Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung -- die Methode.
Freiheit hervorgegangen ist und in einen bestimmten schmalen
Zeitmoment fällt, um so weniger wird sich die innere Chrono-
logie daran bethätigen können, um so mehr wird aber auch
die äußere Chronologie sie hier dieser Mühe überheben. Umge-
kehrt aber je unpersönlicher, innerlicher, naturwüchsiger eine
Entwicklung, je langsamer sie von Statten geht, je weniger der
Anfang oder das Ende derselben in einen bestimmten Zeitmo-
ment fällt, um so dürftiger wird die äußere Chronologie, um so
nöthiger und um so sicherer und erfolgreicher die innere Chro-
nologie. In ihrer Anwendung auf das Recht führt diese Regel
zu dem gewiß richtigen Resultat, daß die Möglichkeit der inne-
ren Chronologie hier im hohen Grade vorhanden ist und zwar
in einem um so höhern, je naturgemäßer die Entwicklung eines
bestimmten Rechts ist, je mehr dieselbe also auf gewohnheits-
rechtlichem Wege vor sich geht; in einem um so geringeren, je
mehr die Verfassung die Wirksamkeit der allgemeinen Trieb-
kräfte des Rechts erschwert und die Fortbildung des Rechts auf
den Willen eines einzelnen Subjekts stellt. Für das römische
Recht ist daher jene Möglichkeit bis in die spätere Kaiserzeit
hinein in hohem Maße vorhanden.

Am wenigsten Schwierigkeiten wird diese chronologische Be-
stimmung haben, sobald sie nicht absolut verfahren d. h. die
Zeit ermitteln will, in welche die einzelnen rechtshistorischen
Ereignisse fallen, sondern sich darauf beschränkt, relativ die
Reihenfolge derselben zu entdecken. Den drei Rechtssystemen,
die wir späterhin charakterisiren werden, steht ihr verschiedenes
Alter und die Folge derselben so deutlich auf der Stirn geschrie-
ben, daß kein Verständiger ein äußeres Zeugniß dafür begehren
würde. Dasselbe gilt für jeden, der derartige Schrift lesen kann,
von den verschiedenen Entwicklungsphasen der einzelnen In-
stitute. Man vergleiche z. B. die verschiedenen Formen der Ehe;
wer sähe nicht sofort, daß die Ehe mit manus älter ist, als die
ohne manus, die Eingehung der ersteren durch confarreatio
älter, als die durch coemptio? Man nehme ferner die Errich-

Einleitung — die Methode.
Freiheit hervorgegangen iſt und in einen beſtimmten ſchmalen
Zeitmoment fällt, um ſo weniger wird ſich die innere Chrono-
logie daran bethätigen können, um ſo mehr wird aber auch
die äußere Chronologie ſie hier dieſer Mühe überheben. Umge-
kehrt aber je unperſönlicher, innerlicher, naturwüchſiger eine
Entwicklung, je langſamer ſie von Statten geht, je weniger der
Anfang oder das Ende derſelben in einen beſtimmten Zeitmo-
ment fällt, um ſo dürftiger wird die äußere Chronologie, um ſo
nöthiger und um ſo ſicherer und erfolgreicher die innere Chro-
nologie. In ihrer Anwendung auf das Recht führt dieſe Regel
zu dem gewiß richtigen Reſultat, daß die Möglichkeit der inne-
ren Chronologie hier im hohen Grade vorhanden iſt und zwar
in einem um ſo höhern, je naturgemäßer die Entwicklung eines
beſtimmten Rechts iſt, je mehr dieſelbe alſo auf gewohnheits-
rechtlichem Wege vor ſich geht; in einem um ſo geringeren, je
mehr die Verfaſſung die Wirkſamkeit der allgemeinen Trieb-
kräfte des Rechts erſchwert und die Fortbildung des Rechts auf
den Willen eines einzelnen Subjekts ſtellt. Für das römiſche
Recht iſt daher jene Möglichkeit bis in die ſpätere Kaiſerzeit
hinein in hohem Maße vorhanden.

