Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.3. Das religiöse Prinzip -- Staatsreligion. §. 18. litische Verbindung ohne religiöse ist den Rö-mern undenkbar, daher hat nicht bloß jede Gens, Curie und Tribus ihre besondere Gottesverehrung, sondern wenn Rom mit andern Völkern eine dauernde politische Gemeinschaft eingehen will, so muß auch eine religiöse Gemeinschaft begrün- det werden. Aus diesem Grunde nimmt Rom die Götter aller Völker, die es mit sich vereinigt, in sich auf, wie es seinerseits letztere zum Jupiter Capitolinus als dem Schirmherrn des ge- sammten römischen Staates zuläßt. Die Götter sind Staats- götter; ihr Gebiet kann nicht weiter reichen, als das des Staats, aber nothwendigerweise auch so weit, als dieses, so daß es sich in demselben Maße erweitert, als der Staat sich ausdehnt, und andererseits verengt, so weit dies bei letzterm der Fall ist. Politische Trennung des Volks hob daher die ur- sprünglich nationelle Einheit des Cultus auf, 190) mit jedem Staat, der sich in mehre auflöste, spaltete sich auch die Gott- heit in ebenso viel besondere sich fortan fremd gegenüberstehende Götter. Politische und religiöse Peregrinität deckten sich, wie umgekehrt politische und religiöse Gemeinschaft. Der Nicht- 190) Ich kann mir nicht versagen aus den an trefflichen Aufschlüssen
reichen "Studien und Andeutungen im Gebiete des altrömischen Bodens und Cultus" von Ambrosch Heft 1. Bresl. 1839 eine hierher gehörige Bemerkung abdrucken zu lassen: "War auch, heißt es dort S. 178, Jupiter und Juno aus einer allen Lateinern gemeinsamen Anschauung hervorgegangen, so wurde doch diese Einheit der Anschauung zu einer vielfachen, als in Alba, Präneste, Gabii, Rom sich ein politisches Leben gestaltete; der Nationalgott wurde ein römischer, gabinischer u. s. w. somit auch die religio Gabina für Rom eine peregrina, kurz: die ursprünglich-nationelle Einheit des Cul- tus durch die politische Sonderung des Volks aufgeho- ben, so daß, falls nun die Glieder der Nation sich wieder im Lauf ihrer po- litischen Entwicklung begegneten, die Gemeinschaft der Götter erst nach einem völkerrechtlichen Vertrag eintreten konnte. Natürlich war dies Ver- hältniß der Peregrinität ein gegenseitiges. Der Römer galt in Lavi- nium vor dem letzten Frieden mit den Lateinern in Bezug auf die sacra La- nuvina als Fremder, wie der Lanuviner in Rom in Bezug auf die sacra pu- blica des römischen Volks." 3. Das religiöſe Prinzip — Staatsreligion. §. 18. litiſche Verbindung ohne religiöſe iſt den Rö-mern undenkbar, daher hat nicht bloß jede Gens, Curie und Tribus ihre beſondere Gottesverehrung, ſondern wenn Rom mit andern Völkern eine dauernde politiſche Gemeinſchaft eingehen will, ſo muß auch eine religiöſe Gemeinſchaft begrün- det werden. Aus dieſem Grunde nimmt Rom die Götter aller Völker, die es mit ſich vereinigt, in ſich auf, wie es ſeinerſeits letztere zum Jupiter Capitolinus als dem Schirmherrn des ge- ſammten römiſchen Staates zuläßt. Die Götter ſind Staats- götter; ihr Gebiet kann nicht weiter reichen, als das des Staats, aber nothwendigerweiſe auch ſo weit, als dieſes, ſo daß es ſich in demſelben Maße erweitert, als der Staat ſich ausdehnt, und andererſeits verengt, ſo weit dies bei letzterm der Fall iſt. Politiſche Trennung des Volks hob daher die ur- ſprünglich nationelle Einheit des Cultus auf, 190) mit jedem Staat, der ſich in mehre auflöſte, ſpaltete ſich auch die Gott- heit in ebenſo viel beſondere ſich fortan fremd gegenüberſtehende Götter. Politiſche und religiöſe Peregrinität deckten ſich, wie umgekehrt politiſche und religiöſe Gemeinſchaft. Der Nicht- 190) Ich kann mir nicht verſagen aus den an trefflichen Aufſchlüſſen
