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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
bürger kann die Götter Roms nicht verehren, der Bür-
ger muß es, durch Anbetung fremder Götter würde er seine
staatsbürgerlichen Pflichten verletzen.

Wer den Staat oder irgend eine politische Einheit repräsen-
tirt, vertritt dieselben auch den Göttern gegenüber, die Beam-
ten sind geborne Priester; die religiösen Functionen bilden
fortwährend einen nothwendigen Bestandtheil ihrer Amtsthä-
tigkeit. Die Kenntniß des Ritus mögen sie sich immerhin von
Personen des geistlichen Standes suppeditiren lassen, aber die
religiöse Handlung selbst geht von ihnen aus, die Fähigkeit ist
ihnen durch das Staatsamt verliehen. Der König, wie später
der Consul, opfert und stellt die Auspicien an in Rom wie im
Felde.

Sich die Gunst der Götter zu erhalten, ist die erste Sorge
des Staats, 191) und mit Aengstlichkeit wacht er ihres Dien-
stes. Opfer, Feste und Spiele reihen sich eins ans andere, jede
Unthat, jedes Versehn, das die Götter reizen könnte, wird
gesühnt, jedes Zeichen und Wunder, aus dem sich ihr Wille
entnehmen läßt, beachtet, und wenn sie dennoch zürnen d. h.
wenn Rom Unglück hat, so erschöpfen sich Priester und Zei-
chendeuter in Nachforschungen, um den Grund zu ermitteln,
und Volk, Senat und Beamte in Gelübden, Beschlüssen und
wohlgefälligen Werken, um die Götter wieder geneigt zu
machen. Bei jeder wichtigen Unternehmung versichert man sich
zuerst durch Auspicien ihrer Zustimmung, Opfer und Gebet er-
öffnen die Verhandlungen, und je nach Art derselben sind im
Fas die Tage bestimmt, an denen sie Statt finden können. Auch
zu weltlichem Thun versammelt man sich an heiliger Stätte; so
diente den Curien und dem Senat ein Tempel zum Versamm-

191) Liv. XXX VIII, 48: civitas, quae omnibus rebus incipiendis
gerendisque deos adhibet. Cicero de nat. deor. II, 2: civitas, quae
nunquam profecto sine summa placatione deorum immortalium tanta
esse potuisset.

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
bürger kann die Götter Roms nicht verehren, der Bür-
ger muß es, durch Anbetung fremder Götter würde er ſeine
ſtaatsbürgerlichen Pflichten verletzen.

Wer den Staat oder irgend eine politiſche Einheit repräſen-
tirt, vertritt dieſelben auch den Göttern gegenüber, die Beam-
ten ſind geborne Prieſter; die religiöſen Functionen bilden
fortwährend einen nothwendigen Beſtandtheil ihrer Amtsthä-
tigkeit. Die Kenntniß des Ritus mögen ſie ſich immerhin von
Perſonen des geiſtlichen Standes ſuppeditiren laſſen, aber die
religiöſe Handlung ſelbſt geht von ihnen aus, die Fähigkeit iſt
ihnen durch das Staatsamt verliehen. Der König, wie ſpäter
der Conſul, opfert und ſtellt die Auſpicien an in Rom wie im
Felde.

Sich die Gunſt der Götter zu erhalten, iſt die erſte Sorge
des Staats, 191) und mit Aengſtlichkeit wacht er ihres Dien-
ſtes. Opfer, Feſte und Spiele reihen ſich eins ans andere, jede
Unthat, jedes Verſehn, das die Götter reizen könnte, wird
geſühnt, jedes Zeichen und Wunder, aus dem ſich ihr Wille
entnehmen läßt, beachtet, und wenn ſie dennoch zürnen d. h.
wenn Rom Unglück hat, ſo erſchöpfen ſich Prieſter und Zei-
chendeuter in Nachforſchungen, um den Grund zu ermitteln,
und Volk, Senat und Beamte in Gelübden, Beſchlüſſen und
wohlgefälligen Werken, um die Götter wieder geneigt zu
machen. Bei jeder wichtigen Unternehmung verſichert man ſich
zuerſt durch Auſpicien ihrer Zuſtimmung, Opfer und Gebet er-
öffnen die Verhandlungen, und je nach Art derſelben ſind im
Fas die Tage beſtimmt, an denen ſie Statt finden können. Auch
zu weltlichem Thun verſammelt man ſich an heiliger Stätte; ſo
diente den Curien und dem Senat ein Tempel zum Verſamm-

191) Liv. XXX VIII, 48: civitas, quae omnibus rebus incipiendis
gerendisque deos adhibet. Cicero de nat. deor. II, 2: civitas, quae
nunquam profecto sine summa placatione deorum immortalium tanta
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[270/0288] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. bürger kann die Götter Roms nicht verehren, der Bür- ger muß es, durch Anbetung fremder Götter würde er ſeine ſtaatsbürgerlichen Pflichten verletzen. Wer den Staat oder irgend eine politiſche Einheit repräſen- tirt, vertritt dieſelben auch den Göttern gegenüber, die Beam- ten ſind geborne Prieſter; die religiöſen Functionen bilden fortwährend einen nothwendigen Beſtandtheil ihrer Amtsthä- tigkeit. Die Kenntniß des Ritus mögen ſie ſich immerhin von Perſonen des geiſtlichen Standes ſuppeditiren laſſen, aber die religiöſe Handlung ſelbſt geht von ihnen aus, die Fähigkeit iſt ihnen durch das Staatsamt verliehen. Der König, wie ſpäter der Conſul, opfert und ſtellt die Auſpicien an in Rom wie im Felde. Sich die Gunſt der Götter zu erhalten, iſt die erſte Sorge des Staats, 191) und mit Aengſtlichkeit wacht er ihres Dien- ſtes. Opfer, Feſte und Spiele reihen ſich eins ans andere, jede Unthat, jedes Verſehn, das die Götter reizen könnte, wird geſühnt, jedes Zeichen und Wunder, aus dem ſich ihr Wille entnehmen läßt, beachtet, und wenn ſie dennoch zürnen d. h. wenn Rom Unglück hat, ſo erſchöpfen ſich Prieſter und Zei- chendeuter in Nachforſchungen, um den Grund zu ermitteln, und Volk, Senat und Beamte in Gelübden, Beſchlüſſen und wohlgefälligen Werken, um die Götter wieder geneigt zu machen. Bei jeder wichtigen Unternehmung verſichert man ſich zuerſt durch Auſpicien ihrer Zuſtimmung, Opfer und Gebet er- öffnen die Verhandlungen, und je nach Art derſelben ſind im Fas die Tage beſtimmt, an denen ſie Statt finden können. Auch zu weltlichem Thun verſammelt man ſich an heiliger Stätte; ſo diente den Curien und dem Senat ein Tempel zum Verſamm- 191) Liv. XXX VIII, 48: civitas, quae omnibus rebus incipiendis gerendisque deos adhibet. Cicero de nat. deor. II, 2: civitas, quae nunquam profecto sine summa placatione deorum immortalium tanta esse potuisset.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/288>, abgerufen am 22.11.2024.