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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Die persönl. Freiheit. §. 31.
Uebrigens hat jener Grundsatz der persönlichen Freiheit erst im
Laufe der Zeit die Ausdehnung bekommen, in der er gegen das
Ende der Republik galt, und die fast das richtige Maß über-
schritt. Diese spätere Zeit erinnert mit ihren abstracten Frei-
heits- und Gleichheitsideen an die Gegenwart; die ältere war
weit maßvoller, genügsamer, praktischer. Ihre Freiheit war ein
durch und durch historisches Produkt, aus praktischen Motiven
hervorgegangen, mühsam und stückweise erkämpft; nicht der
Schulbegriff der Freiheit, sondern der Druck, wo er besonders
fühlbar geworden war, hatte sie ins Leben gerufen. Sie war,
möchte man sagen, nicht so sehr ein Begriff, als eine Summe
von einzelnen besonders wichtigen Rechten, daher nicht ohne
Lücken und scheinbare Inconsequenzen. Diese ihre durchaus
praktische Natur bewährte sich daran, daß sie sich den Umstän-
den fügte, z. B. im Fall der Noth selbst eine vorübergehende
Suspendirung willig zuließ. 155) Höchst bezeichnend für die
eigenthümliche Organisation des ältern Freiheitsgefühls ist
auch die Verträglichkeit desselben mit der Censur, einem Insti-
tut, das uns bei unseren heutigen Vorstellungen von persön-
licher Freiheit ganz unleidlich sein würde. 156) Das Gesagte
bestätigt sich auch an einer Art der Freiheit, die in der neuern

entschiedene Tendenz der spätern Zeit (von den XII Tafeln läßt sich ein Glei-
ches nicht behaupten) zu milden Strafen (Platner quaest. de jure crimin.
Rom.
S. 75--82) ist von den Römern selbst rühmend hervorgehoben, z. B.
von Liv. I. 28: nulli gentium mitiores placuisse poenas, Cic. pro Rabir.
c. 3 ... vestram libertatem non acerbitate suppliciorum infestam, sed
lenitate legum munitam esse voluerunt.
155) Ernennung eines Diktators, SCtum: videant consules, ne quid
detrimenti capiat respublica.
156) Man erinnere sich (S. 50), daß der Censor Jemanden zur Rechen-
schaft zog z. B. wegen nachlässigen Betriebs der Landwirthschaft oder un-
ordentlicher Wirthschaft, wegen Luxus und übertriebenen Aufwandes (eines
Fehlers, gegen den mit dem Ende des sechsten Jahrhunderts, als die Macht
des Censors nicht mehr ausreichte, die Gesetzgebung selbst mittelst der be-
kannten leges sumtuariae zu Felde zog). Mit unseren Ideen von persönli-
cher Freiheit verträgt sich dies alles sehr wenig, und selbst dem "germanischen

A. Stellung des Indiv. Die perſönl. Freiheit. §. 31.
Uebrigens hat jener Grundſatz der perſönlichen Freiheit erſt im
Laufe der Zeit die Ausdehnung bekommen, in der er gegen das
Ende der Republik galt, und die faſt das richtige Maß über-
ſchritt. Dieſe ſpätere Zeit erinnert mit ihren abſtracten Frei-
heits- und Gleichheitsideen an die Gegenwart; die ältere war
weit maßvoller, genügſamer, praktiſcher. Ihre Freiheit war ein
durch und durch hiſtoriſches Produkt, aus praktiſchen Motiven
hervorgegangen, mühſam und ſtückweiſe erkämpft; nicht der
Schulbegriff der Freiheit, ſondern der Druck, wo er beſonders
fühlbar geworden war, hatte ſie ins Leben gerufen. Sie war,
möchte man ſagen, nicht ſo ſehr ein Begriff, als eine Summe
von einzelnen beſonders wichtigen Rechten, daher nicht ohne
Lücken und ſcheinbare Inconſequenzen. Dieſe ihre durchaus
praktiſche Natur bewährte ſich daran, daß ſie ſich den Umſtän-
den fügte, z. B. im Fall der Noth ſelbſt eine vorübergehende
Suspendirung willig zuließ. 155) Höchſt bezeichnend für die
eigenthümliche Organiſation des ältern Freiheitsgefühls iſt
auch die Verträglichkeit deſſelben mit der Cenſur, einem Inſti-
tut, das uns bei unſeren heutigen Vorſtellungen von perſön-
licher Freiheit ganz unleidlich ſein würde. 156) Das Geſagte
beſtätigt ſich auch an einer Art der Freiheit, die in der neuern