reichen „Studien und Andeutungen im Gebiete des altrömiſchen Bodens und Cultus“ von Ambroſch Heft 1. Bresl. 1839 eine hierher gehörige Bemerkung abdrucken zu laſſen: „War auch, heißt es dort S. 178, Jupiter und Juno aus einer allen Lateinern gemeinſamen Anſchauung hervorgegangen, ſo wurde doch dieſe Einheit der Anſchauung zu einer vielfachen, als in Alba, Präneſte, Gabii, Rom ſich ein politiſches Leben geſtaltete; der Nationalgott wurde ein römiſcher, gabiniſcher u. ſ. w. ſomit auch die religio Gabina für Rom eine peregrina, kurz: die urſprünglich-nationelle Einheit des Cul- tus durch die politiſche Sonderung des Volks aufgeho- ben, ſo daß, falls nun die Glieder der Nation ſich wieder im Lauf ihrer po- litiſchen Entwicklung begegneten, die Gemeinſchaft der Götter erſt nach einem völkerrechtlichen Vertrag eintreten konnte. Natürlich war dies Ver- hältniß der Peregrinität ein gegenſeitiges. Der Römer galt in Lavi- nium vor dem letzten Frieden mit den Lateinern in Bezug auf die sacra La- nuvina als Fremder, wie der Lanuviner in Rom in Bezug auf die sacra pu- blica des römiſchen Volks.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0287" n="269"/><fw place="top" type="header">3. Das religiöſe Prinzip — Staatsreligion. §. 18.</fw><lb/><hi rendition="#g">litiſche Verbindung ohne religiöſe iſt den Rö-<lb/> mern undenkbar</hi>, daher hat nicht bloß jede Gens, Curie<lb/> und Tribus ihre beſondere Gottesverehrung, ſondern wenn<lb/> Rom mit andern Völkern eine dauernde politiſche Gemeinſchaft<lb/> eingehen will, ſo muß auch eine religiöſe Gemeinſchaft begrün-<lb/> det werden. Aus dieſem Grunde nimmt Rom die Götter aller<lb/> Völker, die es mit ſich vereinigt, in ſich auf, wie es ſeinerſeits<lb/> letztere zum Jupiter Capitolinus als dem Schirmherrn des ge-<lb/> ſammten römiſchen Staates zuläßt. Die Götter ſind Staats-<lb/> götter; ihr Gebiet kann nicht weiter reichen, als das des<lb/> Staats, aber nothwendigerweiſe auch ſo weit, als dieſes, ſo<lb/> daß es ſich in demſelben Maße erweitert, als der Staat ſich<lb/> ausdehnt, und andererſeits verengt, ſo weit dies bei letzterm<lb/> der Fall iſt. Politiſche Trennung des Volks hob daher die ur-<lb/> ſprünglich nationelle Einheit des Cultus auf, <note place="foot" n="190)">Ich kann mir nicht verſagen aus den an trefflichen Aufſchlüſſen<lb/> reichen „Studien und Andeutungen im Gebiete des altrömiſchen Bodens und<lb/> Cultus“ von Ambroſch Heft 1. Bresl. 1839 eine hierher gehörige Bemerkung<lb/> abdrucken zu laſſen: „War auch, heißt es dort S. 178, Jupiter und Juno<lb/> aus einer allen Lateinern gemeinſamen Anſchauung hervorgegangen, ſo wurde<lb/> doch dieſe Einheit der Anſchauung zu einer vielfachen, als in Alba, Präneſte,<lb/> Gabii, Rom ſich ein politiſches Leben geſtaltete; der Nationalgott wurde ein<lb/> römiſcher, gabiniſcher u. ſ. w. ſomit auch die <hi rendition="#aq">religio Gabina</hi> für Rom eine<lb/><hi rendition="#aq">peregrina,</hi> kurz: die <hi rendition="#g">urſprünglich-nationelle Einheit des Cul-<lb/> tus durch die politiſche Sonderung des Volks aufgeho-<lb/> ben</hi>, ſo daß, falls nun die Glieder der Nation ſich wieder im Lauf ihrer po-<lb/> litiſchen Entwicklung begegneten, die Gemeinſchaft der Götter erſt nach einem<lb/><hi rendition="#g">völkerrechtlichen Vertrag</hi> eintreten konnte. Natürlich war dies Ver-<lb/> hältniß der Peregrinität ein <hi rendition="#g">gegenſeitiges</hi>. Der Römer galt in Lavi-<lb/> nium vor dem letzten Frieden mit den Lateinern in Bezug auf die <hi rendition="#aq">sacra La-<lb/> nuvina</hi> als Fremder, wie der Lanuviner in Rom in Bezug auf die <hi rendition="#aq">sacra pu-<lb/> blica</hi> des römiſchen Volks.“</note> mit jedem<lb/> Staat, der ſich in mehre auflöſte, ſpaltete ſich auch die Gott-<lb/> heit in ebenſo viel beſondere ſich fortan fremd gegenüberſtehende<lb/> Götter. Politiſche und religiöſe Peregrinität deckten ſich, wie<lb/> umgekehrt politiſche und religiöſe Gemeinſchaft. Der Nicht-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [269/0287]
