Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.3. Das religiöse Prinzip -- der homo sacer. §. 18. ein Fortschritt, ein Gewinn im Interesse des Schuldigen wiedes Rechtszustandes. Die Sacertät schloß ein unbegränztes Maß des Uebels in sich, und jede Strafe an Leib und Leben wie an Ehre und Vermögen war darin faktisch bereits enthalten, denn dem sacer als dem religiös und rechtlich Ge- ächteten mochte jedes Uebel zugefügt werden, und entzog er sich demselben durch Flucht, so trat wenigstens die Recht- und Ehr- losigkeit, die aqua et igni interdictio 212) und die Consekration des Vermögens ein. So läßt sich die Sacertät auch als der ur- sprüngliche Inbegriff aller spätern Strafübel bezeichnen. Die Sacertät ist im bisherigen als der unmittelbare Aus- 212) Die darum auch nicht als Strafe gilt. Ein Uebel war sie, aber
keins, das den Schuldigen mit der Gemeinschaft wieder versöhnt. Cicero pro Caecina c. 34: Exilium enim non supplicium est, sed perfugium portusque supplicii. Nam qui volunt poenam subterfugere aut aliquam calamitatem, eo solum vertunt u. s. w. 3. Das religiöſe Prinzip — der homo sacer. §. 18. ein Fortſchritt, ein Gewinn im Intereſſe des Schuldigen wiedes Rechtszuſtandes. Die Sacertät ſchloß ein unbegränztes Maß des Uebels in ſich, und jede Strafe an Leib und Leben wie an Ehre und Vermögen war darin faktiſch bereits enthalten, denn dem sacer als dem religiös und rechtlich Ge- ächteten mochte jedes Uebel zugefügt werden, und entzog er ſich demſelben durch Flucht, ſo trat wenigſtens die Recht- und Ehr- loſigkeit, die aqua et igni interdictio 212) und die Conſekration des Vermögens ein. So läßt ſich die Sacertät auch als der ur- ſprüngliche Inbegriff aller ſpätern Strafübel bezeichnen. Die Sacertät iſt im bisherigen als der unmittelbare Aus- 212) Die darum auch nicht als Strafe gilt. Ein Uebel war ſie, aber
keins, das den Schuldigen mit der Gemeinſchaft wieder verſöhnt. Cicero pro Caecina c. 34: Exilium enim non supplicium est, sed perfugium portusque supplicii. Nam qui volunt poenam subterfugere aut aliquam calamitatem, eo solum vertunt u. ſ. w. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0297" n="279"/><fw place="top" type="header">3. Das religiöſe Prinzip — der <hi rendition="#aq">homo sacer</hi>. §. 18.</fw><lb/> ein Fortſchritt, ein Gewinn im Intereſſe des Schuldigen wie<lb/> des Rechtszuſtandes. Die Sacertät ſchloß ein unbegränztes<lb/> Maß des Uebels in ſich, und jede Strafe an Leib und<lb/> Leben wie an Ehre und Vermögen war darin faktiſch bereits<lb/> enthalten, denn dem <hi rendition="#aq">sacer</hi> als dem religiös und rechtlich Ge-<lb/> ächteten mochte jedes Uebel zugefügt werden, und entzog er ſich<lb/> demſelben durch Flucht, ſo trat wenigſtens die Recht- und Ehr-<lb/> loſigkeit, die <hi rendition="#aq">aqua et igni interdictio</hi> <note place="foot" n="212)">Die darum auch nicht als Strafe gilt. Ein Uebel war ſie, aber<lb/> keins, das den Schuldigen mit der Gemeinſchaft wieder verſöhnt. <hi rendition="#aq">Cicero<lb/> pro Caecina c. 34: Exilium enim non supplicium est, sed perfugium<lb/> portusque supplicii. Nam <hi rendition="#g">qui volunt poenam subterfugere</hi><lb/> aut aliquam calamitatem, eo solum vertunt</hi> u. ſ. w.</note> und die Conſekration<lb/> des Vermögens ein. So läßt ſich die Sacertät auch als der ur-<lb/> ſprüngliche Inbegriff aller ſpätern Strafübel bezeichnen.