Am wenigſten Schwierigkeiten wird dieſe chronologiſche Be-
ſtimmung haben, ſobald ſie nicht abſolut verfahren d. h. die
Zeit ermitteln will, in welche die einzelnen rechtshiſtoriſchen
Ereigniſſe fallen, ſondern ſich darauf beſchränkt, relativ die
Reihenfolge derſelben zu entdecken. Den drei Rechtsſyſtemen,
die wir ſpäterhin charakteriſiren werden, ſteht ihr verſchiedenes
Alter und die Folge derſelben ſo deutlich auf der Stirn geſchrie-
ben, daß kein Verſtändiger ein äußeres Zeugniß dafür begehren
würde. Daſſelbe gilt für jeden, der derartige Schrift leſen kann,
von den verſchiedenen Entwicklungsphaſen der einzelnen In-
ſtitute. Man vergleiche z. B. die verſchiedenen Formen der Ehe;
wer ſähe nicht ſofort, daß die Ehe mit manus älter iſt, als die
ohne manus, die Eingehung der erſteren durch confarreatio
älter, als die durch coemptio? Man nehme ferner die Errich-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0090" n="72"/><fw place="top" type="header">Einleitung &#x2014; die Methode.</fw><lb/>
Freiheit hervorgegangen i&#x017F;t und in einen be&#x017F;timmten &#x017F;chmalen<lb/>
Zeitmoment fällt, um &#x017F;o weniger wird &#x017F;ich die innere Chrono-<lb/>
logie daran bethätigen können, um &#x017F;o mehr wird aber auch<lb/>
die äußere Chronologie &#x017F;ie hier die&#x017F;er Mühe überheben. Umge-<lb/>
kehrt aber je unper&#x017F;önlicher, innerlicher, naturwüch&#x017F;iger eine<lb/>
Entwicklung, je lang&#x017F;amer &#x017F;ie von Statten geht, je weniger der<lb/>
Anfang oder das Ende der&#x017F;elben in einen be&#x017F;timmten Zeitmo-<lb/>
ment fällt, um &#x017F;o dürftiger wird die äußere Chronologie, um &#x017F;o<lb/><hi rendition="#g">nöthiger</hi> und um &#x017F;o &#x017F;icherer und erfolgreicher die innere Chro-<lb/>
nologie. In ihrer Anwendung auf das Recht führt die&#x017F;e Regel<lb/>
zu dem gewiß richtigen Re&#x017F;ultat, daß die Möglichkeit der inne-<lb/>
ren Chronologie hier im hohen Grade vorhanden i&#x017F;t und zwar<lb/>
in einem um &#x017F;o höhern, je naturgemäßer die Entwicklung eines<lb/>
be&#x017F;timmten Rechts i&#x017F;t, je mehr die&#x017F;elbe al&#x017F;o auf gewohnheits-<lb/>
rechtlichem Wege vor &#x017F;ich geht; in einem um &#x017F;o geringeren, je<lb/>
mehr die Verfa&#x017F;&#x017F;ung die Wirk&#x017F;amkeit der allgemeinen Trieb-<lb/>
kräfte des Rechts er&#x017F;chwert und die Fortbildung des Rechts auf<lb/>
den Willen eines einzelnen Subjekts &#x017F;tellt. Für das römi&#x017F;che<lb/>
Recht i&#x017F;t daher jene Möglichkeit bis in die &#x017F;pätere Kai&#x017F;erzeit<lb/>
hinein in hohem Maße vorhanden.</p><lb/>
              <p>Am wenig&#x017F;ten Schwierigkeiten wird die&#x017F;e chronologi&#x017F;che Be-<lb/>
&#x017F;timmung haben, &#x017F;obald &#x017F;ie nicht <hi rendition="#g">ab&#x017F;olut</hi> verfahren d. h. die<lb/>
Zeit ermitteln will, in welche die einzelnen rechtshi&#x017F;tori&#x017F;chen<lb/>
Ereigni&#x017F;&#x017F;e fallen, &#x017F;ondern &#x017F;ich darauf be&#x017F;chränkt, <hi rendition="#g">relativ</hi> die<lb/>
Reihenfolge der&#x017F;elben zu entdecken. Den drei Rechts&#x017F;y&#x017F;temen,<lb/>
