Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.II. Der Gleichheitstrieb. -- Das Privatrecht. §. 29. Reichthum, Verbindungen u. s. w., kurz Vorzüge, die Jeman-den schon durch die Geburt zufallen können, faktisch einen unge- heuren Einfluß aus und erschwerten demjenigen, dem sie ab- gingen, die Concurrenz im hohen Grade. Aber rechtlich war ihm diese Concurrenz möglich; jenes Uebergewicht ließ sich durch Glück, Energie, Tüchtigkeit paralysiren und ward, an- statt ein Hemmniß der wahren Kraft, nur ein Sporn zur gestei- gerten Anspannung derselben. Wie hier den Niedern kein rechtliches Hinderniß in seinem Wir gehen über zu dem Privatrecht. Nirgends ist wohl die 7*
II. Der Gleichheitstrieb. — Das Privatrecht. §. 29. Reichthum, Verbindungen u. ſ. w., kurz Vorzüge, die Jeman-den ſchon durch die Geburt zufallen können, faktiſch einen unge- heuren Einfluß aus und erſchwerten demjenigen, dem ſie ab- gingen, die Concurrenz im hohen Grade. Aber rechtlich war ihm dieſe Concurrenz möglich; jenes Uebergewicht ließ ſich durch Glück, Energie, Tüchtigkeit paralyſiren und ward, an- ſtatt ein Hemmniß der wahren Kraft, nur ein Sporn zur geſtei- gerten Anſpannung derſelben. Wie hier den Niedern kein rechtliches Hinderniß in ſeinem Wir gehen über zu dem Privatrecht. Nirgends iſt wohl die 7*
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II. Der Gleichheitstrieb. — Das Privatrecht. §. 29.
Reichthum, Verbindungen u. ſ. w., kurz Vorzüge, die Jeman-
den ſchon durch die Geburt zufallen können, faktiſch einen unge-
heuren Einfluß aus und erſchwerten demjenigen, dem ſie ab-
gingen, die Concurrenz im hohen Grade. Aber rechtlich war
ihm dieſe Concurrenz möglich; jenes Uebergewicht ließ ſich
durch Glück, Energie, Tüchtigkeit paralyſiren und ward, an-
ſtatt ein Hemmniß der wahren Kraft, nur ein Sporn zur geſtei-
gerten Anſpannung derſelben.
Wie hier den Niedern kein rechtliches Hinderniß in ſeinem
Laufe hemmte, ſo hielt umgekehrt auch kein künſtliches Mittel
den Hochgeſtellten auf ſeiner Höhe; ſich auf derſelben zu be-
haupten, war ſeine eigne Sorge. Inſtitute wie z. B. die Fa-
milienfideicommiſſe, Lehen u. ſ. w., wodurch die neuere Rechts-
bildung das Herabfallen von der Höhe zu verhindern gewußt
hat, gab es in Rom nicht, ſo wenig wie Schranken, die den
Zugang zu derſelben verwehren ſollten; in Rom konnte jeder
durch eigne That ungehindert den Adel erwerben wie verlieren.
Wir gehen über zu dem Privatrecht. Nirgends iſt wohl die
Kluft zwiſchen der altrömiſchen und der germaniſchen Rechtsan-
ſchauung weiter und tiefer, als hier. Unſere germaniſche Rechts-
anſchauung hatte von jeher für die höchſte Mannigfaltigkeit pri-
vatrechtlicher Verſchiedenheiten Raum; jeder Stand, jeder Beruf,
jedes Lebensverhältniß — der lokalen Rechtsverſchiedenheiten
ganz zu geſchweigen — trieb ſich ſeine eigenthümlichen Inſtitutio-
nen und Rechtsſätze hervor, und dieſer partikuläre Bildungstrieb
wucherte ſo üppig, daß das Gemeinſame nicht ſelten völlig ver-
loren ging. Welche Fülle von rechtlichen Inſtitutionen knüpft
ſich im germaniſchen Rechte z. B. an die Unterſchiede des Bür-
gers, Bauers, Kaufmanns, Adligen! Von alle dem im ältern
römiſchen Recht keine Spur! Ein Recht gilt für alle Stände
und Berufsarten. Allerdings gibt es auch hier rechtliche Ver-
ſchiedenheiten, aber dieſelben ſchließen ſich faſt ſämmlich an die
natürlichen Unterſchiede des Geſchlechts, Alters, der Familie,
der Beweglichkeit und Unbeweglichkeit der Sachen u. ſ. w. an.
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