Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe. Jene Unterschiede hingegen, die sich im germanischen Recht alsso außerordentlich ergiebig bewährt haben, die des Berufs, der Lebensstellung u. s. w. sind hier so gut wie wirkungslos ge- blieben. 101) Was ist der Grund? Hat man sich die Sache so vorzu- 101) Es ließen sich etwa nennen die Vorrechte der Soldaten (pignoris
capio Gaj. IV. §. 27; das testamentum in procinctu war im Grunde ein Testament vor der Volksversammlung), der Publikanen (pign. capio Cicero in Verrem III. 11. Gaj. IV. §. 32.), der vestalischen Jungfrauen und des flamen dialis, aber wie unbedeutend sind diese Privilegien selbst gegenüber denen des späteren römischen Rechts! Die wenigen Eigenthümlichkeiten des römischen Handels rechts (das agere cum compensatione des argentarius Gaj. IV. §. 64, die gegen ihn statt findende act. receptitia Theophilus IV, 6 §. 8, die actio gegen den socius des argentarius, Auct. ad Heren. II. c. 13, die actio exercitoria und institoria) fallen gewiß in eine spätere Zeit. Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. Jene Unterſchiede hingegen, die ſich im germaniſchen Recht alsſo außerordentlich ergiebig bewährt haben, die des Berufs, der Lebensſtellung u. ſ. w. ſind hier ſo gut wie wirkungslos ge- blieben. 101) Was iſt der Grund? Hat man ſich die Sache ſo vorzu- 101) Es ließen ſich etwa nennen die Vorrechte der Soldaten (pignoris
capio Gaj. IV. §. 27; das testamentum in procinctu war im Grunde ein Teſtament vor der Volksverſammlung), der Publikanen (pign. capio Cicero in Verrem III. 11. Gaj. IV. §. 32.), der veſtaliſchen Jungfrauen und des flamen dialis, aber wie unbedeutend ſind dieſe Privilegien ſelbſt gegenüber denen des ſpäteren römiſchen Rechts! Die wenigen Eigenthümlichkeiten des römiſchen Handels rechts (das agere cum compensatione des argentarius Gaj. IV. §. 64, die gegen ihn ſtatt findende act. receptitia Theophilus IV, 6 §. 8, die actio gegen den socius des argentarius, Auct. ad Heren. II. c. 13, die actio exercitoria und institoria) fallen gewiß in eine ſpätere Zeit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0114" n="100"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe.</fw><lb/> Jene Unterſchiede hingegen, die ſich im germaniſchen Recht als<lb/> ſo außerordentlich ergiebig bewährt haben, die des Berufs, der<lb/> Lebensſtellung u. ſ. w. ſind hier ſo gut wie wirkungslos ge-<lb/> blieben. <note place="foot" n="101)">Es ließen ſich etwa nennen die Vorrechte der Soldaten (<hi rendition="#aq">pignoris<lb/> capio Gaj. IV. §. 27;</hi> das <hi rendition="#aq">testamentum in procinctu</hi> war im Grunde ein<lb/> Teſtament vor der Volksverſammlung), der Publikanen (<hi rendition="#aq">pign. capio Cicero in<lb/> Verrem III. 11. Gaj. IV.</hi> §. 32.), der veſtaliſchen Jungfrauen und des<lb/><hi rendition="#aq">flamen dialis,</hi> aber wie unbedeutend ſind dieſe Privilegien ſelbſt gegenüber<lb/> denen des ſpäteren römiſchen Rechts! Die wenigen Eigenthümlichkeiten des<lb/> römiſchen <hi rendition="#g">Handels</hi> rechts (das <hi rendition="#aq">agere cum compensatione</hi> des <hi rendition="#aq">argentarius<lb/> Gaj. IV. §. 64,</hi> die gegen ihn ſtatt findende <hi rendition="#aq">act. receptitia Theophilus IV,<lb/> 6 §. 8,</hi> die <hi rendition="#aq">actio</hi> gegen den <hi rendition="#aq">socius</hi> des <hi rendition="#aq">argentarius, Auct. ad Heren. II.<lb/> c. 13,</hi> die <hi rendition="#aq">actio exercitoria</hi> und <hi rendition="#aq">institoria</hi>) fallen gewiß in eine ſpätere<lb/> Zeit.