dem Begriff, der alle
Einflüsse der Religion auf Staat und Recht in sich begreift, es
ist der des Fas. 164) Das Fas schließt sowohl die Religion, so-
weit sie rechtliche Gestaltung annimmt, also in unserer heutigen
Sprache das Kirchenrecht in sich, als das Privat- und öffent-
liche Recht, soweit es eine religiöse Beziehung hat -- ein Unter-
schied, den wir benutzen können, um uns den Umfang des Fas

164) Die Sanskrit-Wurzel bha, von der man dies Wort abzuleiten
pflegt, bedeutet: scheinen, daher auch das griech. phainein und phaos das
Licht. Pott a. a. O. S. 194: Verwandt damit sind phemi und fari von
der Wurzel bhash (sprechen). Pott S. 271. Es waltet hier ein ähnlicher
Zusammenhang zwischen scheinen, zeigen und sagen (mit Worten zeigen),
wie bei dicere (S. 153 Anm. 69). Fas ist etymologisch also entweder
das Scheinende, das Licht, oder eine Weisung (der Götter), ein Götter-
ausspruch, wie fatum.
Jhering, Geist d. röm. Rechts. 17

3. Das religiöſe Prinzip — das Fas. §. 18.
berufen iſt, um ſo früher kann es jener Beihülfe der Religion
entrathen, um ſo früher gelangt es dazu, Staat und Recht
ihrer ſelbſt, nicht der Götter wegen zu achten und heilig zu
halten.

Wir haben nun ein Volk vor uns, das einerſeits ebenſo
ſehr zur Cultur jener beiden Inſtitutionen prädeſtinirt war, wie
es andererſeits dauernd der Religion die größte Beachtung
ſchenkte. Erſt bei der Charakteriſtik des römiſchen Geiſtes (§. 20)
werden wir Gelegenheit haben, das praktiſche Verhältniß, in
dem die Religion zur römiſchen Welt ſtand, zu unterſuchen, hier
hingegen, wo uns noch die Ausgangspunkte des römiſchen
Rechts beſchäftigen, die vielleicht weit über Rom hinaufreichen,
beſchränken wir uns auf den Antheil, den das religiöſe Prinzip
am Bau jener Welt genommen hat, auf die Spuren des reli-
giöſen Einfluſſes im älteſten Recht und Staat. Dieſer Ein-
fluß hat ſich im Laufe der Zeit ehr vermindert, als vermehrt;
wo alſo der Zufall der hiſtoriſchen Ueberlieferung uns denſelben
erſt in ſpäterer Zeit wahrnehmbar macht, dürfen wir ihn min-
deſtens in demſelben Umfang auch für die älteſte Zeit annehmen.

Wir beginnen unſere Darſtellung mit dem Begriff, der alle
Einflüſſe der Religion auf Staat und Recht in ſich begreift, es
iſt der des Fas. 164) Das Fas ſchließt ſowohl die Religion, ſo-
weit ſie rechtliche Geſtaltung annimmt, alſo in unſerer heutigen
Sprache das Kirchenrecht in ſich, als das Privat- und öffent-
liche Recht, ſoweit es eine religiöſe Beziehung hat — ein Unter-
ſchied, den wir benutzen können, um uns den Umfang des Fas

164) Die Sanskrit-Wurzel bhâ, von der man dies Wort abzuleiten
pflegt, bedeutet: ſcheinen, daher auch das griech. φαίνειν und φάος das
Licht. Pott a. a. O. S. 194: Verwandt damit ſind φημί und fari von
der Wurzel bhash (ſprechen). Pott S. 271. Es waltet hier ein ähnlicher
Zuſammenhang zwiſchen ſcheinen, zeigen und ſagen (mit Worten zeigen),
wie bei dicere (S. 153 Anm. 69). Fas iſt etymologiſch alſo entweder
das Scheinende, das Licht, oder eine Weiſung (der Götter), ein Götter-
ausſpruch, wie fatum.
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. 17
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[257/0275] 3. Das religiöſe Prinzip — das Fas. §. 18. berufen iſt, um ſo früher kann es jener Beihülfe der Religion entrathen, um ſo früher gelangt es dazu, Staat und Recht ihrer ſelbſt, nicht der Götter wegen zu achten und heilig zu halten. Wir haben nun ein Volk vor uns, das einerſeits ebenſo ſehr zur Cultur jener beiden Inſtitutionen prädeſtinirt war, wie es andererſeits dauernd der Religion die größte Beachtung ſchenkte. Erſt bei der Charakteriſtik des römiſchen Geiſtes (§. 20) werden wir Gelegenheit haben, das praktiſche Verhältniß, in dem die Religion zur römiſchen Welt ſtand, zu unterſuchen, hier hingegen, wo uns noch die Ausgangspunkte des römiſchen Rechts beſchäftigen, die vielleicht weit über Rom hinaufreichen, beſchränken wir uns auf den Antheil, den das religiöſe Prinzip am Bau jener Welt genommen hat, auf die Spuren des reli- giöſen Einfluſſes im älteſten Recht und Staat. Dieſer Ein- fluß hat ſich im Laufe der Zeit ehr vermindert, als vermehrt; wo alſo der Zufall der hiſtoriſchen Ueberlieferung uns denſelben erſt in ſpäterer Zeit wahrnehmbar macht, dürfen wir ihn min- deſtens in demſelben Umfang auch für die älteſte Zeit annehmen. Wir beginnen unſere Darſtellung mit dem Begriff, der alle Einflüſſe der Religion auf Staat und Recht in ſich begreift, es iſt der des Fas. 164) Das Fas ſchließt ſowohl die Religion, ſo- weit ſie rechtliche Geſtaltung annimmt, alſo in unſerer heutigen Sprache das Kirchenrecht in ſich, als das Privat- und öffent- liche Recht, ſoweit es eine religiöſe Beziehung hat — ein Unter- ſchied, den wir benutzen können, um uns den Umfang des Fas 164) Die Sanskrit-Wurzel bhâ, von der man dies Wort abzuleiten pflegt, bedeutet: ſcheinen, daher auch das griech. φαίνειν und φάος das Licht. Pott a. a. O. S. 194: Verwandt damit ſind φημί und fari von der Wurzel bhash (ſprechen). Pott S. 271. Es waltet hier ein ähnlicher Zuſammenhang zwiſchen ſcheinen, zeigen und ſagen (mit Worten zeigen), wie bei dicere (S. 153 Anm. 69). Fas iſt etymologiſch alſo entweder das Scheinende, das Licht, oder eine Weiſung (der Götter), ein Götter- ausſpruch, wie fatum. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. 17

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/275>, abgerufen am 22.11.2024.