die wir &#x017F;päterhin charakteri&#x017F;iren werden, &#x017F;teht ihr ver&#x017F;chiedenes<lb/>
Alter und die Folge der&#x017F;elben &#x017F;o deutlich auf der Stirn ge&#x017F;chrie-<lb/>
ben, daß kein Ver&#x017F;tändiger ein äußeres Zeugniß dafür begehren<lb/>
würde. Da&#x017F;&#x017F;elbe gilt für jeden, der derartige Schrift le&#x017F;en kann,<lb/>
von den ver&#x017F;chiedenen Entwicklungspha&#x017F;en der einzelnen In-<lb/>
&#x017F;titute. Man vergleiche z. B. die ver&#x017F;chiedenen Formen der Ehe;<lb/>
wer &#x017F;ähe nicht &#x017F;ofort, daß die Ehe mit <hi rendition="#aq">manus</hi> älter i&#x017F;t, als die<lb/>
ohne <hi rendition="#aq">manus,</hi> die Eingehung der er&#x017F;teren durch <hi rendition="#aq">confarreatio</hi><lb/>
älter, als die durch <hi rendition="#aq">coemptio</hi>? Man nehme ferner die Errich-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0090] Einleitung — die Methode. Freiheit hervorgegangen iſt und in einen beſtimmten ſchmalen Zeitmoment fällt, um ſo weniger wird ſich die innere Chrono- logie daran bethätigen können, um ſo mehr wird aber auch die äußere Chronologie ſie hier dieſer Mühe überheben. Umge- kehrt aber je unperſönlicher, innerlicher, naturwüchſiger eine Entwicklung, je langſamer ſie von Statten geht, je weniger der Anfang oder das Ende derſelben in einen beſtimmten Zeitmo- ment fällt, um ſo dürftiger wird die äußere Chronologie, um ſo nöthiger und um ſo ſicherer und erfolgreicher die innere Chro- nologie. In ihrer Anwendung auf das Recht führt dieſe Regel zu dem gewiß richtigen Reſultat, daß die Möglichkeit der inne- ren Chronologie hier im hohen Grade vorhanden iſt und zwar in einem um ſo höhern, je naturgemäßer die Entwicklung eines beſtimmten Rechts iſt, je mehr dieſelbe alſo auf gewohnheits- rechtlichem Wege vor ſich geht; in einem um ſo geringeren, je mehr die Verfaſſung die Wirkſamkeit der allgemeinen Trieb- kräfte des Rechts erſchwert und die Fortbildung des Rechts auf den Willen eines einzelnen Subjekts ſtellt. Für das römiſche Recht iſt daher jene Möglichkeit bis in die ſpätere Kaiſerzeit hinein in hohem Maße vorhanden. Am wenigſten Schwierigkeiten wird dieſe chronologiſche Be- ſtimmung haben, ſobald ſie nicht abſolut verfahren d. h. die Zeit ermitteln will, in welche die einzelnen rechtshiſtoriſchen Ereigniſſe fallen, ſondern ſich darauf beſchränkt, relativ die Reihenfolge derſelben zu entdecken. Den drei Rechtsſyſtemen, die wir ſpäterhin charakteriſiren werden, ſteht ihr verſchiedenes Alter und die Folge derſelben ſo deutlich auf der Stirn geſchrie- ben, daß kein Verſtändiger ein äußeres Zeugniß dafür begehren würde. Daſſelbe gilt für jeden, der derartige Schrift leſen kann, von den verſchiedenen Entwicklungsphaſen der einzelnen In- ſtitute. Man vergleiche z. B. die verſchiedenen Formen der Ehe; wer ſähe nicht ſofort, daß die Ehe mit manus älter iſt, als die ohne manus, die Eingehung der erſteren durch confarreatio älter, als die durch coemptio? Man nehme ferner die Errich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/90
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/90>, abgerufen am 16.05.2024.