Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Uebergang zum spezifisch römischen Recht. Jahrhunderte derselben bezeichnen aber eine entschiedene Hinten-ansetzung der religiösen Traditionen, 238) motivirt freilich durch dringende Umstände, aber undenkbar, wenn der religiöse Geist noch der alte gewesen wäre. Diese zwingenden Umstände wa- ren die Ueberhebung des Königthums und die wachsende Macht und Opposition der Plebejer, jene führte zur Aufhebung des Königthums, einer schreienden Verletzung der inaugurirten Ver- fassung, die durch die Scheinfortdauer des Königthums im rex sacrificulus wenig verdeckt ward und als Präcedenz, auf die die Plebejer stets verweisen konnten, 239) besonders gefährlich -- diese zu so manchen Concessionen, die eben so viele Verstöße gegen das Fas waren. Ein von wahrhaft religiöser Gesinnung beseeltes Volk hätte ehr die Plebejer aus der Stadt ziehen las- sen oder bis zum letzten Blutstropfen Widerstand geleistet, als daß es ihnen z. B. das connubium 240) eingeräumt oder, wenn und Unfrieden, diese Verwandlung eines geistlichen Königthums in ein welt- liches, nicht anzudeuten vergessen. Der Eroberer Tullus ist der alten Satzun- gen der Religion unkundig, vernachlässigt sie, erscheint als Feind der Götter. Sein Nachfolger, mit welchem unverkennbar ein höheres politisches Leben seinen Anfang nimmt, macht sich und das Königthum freier von den Oblie- genheiten der Religion, indem er einen nicht geringen Theil seiner geistlichen Functionen berechtigten Stellvertretern übergibt. Noch mehr überwiegt unter den folgenden Regierungen die politische Richtung ....... Der letzte König Roms steht als ein Verächter einheimischer Religionsweisen, als Anhänger ausländischer Culten da." Der Plan des ältern Tarquinius, die alte inau- girirte Verfassung durch Einrichtung von drei neuen Tribus eigenmächtig um- zugestalten, ist für den Geist jener Zeit gleichfalls sehr charakteristisch. 238) Ambrosch a. a. O. S. 64 Anm. 111 setzt den Anfang des Ver- falls der pontificischen Theologie sowie der Auguraldisciplin in die Zeit nach dem zweiten punischen Kriege. S. auch S. 66. Was mußte vorhergegangen sein, ehe ein solcher Verfall der Lehre möglich war! Daß sich bereits vor dem ersten punischen Krieg Spuren der sinkenden Achtung vor der Religion nachweisen lassen, hat er selbst bemerkt. S. 65 Anm. 116. 239) Wie dies auch geschah. Liv. IV c. 6. 240) Der Gesichtspunkt, der dasselbe ausschloß, lag darin: quod nemo
plebejus auspicia haberet ideoque decemviros connubium diremisse, ne incerta prole auspicia turbarentur. Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht. Jahrhunderte derſelben bezeichnen aber eine entſchiedene Hinten-anſetzung der religiöſen Traditionen, 238) motivirt freilich durch dringende Umſtände, aber undenkbar, wenn der religiöſe Geiſt noch der alte geweſen wäre. Dieſe zwingenden Umſtände wa- ren die Ueberhebung des Königthums und die wachſende Macht und Oppoſition der Plebejer, jene führte zur Aufhebung des Königthums, einer ſchreienden Verletzung der inaugurirten Ver- faſſung, die durch die Scheinfortdauer des Königthums im rex sacrificulus wenig verdeckt ward und als Präcedenz, auf die die Plebejer ſtets verweiſen konnten, 239) beſonders gefährlich — dieſe zu ſo manchen Conceſſionen, die eben ſo viele Verſtöße gegen das Fas waren. Ein von wahrhaft religiöſer Geſinnung beſeeltes Volk hätte ehr die Plebejer aus der Stadt ziehen laſ- ſen oder bis zum letzten Blutstropfen Widerſtand geleiſtet, als daß es ihnen z. B. das connubium 240) eingeräumt oder, wenn und Unfrieden, dieſe Verwandlung eines geiſtlichen Königthums in ein welt- liches, nicht anzudeuten vergeſſen. Der Eroberer Tullus iſt der alten Satzun- gen der Religion unkundig, vernachläſſigt ſie, erſcheint als Feind der Götter. Sein Nachfolger, mit welchem unverkennbar ein höheres politiſches Leben ſeinen Anfang nimmt, macht ſich und das Königthum freier von den Oblie- genheiten der Religion, indem er einen nicht geringen Theil ſeiner geiſtlichen Functionen berechtigten Stellvertretern übergibt. Noch mehr überwiegt unter den folgenden Regierungen die politiſche Richtung ....... Der letzte König Roms ſteht als ein Verächter einheimiſcher Religionsweiſen, als Anhänger ausländiſcher Culten da.“ Der Plan des ältern Tarquinius, die alte inau- girirte Verfaſſung durch Einrichtung von drei neuen Tribus eigenmächtig um- zugeſtalten, iſt für den Geiſt jener Zeit gleichfalls ſehr charakteriſtiſch. 238) Ambroſch a. a. O. S. 64 Anm. 111 ſetzt den Anfang des Ver- falls der pontificiſchen Theologie ſowie der Auguraldisciplin in die Zeit nach dem zweiten puniſchen Kriege. S. auch S. 66. Was mußte vorhergegangen ſein, ehe ein ſolcher Verfall der Lehre möglich war! Daß ſich bereits vor dem erſten puniſchen Krieg Spuren der ſinkenden Achtung vor der Religion nachweiſen laſſen, hat er ſelbſt bemerkt. S. 65 Anm. 116. 239) Wie dies auch geſchah. Liv. IV c. 6. 240) Der Geſichtspunkt, der daſſelbe ausſchloß, lag darin: quod nemo
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Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht.