entſchiedene Tendenz der ſpätern Zeit (von den XII Tafeln läßt ſich ein Glei-
ches nicht behaupten) zu milden Strafen (Platner quaest. de jure crimin.
Rom.
S. 75—82) iſt von den Römern ſelbſt rühmend hervorgehoben, z. B.
von Liv. I. 28: nulli gentium mitiores placuisse poenas, Cic. pro Rabir.
c. 3 … vestram libertatem non acerbitate suppliciorum infestam, sed
lenitate legum munitam esse voluerunt.
155) Ernennung eines Diktators, SCtum: videant consules, ne quid
detrimenti capiat respublica.
156) Man erinnere ſich (S. 50), daß der Cenſor Jemanden zur Rechen-
ſchaft zog z. B. wegen nachläſſigen Betriebs der Landwirthſchaft oder un-
ordentlicher Wirthſchaft, wegen Luxus und übertriebenen Aufwandes (eines
Fehlers, gegen den mit dem Ende des ſechſten Jahrhunderts, als die Macht
des Cenſors nicht mehr ausreichte, die Geſetzgebung ſelbſt mittelſt der be-
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[139/0153] A. Stellung des Indiv. Die perſönl. Freiheit. §. 31. Uebrigens hat jener Grundſatz der perſönlichen Freiheit erſt im Laufe der Zeit die Ausdehnung bekommen, in der er gegen das Ende der Republik galt, und die faſt das richtige Maß über- ſchritt. Dieſe ſpätere Zeit erinnert mit ihren abſtracten Frei- heits- und Gleichheitsideen an die Gegenwart; die ältere war weit maßvoller, genügſamer, praktiſcher. Ihre Freiheit war ein durch und durch hiſtoriſches Produkt, aus praktiſchen Motiven hervorgegangen, mühſam und ſtückweiſe erkämpft; nicht der Schulbegriff der Freiheit, ſondern der Druck, wo er beſonders fühlbar geworden war, hatte ſie ins Leben gerufen. Sie war, möchte man ſagen, nicht ſo ſehr ein Begriff, als eine Summe von einzelnen beſonders wichtigen Rechten, daher nicht ohne Lücken und ſcheinbare Inconſequenzen. Dieſe ihre durchaus praktiſche Natur bewährte ſich daran, daß ſie ſich den Umſtän- den fügte, z. B. im Fall der Noth ſelbſt eine vorübergehende Suspendirung willig zuließ. 155) Höchſt bezeichnend für die eigenthümliche Organiſation des ältern Freiheitsgefühls iſt auch die Verträglichkeit deſſelben mit der Cenſur, einem Inſti- tut, das uns bei unſeren heutigen Vorſtellungen von perſön- licher Freiheit ganz unleidlich ſein würde. 156) Das Geſagte beſtätigt ſich auch an einer Art der Freiheit, die in der neuern 154) 155) Ernennung eines Diktators, SCtum: videant consules, ne quid detrimenti capiat respublica. 156) Man erinnere ſich (S. 50), daß der Cenſor Jemanden zur Rechen- ſchaft zog z. B. wegen nachläſſigen Betriebs der Landwirthſchaft oder un- ordentlicher Wirthſchaft, wegen Luxus und übertriebenen Aufwandes (eines Fehlers, gegen den mit dem Ende des ſechſten Jahrhunderts, als die Macht des Cenſors nicht mehr ausreichte, die Geſetzgebung ſelbſt mittelſt der be- kannten leges sumtuariae zu Felde zog). Mit unſeren Ideen von perſönli- cher Freiheit verträgt ſich dies alles ſehr wenig, und ſelbſt dem „germaniſchen 154) entſchiedene Tendenz der ſpätern Zeit (von den XII Tafeln läßt ſich ein Glei- ches nicht behaupten) zu milden Strafen (Platner quaest. de jure crimin. Rom. S. 75—82) iſt von den Römern ſelbſt rühmend hervorgehoben, z. B. von Liv. I. 28: nulli gentium mitiores placuisse poenas, Cic. pro Rabir. c. 3 … vestram libertatem non acerbitate suppliciorum infestam, sed lenitate legum munitam esse voluerunt.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/153>, abgerufen am 22.11.2024.