</p><lb/> <p>Die Sacertät iſt im bisherigen als der unmittelbare Aus-<lb/> druck der ſittlichen Entrüſtung des Volks aufgefaßt, im Gegen-<lb/> ſatz zu der Anſicht, die in ihr eine legislative Schöpfung findet;<lb/> auch hierüber muß ich mich erklären. Daß ein Geſetz zuerſt die<lb/> Acht eingeführt haben ſoll, hat nichts widerſtrebendes; daß<lb/> aber der Geſichtspunkt, der Verbrecher habe ſich gegen die Göt-<lb/> ter vergangen — und das iſt ja das Weſentliche bei der Sacer-<lb/> tät — das Wort legislativer Beſtimmung ſein ſollte, ſcheint mir<lb/> eben ſo unglaublich, als daß die Infamie ihren Urſprung der<lb/> Geſetzgebung verdanke. Solche Inſtitute, wie die Sacertät und<lb/> Infamie, kann der Geſetzgeber, wenn ſie einmal vorhanden ſind,<lb/> benutzen, normiren, umgeſtalten; aber er vermag dies auch nur<lb/> dadurch, daß er an die beſtehende Anſicht, an den Abſcheu des<lb/> Volks vor dem, der durch eigne That <hi rendition="#aq">sacer</hi> und <hi rendition="#aq">infamis</hi> gewor-<lb/> den, anknüpft. Die ſittliche Entrüſtung, die beide Inſtitute in<lb/> ſich ſchließen, und ohne die ſie nichts ſind, läßt ſich durch ihn<lb/> nicht hineintragen, und andererſeits wartet ſie, um ſich Genug-<lb/> thuung zu verſchaffen, nicht erſt auf ihn. Gibt man dies für<lb/> die Infamie zu, ungeachtet ſie ſpäter als ein geſetzlich regulirtes<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [279/0297]
3. Das religiöſe Prinzip — der homo sacer. §. 18.
ein Fortſchritt, ein Gewinn im Intereſſe des Schuldigen wie
des Rechtszuſtandes. Die Sacertät ſchloß ein unbegränztes
Maß des Uebels in ſich, und jede Strafe an Leib und
Leben wie an Ehre und Vermögen war darin faktiſch bereits
enthalten, denn dem sacer als dem religiös und rechtlich Ge-
ächteten mochte jedes Uebel zugefügt werden, und entzog er ſich
demſelben durch Flucht, ſo trat wenigſtens die Recht- und Ehr-
loſigkeit, die aqua et igni interdictio 212) und die Conſekration
des Vermögens ein. So läßt ſich die Sacertät auch als der ur-
ſprüngliche Inbegriff aller ſpätern Strafübel bezeichnen.
Die Sacertät iſt im bisherigen als der unmittelbare Aus-
druck der ſittlichen Entrüſtung des Volks aufgefaßt, im Gegen-
ſatz zu der Anſicht, die in ihr eine legislative Schöpfung findet;
auch hierüber muß ich mich erklären. Daß ein Geſetz zuerſt die
Acht eingeführt haben ſoll, hat nichts widerſtrebendes; daß
aber der Geſichtspunkt, der Verbrecher habe ſich gegen die Göt-
ter vergangen — und das iſt ja das Weſentliche bei der Sacer-
tät — das Wort legislativer Beſtimmung ſein ſollte, ſcheint mir
eben ſo unglaublich, als daß die Infamie ihren Urſprung der
Geſetzgebung verdanke. Solche Inſtitute, wie die Sacertät und
Infamie, kann der Geſetzgeber, wenn ſie einmal vorhanden ſind,
benutzen, normiren, umgeſtalten; aber er vermag dies auch nur
dadurch, daß er an die beſtehende Anſicht, an den Abſcheu des
Volks vor dem, der durch eigne That sacer und infamis gewor-
den, anknüpft. Die ſittliche Entrüſtung, die beide Inſtitute in
ſich ſchließen, und ohne die ſie nichts ſind, läßt ſich durch ihn
nicht hineintragen, und andererſeits wartet ſie, um ſich Genug-
thuung zu verſchaffen, nicht erſt auf ihn. Gibt man dies für
die Infamie zu, ungeachtet ſie ſpäter als ein geſetzlich regulirtes
212) Die darum auch nicht als Strafe gilt. Ein Uebel war ſie, aber
keins, das den Schuldigen mit der Gemeinſchaft wieder verſöhnt. Cicero
pro Caecina c. 34: Exilium enim non supplicium est, sed perfugium
portusque supplicii. Nam qui volunt poenam subterfugere
aut aliquam calamitatem, eo solum vertunt u. ſ. w.
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