</note></p><lb/> <p>Was iſt der Grund? Hat man ſich die Sache ſo vorzu-<lb/> ſtellen, das deutſche Recht habe dem Partikulariſirungstriebe<lb/> des Lebens die gebührende Anerkennung gewährt, das römiſche<lb/> ſie ihm verſagt? Nichts wäre meiner Anſicht nach verkehrter.<lb/> Nicht weniger als in Deutſchland konnte ſich auch in Rom jedes<lb/> partikuläre Rechtsbedürfniß befriedigen, d. h. jeder Stand und<lb/> jede Berufsart konnte ſich auch hier ſeine Rechtsſphäre ganz<lb/> ſeinem Bedürfniß gemäß geſtalten, ſich völlig frei bewegen; es<lb/> war dies eine Folge des Prinzips der Autonomie, das in Rom<lb/> im weiteſten Umfange zugelaſſen war. Erheiſchte z. B. in Rom<lb/> wie in Deutſchland das Familienintereſſe des Adels für das<lb/> Erbrecht eine Bevorzugung der Söhne vor den Töchtern, des<lb/> Erſtgebornen vor dem Nachgebornen, ſo ließ ſich dies in jeder<lb/> Generation durch das Teſtament des jeweiligen Familienober-<lb/> hauptes bewerkſtelligen; bedurfte es für den Handelsverkehr<lb/> nach Art unſeres Wechſelrechts eines beſonders ſtrengen obliga-<lb/> toriſchen Bandes, ſo konnten die Contrahenten durch die Geſtal-<lb/> tung der Verträge dies Bedürfniß ſelbſt befriedigen; glaubten<lb/> Corporationen eigenthümliche Normen nöthig zu haben, ſo<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [100/0114]
Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
Jene Unterſchiede hingegen, die ſich im germaniſchen Recht als
ſo außerordentlich ergiebig bewährt haben, die des Berufs, der
Lebensſtellung u. ſ. w. ſind hier ſo gut wie wirkungslos ge-
blieben. 101)
Was iſt der Grund? Hat man ſich die Sache ſo vorzu-
ſtellen, das deutſche Recht habe dem Partikulariſirungstriebe
des Lebens die gebührende Anerkennung gewährt, das römiſche
ſie ihm verſagt? Nichts wäre meiner Anſicht nach verkehrter.
Nicht weniger als in Deutſchland konnte ſich auch in Rom jedes
partikuläre Rechtsbedürfniß befriedigen, d. h. jeder Stand und
jede Berufsart konnte ſich auch hier ſeine Rechtsſphäre ganz
ſeinem Bedürfniß gemäß geſtalten, ſich völlig frei bewegen; es
war dies eine Folge des Prinzips der Autonomie, das in Rom
im weiteſten Umfange zugelaſſen war. Erheiſchte z. B. in Rom
wie in Deutſchland das Familienintereſſe des Adels für das
Erbrecht eine Bevorzugung der Söhne vor den Töchtern, des
Erſtgebornen vor dem Nachgebornen, ſo ließ ſich dies in jeder
Generation durch das Teſtament des jeweiligen Familienober-
hauptes bewerkſtelligen; bedurfte es für den Handelsverkehr
nach Art unſeres Wechſelrechts eines beſonders ſtrengen obliga-
toriſchen Bandes, ſo konnten die Contrahenten durch die Geſtal-
tung der Verträge dies Bedürfniß ſelbſt befriedigen; glaubten
Corporationen eigenthümliche Normen nöthig zu haben, ſo
101) Es ließen ſich etwa nennen die Vorrechte der Soldaten (pignoris
capio Gaj. IV. §. 27; das testamentum in procinctu war im Grunde ein
Teſtament vor der Volksverſammlung), der Publikanen (pign. capio Cicero in
Verrem III. 11. Gaj. IV. §. 32.), der veſtaliſchen Jungfrauen und des
flamen dialis, aber wie unbedeutend ſind dieſe Privilegien ſelbſt gegenüber
denen des ſpäteren römiſchen Rechts! Die wenigen Eigenthümlichkeiten des
römiſchen Handels rechts (das agere cum compensatione des argentarius
Gaj. IV. §. 64, die gegen ihn ſtatt findende act. receptitia Theophilus IV,
6 §. 8, die actio gegen den socius des argentarius, Auct. ad Heren. II.
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