3. Das religiöſe Prinzip — Staatsreligion. §. 18.
litiſche Verbindung ohne religiöſe iſt den Rö-
mern undenkbar, daher hat nicht bloß jede Gens, Curie
und Tribus ihre beſondere Gottesverehrung, ſondern wenn
Rom mit andern Völkern eine dauernde politiſche Gemeinſchaft
eingehen will, ſo muß auch eine religiöſe Gemeinſchaft begrün-
det werden. Aus dieſem Grunde nimmt Rom die Götter aller
Völker, die es mit ſich vereinigt, in ſich auf, wie es ſeinerſeits
letztere zum Jupiter Capitolinus als dem Schirmherrn des ge-
ſammten römiſchen Staates zuläßt. Die Götter ſind Staats-
götter; ihr Gebiet kann nicht weiter reichen, als das des
Staats, aber nothwendigerweiſe auch ſo weit, als dieſes, ſo
daß es ſich in demſelben Maße erweitert, als der Staat ſich
ausdehnt, und andererſeits verengt, ſo weit dies bei letzterm
der Fall iſt. Politiſche Trennung des Volks hob daher die ur-
ſprünglich nationelle Einheit des Cultus auf, 190) mit jedem
Staat, der ſich in mehre auflöſte, ſpaltete ſich auch die Gott-
heit in ebenſo viel beſondere ſich fortan fremd gegenüberſtehende
Götter. Politiſche und religiöſe Peregrinität deckten ſich, wie
umgekehrt politiſche und religiöſe Gemeinſchaft. Der Nicht-
190) Ich kann mir nicht verſagen aus den an trefflichen Aufſchlüſſen
reichen „Studien und Andeutungen im Gebiete des altrömiſchen Bodens und
Cultus“ von Ambroſch Heft 1. Bresl. 1839 eine hierher gehörige Bemerkung
abdrucken zu laſſen: „War auch, heißt es dort S. 178, Jupiter und Juno
aus einer allen Lateinern gemeinſamen Anſchauung hervorgegangen, ſo wurde
doch dieſe Einheit der Anſchauung zu einer vielfachen, als in Alba, Präneſte,
Gabii, Rom ſich ein politiſches Leben geſtaltete; der Nationalgott wurde ein
römiſcher, gabiniſcher u. ſ. w. ſomit auch die religio Gabina für Rom eine
peregrina, kurz: die urſprünglich-nationelle Einheit des Cul-
tus durch die politiſche Sonderung des Volks aufgeho-
ben, ſo daß, falls nun die Glieder der Nation ſich wieder im Lauf ihrer po-
litiſchen Entwicklung begegneten, die Gemeinſchaft der Götter erſt nach einem
völkerrechtlichen Vertrag eintreten konnte. Natürlich war dies Ver-
hältniß der Peregrinität ein gegenſeitiges. Der Römer galt in Lavi-
nium vor dem letzten Frieden mit den Lateinern in Bezug auf die sacra La-
nuvina als Fremder, wie der Lanuviner in Rom in Bezug auf die sacra pu-
blica des römiſchen Volks.“
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