Jahrhunderte derſelben bezeichnen aber eine entſchiedene Hinten-
anſetzung der religiöſen Traditionen, 238) motivirt freilich durch
dringende Umſtände, aber undenkbar, wenn der religiöſe Geiſt
noch der alte geweſen wäre. Dieſe zwingenden Umſtände wa-
ren die Ueberhebung des Königthums und die wachſende Macht
und Oppoſition der Plebejer, jene führte zur Aufhebung des
Königthums, einer ſchreienden Verletzung der inaugurirten Ver-
faſſung, die durch die Scheinfortdauer des Königthums im rex
sacrificulus wenig verdeckt ward und als Präcedenz, auf die
die Plebejer ſtets verweiſen konnten, 239) beſonders gefährlich —
dieſe zu ſo manchen Conceſſionen, die eben ſo viele Verſtöße
gegen das Fas waren. Ein von wahrhaft religiöſer Geſinnung
beſeeltes Volk hätte ehr die Plebejer aus der Stadt ziehen laſ-
ſen oder bis zum letzten Blutstropfen Widerſtand geleiſtet, als
daß es ihnen z. B. das connubium 240) eingeräumt oder, wenn
237)
238) Ambroſch a. a. O. S. 64 Anm. 111 ſetzt den Anfang des Ver-
falls der pontificiſchen Theologie ſowie der Auguraldisciplin in die Zeit nach
dem zweiten puniſchen Kriege. S. auch S. 66. Was mußte vorhergegangen
ſein, ehe ein ſolcher Verfall der Lehre möglich war! Daß ſich bereits vor
dem erſten puniſchen Krieg Spuren der ſinkenden Achtung vor der Religion
nachweiſen laſſen, hat er ſelbſt bemerkt. S. 65 Anm. 116.
239) Wie dies auch geſchah. Liv. IV c. 6.
240) Der Geſichtspunkt, der daſſelbe ausſchloß, lag darin: quod nemo
plebejus auspicia haberet ideoque decemviros connubium diremisse, ne
incerta prole auspicia turbarentur.
237) und Unfrieden, dieſe Verwandlung eines geiſtlichen Königthums in ein welt-
liches, nicht anzudeuten vergeſſen. Der Eroberer Tullus iſt der alten Satzun-
gen der Religion unkundig, vernachläſſigt ſie, erſcheint als Feind der Götter.
Sein Nachfolger, mit welchem unverkennbar ein höheres politiſches Leben
ſeinen Anfang nimmt, macht ſich und das Königthum freier von den Oblie-
genheiten der Religion, indem er einen nicht geringen Theil ſeiner geiſtlichen
Functionen berechtigten Stellvertretern übergibt. Noch mehr überwiegt unter
den folgenden Regierungen die politiſche Richtung ....... Der letzte König
Roms ſteht als ein Verächter einheimiſcher Religionsweiſen, als Anhänger
ausländiſcher Culten da.“ Der Plan des ältern Tarquinius, die alte inau-
girirte Verfaſſung durch Einrichtung von drei neuen Tribus eigenmächtig um-
zugeſtalten, iſt für den Geiſt jener Zeit gleichfalls ſehr charakteriſtiſch.
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