Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.II. Der Gleichheitstrieb. -- Das öffentliche Recht. §. 29. nicht seine Spuren zurückgelassen hätte, so glaube ich auch bei dervorliegenden Frage eine solche Spur zu entdecken. Der Druck, mit dem das patricische Uebergewicht so lange auf den Plebejern gelastet, hatte nothwendigerweise einen eben so starken Gegen- druck hervorrufen müssen, die bitter empfundene Ungleichheit hatte das Gleichheitsgefühl nur um so höher span- nen müssen, höher, als es ohne dieses Reizmittel vielleicht der Fall gewesen sein würde. Eine solche Spannung kann so weit getrieben werden, daß Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 7
II. Der Gleichheitstrieb. — Das öffentliche Recht. §. 29. nicht ſeine Spuren zurückgelaſſen hätte, ſo glaube ich auch bei dervorliegenden Frage eine ſolche Spur zu entdecken. Der Druck, mit dem das patriciſche Uebergewicht ſo lange auf den Plebejern gelaſtet, hatte nothwendigerweiſe einen eben ſo ſtarken Gegen- druck hervorrufen müſſen, die bitter empfundene Ungleichheit hatte das Gleichheitsgefühl nur um ſo höher ſpan- nen müſſen, höher, als es ohne dieſes Reizmittel vielleicht der Fall geweſen ſein würde. Eine ſolche Spannung kann ſo weit getrieben werden, daß Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 7
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II. Der Gleichheitstrieb. — Das öffentliche Recht. §. 29.
nicht ſeine Spuren zurückgelaſſen hätte, ſo glaube ich auch bei der
vorliegenden Frage eine ſolche Spur zu entdecken. Der Druck,
mit dem das patriciſche Uebergewicht ſo lange auf den Plebejern
gelaſtet, hatte nothwendigerweiſe einen eben ſo ſtarken Gegen-
druck hervorrufen müſſen, die bitter empfundene Ungleichheit
hatte das Gleichheitsgefühl nur um ſo höher ſpan-
nen müſſen, höher, als es ohne dieſes Reizmittel vielleicht
der Fall geweſen ſein würde.
Eine ſolche Spannung kann ſo weit getrieben werden, daß
die Saite reißt, und namentlich iſt dies der Fall, wenn ein
plötzlicher, gewaltſamer Umſchwung erfolgt. Wenn dies in
Rom nicht geſchah, wenn jenes Gefühl hier nicht in einen ſol-
chen Gleichheitsſchwindel und eine wilde Nivellirungsſucht aus-
artete, wie die Gegenwart ſie hat kennen lernen, ſo erblicke ich
den Grund nicht bloß in dem Charakter und der politiſchen
Bildung des römiſchen Volks, ſondern ebenſo ſehr in dem lang-
ſamen, höchſt allmähligen Verlauf jenes ſtändiſchen Ausglei-
chungsprozeſſes. Was die Plebs wollte und erreichte, war
rechtliche Gleichſtellung mit den Patriciern, Aufhebung der
Standes-Privilegien; fremd aber war dem Römer die Vor-
ſtellung, als dürfte es im Staat keine Höhen und Tiefen geben,
keine Gliederung der Gewalt, keine Ueberordnung und Unter-
ordnung. Unendlich hoch ragte vor wie nach Zulaſſung der
Plebejer zu den Magiſtraturen der Innhaber einer ſolchen über
den einfachen Bürger hervor, ſowohl hinſichtlich ſeiner Macht,
um die ihn mancher conſtitutionelle Fürſt hätte beneiden können,
als hinſichtlich der Achtung und Ehre, die er genoß. Daſſelbe
Volk, das ſo eben aus ſeiner Mitte einen Magiſtrat gewählt
hatte, huldigte ihm gleich darauf als Beamten mit aller Ehr-
erbietung und Unterwürfigkeit, und die königliche Hoheit und
Würde, die manche Beamten in ihr Benehmen gegen das Volk
zu legen wußten, und die geborner Herrſcher würdig geweſen
wäre, wirft von der andern Seite ein nicht minder charakteri-
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 7
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