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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
sprüngliche Gestalt dieses Systems handelt, nicht um die,
in der es in Rom selbst auftritt, denn hier begegnen uns schon
gleich von vornherein manche Gegensätze, von denen einige be-
reits erwähnt, andere an gelegener Stelle nachgetragen werden
sollen. Richten wir unsern Blick zuerst auf den Staat, so zeigte
uns das Gentilitätsprinzip die Identität des Staats und der
Familie, den Staat mit familienartiger Organisation, die Fa-
milie mit politischen Functionen. Unsere Ausführung über das
Verhältniß des Staats zum subjektiven Prinzip (§. 15) hat uns
die ursprüngliche Identität des Staats und des Volks, der Ge-
setzgebung und des Vertrages, der vindicta publica und privata
nachgewiesen; unsere Darstellung der Wehrverfassung die Iden-
tität der militärischen und politischen Ordnung, der Volks- und
Heeres-Versammlung, des Feldherrn und Königs. Die Reli-
gion fügt sich ganz dieser Ordnung; politische Verbindungen
sind zugleich religiöse, die politische Gewalt schließt die religiöse
in sich, politische Peregrinität ist religiöse Peregrinität.

Fassen wir die Rechtssphäre des Individuums ins Auge,
so erinnere ich an die ursprüngliche Identität der Selbsthülfe
und der Rache, hervorgehend aus der Identificirung des Ver-
mögens mit der Person, an die Unzertrennlichkeit des öffent-
lichen und Privatrechts. Verlust jenes ist Verlust dieses, man-
gelnde Theilnahme an jenem schließt die privatrechtliche Rechts-
fähigkeit aus, und die Ertheilung jener erfordert Aufnahme in
die Gens, also in eine an privatrechtlichen Beziehungen reiche
Gemeinschaft. Die rein privatrechtliche Exekution führt umge-
kehrt zum bürgerlichen Tode, zum Verlust der gesammten Rechts-
fähigkeit.

Doch es möge der Beispiele genug sein! Es reicht schon
eine oberflächliche Betrachtung jenes Systems hin, um sich zu
überzeugen, daß die Fäden, die später weit aus einander gehen,
hier nahe in einem engverschlungenen Knoten vereint sind. Das
Reich des Gegensatzes beschränkt sich ursprünglich auf das Ver-

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
ſprüngliche Geſtalt dieſes Syſtems handelt, nicht um die,
in der es in Rom ſelbſt auftritt, denn hier begegnen uns ſchon
gleich von vornherein manche Gegenſätze, von denen einige be-
reits erwähnt, andere an gelegener Stelle nachgetragen werden
ſollen. Richten wir unſern Blick zuerſt auf den Staat, ſo zeigte
uns das Gentilitätsprinzip die Identität des Staats und der
Familie, den Staat mit familienartiger Organiſation, die Fa-
milie mit politiſchen Functionen. Unſere Ausführung über das
Verhältniß des Staats zum ſubjektiven Prinzip (§. 15) hat uns
die urſprüngliche Identität des Staats und des Volks, der Ge-
ſetzgebung und des Vertrages, der vindicta publica und privata
nachgewieſen; unſere Darſtellung der Wehrverfaſſung die Iden-
tität der militäriſchen und politiſchen Ordnung, der Volks- und
Heeres-Verſammlung, des Feldherrn und Königs. Die Reli-
gion fügt ſich ganz dieſer Ordnung; politiſche Verbindungen
ſind zugleich religiöſe, die politiſche Gewalt ſchließt die religiöſe
in ſich, politiſche Peregrinität iſt religiöſe Peregrinität.

Faſſen wir die Rechtsſphäre des Individuums ins Auge,
ſo erinnere ich an die urſprüngliche Identität der Selbſthülfe
und der Rache, hervorgehend aus der Identificirung des Ver-
mögens mit der Perſon, an die Unzertrennlichkeit des öffent-
lichen und Privatrechts. Verluſt jenes iſt Verluſt dieſes, man-
gelnde Theilnahme an jenem ſchließt die privatrechtliche Rechts-
fähigkeit aus, und die Ertheilung jener erfordert Aufnahme in
die Gens, alſo in eine an privatrechtlichen Beziehungen reiche
Gemeinſchaft. Die rein privatrechtliche Exekution führt umge-
kehrt zum bürgerlichen Tode, zum Verluſt der geſammten Rechts-
fähigkeit.

Doch es möge der Beiſpiele genug ſein! Es reicht ſchon
eine oberflächliche Betrachtung jenes Syſtems hin, um ſich zu
überzeugen, daß die Fäden, die ſpäter weit aus einander gehen,
hier nahe in einem engverſchlungenen Knoten vereint ſind. Das
Reich des Gegenſatzes beſchränkt ſich urſprünglich auf das Ver-

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[282/0300] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. ſprüngliche Geſtalt dieſes Syſtems handelt, nicht um die, in der es in Rom ſelbſt auftritt, denn hier begegnen uns ſchon gleich von vornherein manche Gegenſätze, von denen einige be- reits erwähnt, andere an gelegener Stelle nachgetragen werden ſollen. Richten wir unſern Blick zuerſt auf den Staat, ſo zeigte uns das Gentilitätsprinzip die Identität des Staats und der Familie, den Staat mit familienartiger Organiſation, die Fa- milie mit politiſchen Functionen. Unſere Ausführung über das Verhältniß des Staats zum ſubjektiven Prinzip (§. 15) hat uns die urſprüngliche Identität des Staats und des Volks, der Ge- ſetzgebung und des Vertrages, der vindicta publica und privata nachgewieſen; unſere Darſtellung der Wehrverfaſſung die Iden- tität der militäriſchen und politiſchen Ordnung, der Volks- und Heeres-Verſammlung, des Feldherrn und Königs. Die Reli- gion fügt ſich ganz dieſer Ordnung; politiſche Verbindungen ſind zugleich religiöſe, die politiſche Gewalt ſchließt die religiöſe in ſich, politiſche Peregrinität iſt religiöſe Peregrinität. Faſſen wir die Rechtsſphäre des Individuums ins Auge, ſo erinnere ich an die urſprüngliche Identität der Selbſthülfe und der Rache, hervorgehend aus der Identificirung des Ver- mögens mit der Perſon, an die Unzertrennlichkeit des öffent- lichen und Privatrechts. Verluſt jenes iſt Verluſt dieſes, man- gelnde Theilnahme an jenem ſchließt die privatrechtliche Rechts- fähigkeit aus, und die Ertheilung jener erfordert Aufnahme in die Gens, alſo in eine an privatrechtlichen Beziehungen reiche Gemeinſchaft. Die rein privatrechtliche Exekution führt umge- kehrt zum bürgerlichen Tode, zum Verluſt der geſammten Rechts- fähigkeit. Doch es möge der Beiſpiele genug ſein! Es reicht ſchon eine oberflächliche Betrachtung jenes Syſtems hin, um ſich zu überzeugen, daß die Fäden, die ſpäter weit aus einander gehen, hier nahe in einem engverſchlungenen Knoten vereint ſind. Das Reich des Gegenſatzes beſchränkt ſich urſprünglich auf das Ver-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/300>, abgerufen am 22.11.2024.