Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. klar zu machen, der übrigens im Fas selbst nicht hervortritt. Zudem Jus, das wir in §. 15 haben kennen lernen, gesellt sich also im Fas ein Seitenstück, und dieser Gegensatz ist von hoher Bedeutung. Er zeigt uns, daß die Scheidung zwischen profa- nem und religiösem Recht, die wir im Orient vergebens suchen, in Rom von altersher vollbracht ist. Nicht das ganze Recht hat einen religiösen Charakter, die Stellte dieser Dualismus sich nun auch äußerlich dar durch Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. klar zu machen, der übrigens im Fas ſelbſt nicht hervortritt. Zudem Jus, das wir in §. 15 haben kennen lernen, geſellt ſich alſo im Fas ein Seitenſtück, und dieſer Gegenſatz iſt von hoher Bedeutung. Er zeigt uns, daß die Scheidung zwiſchen profa- nem und religiöſem Recht, die wir im Orient vergebens ſuchen, in Rom von altersher vollbracht iſt. Nicht das ganze Recht hat einen religiöſen Charakter, die Stellte dieſer Dualismus ſich nun auch äußerlich dar durch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0276" n="258"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.</fw><lb/> klar zu machen, der übrigens im <hi rendition="#aq">Fas</hi> ſelbſt nicht hervortritt. Zu<lb/> dem <hi rendition="#aq">Jus,</hi> das wir in §. 15 haben kennen lernen, geſellt ſich alſo<lb/> im <hi rendition="#aq">Fas</hi> ein Seitenſtück, und <hi rendition="#g">dieſer</hi> Gegenſatz iſt von hoher<lb/> Bedeutung. Er zeigt uns, daß die Scheidung zwiſchen profa-<lb/> nem und religiöſem Recht, die wir im Orient vergebens ſuchen,<lb/> in Rom von altersher vollbracht iſt.</p><lb/> <p>Nicht das ganze Recht hat einen religiöſen Charakter, die<lb/> religiöſe Subſtanz durchdringt, wenn ich ſo ſagen darf, nicht<lb/> mehr den ganzen Organismus, ſondern Gott und Menſchen,<lb/> Religion und Staat haben ſich bereits getheilt, eine Gränzſchei-<lb/> dung vorgenommen. Das <hi rendition="#aq">Jus</hi> iſt Menſchenſatzung und als<lb/> ſolche veränderlich, bildſam. Die bindende Kraft deſſelben be-<lb/> ruht auf der gemeinſamen Vereinbarung des Volks, die Nicht-<lb/> achtung deſſelben verletzt bloß menſchliche Intereſſen. Das <hi rendition="#aq">Fas</hi><lb/> hingegen ſtützt ſich auf den Willen der Götter, iſt alſo unabän-<lb/> derlich, inſoweit nicht die Götter ſelbſt eine Neuerung belieben;<lb/> die Uebertretung deſſelben enthält einen Frevel gegen die Göt-<lb/> ter. Mit dem <hi rendition="#aq">Fas</hi> blickt das römiſche Recht, möchte ich ſagen,<lb/> nach dem Orient, mit dem <hi rendition="#aq">Jus</hi> nach dem Occident; jenes iſt<lb/> die ſtabile, dieſes die progreſſive Seite deſſelben. So bewährt<lb/> alſo dieſer ſprachlich ausgeprägte, d. h. zum Bewußtſein ge-<lb/> kommene Dualismus des Rechts, dem wir beim erſten Eintritt<lb/> in unſer Gebiet begegnen, bereits die zerſetzende Kraft des rö-<lb/> miſchen Geiſtes. In culturhiſtoriſcher Beziehung iſt er eine ſehr<lb/> beachtenswerthe Erſcheinung und bezeichnet einen höchſt wich-<lb/> tigen Fortſchritt des menſchlichen Selbſtbewußtſeins.</p><lb/> <p>Stellte dieſer Dualismus ſich nun auch äußerlich dar durch<lb/> eine Verſchiedenheit der Behörden, die die beiden Seiten des<lb/> Rechts zur Anwendung zu bringen hatten? Allerdings. Zwar<lb/> ſchloß das Königthum an ſich auch die volle geiſtliche Gewalt<lb/> in ſich, allein wenn ſchon Romulus nach der Sage aus jeder<lb/> Tribus einen Augur beſtellt, wenn Numa das Pontificalcolle-<lb/> gium und Ancus die Fetialen einführt, ſo heißt das nichts an-<lb/> ders, als die Einſetzung dieſer drei geiſtlichen Aemter verliert<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [258/0276]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
klar zu machen, der übrigens im Fas ſelbſt nicht hervortritt. Zu
dem Jus, das wir in §. 15 haben kennen lernen, geſellt ſich alſo
im Fas ein Seitenſtück, und dieſer Gegenſatz iſt von hoher
Bedeutung. Er zeigt uns, daß die Scheidung zwiſchen profa-
nem und religiöſem Recht, die wir im Orient vergebens ſuchen,
in Rom von altersher vollbracht iſt.
Nicht das ganze Recht hat einen religiöſen Charakter, die
religiöſe Subſtanz durchdringt, wenn ich ſo ſagen darf, nicht
mehr den ganzen Organismus, ſondern Gott und Menſchen,
Religion und Staat haben ſich bereits getheilt, eine Gränzſchei-
dung vorgenommen. Das Jus iſt Menſchenſatzung und als
ſolche veränderlich, bildſam. Die bindende Kraft deſſelben be-
ruht auf der gemeinſamen Vereinbarung des Volks, die Nicht-
achtung deſſelben verletzt bloß menſchliche Intereſſen. Das Fas
hingegen ſtützt ſich auf den Willen der Götter, iſt alſo unabän-
derlich, inſoweit nicht die Götter ſelbſt eine Neuerung belieben;
die Uebertretung deſſelben enthält einen Frevel gegen die Göt-
ter. Mit dem Fas blickt das römiſche Recht, möchte ich ſagen,
nach dem Orient, mit dem Jus nach dem Occident; jenes iſt
die ſtabile, dieſes die progreſſive Seite deſſelben. So bewährt
alſo dieſer ſprachlich ausgeprägte, d. h. zum Bewußtſein ge-
kommene Dualismus des Rechts, dem wir beim erſten Eintritt
in unſer Gebiet begegnen, bereits die zerſetzende Kraft des rö-
miſchen Geiſtes. In culturhiſtoriſcher Beziehung iſt er eine ſehr
beachtenswerthe Erſcheinung und bezeichnet einen höchſt wich-
tigen Fortſchritt des menſchlichen Selbſtbewußtſeins.
Stellte dieſer Dualismus ſich nun auch äußerlich dar durch
eine Verſchiedenheit der Behörden, die die beiden Seiten des
Rechts zur Anwendung zu bringen hatten? Allerdings. Zwar
ſchloß das Königthum an ſich auch die volle geiſtliche Gewalt
in ſich, allein wenn ſchon Romulus nach der Sage aus jeder
Tribus einen Augur beſtellt, wenn Numa das Pontificalcolle-
gium und Ancus die Fetialen einführt, ſo heißt das nichts an-
ders, als die Einſetzung dieſer drei geiſtlichen Aemter verliert
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