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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Geschichte eine so große Rolle spielt, der religiösen Freiheit.
So tolerant oder indifferent die römische Politik gegen die Culte
der unterworfenen Völker war, ja so bereitwillig die Römer
allen Göttern des gesammten Reichs einen Platz im Kapitol
gewährten, so wenig kannten sie doch bei dem Charakter ihrer
Religion als Staatsreligion den Begriff der abstracten religiö-
sen Freiheit. Der Uebertritt zu einer andern Religion erschien
ihnen nicht unter dem Gesichtspunkt, der uns so geläufig ist,
nämlich als eine That und ein Recht des religiösen Bedürf-
nisses, sondern als ein Abfall vom römischen Staat und Wesen,
und ohne daraus ein eignes Verbrechen zu bilden oder verein-
zelte Fälle zu beachten, pflegte man doch, wenn die Fälle sich
mehrten, und das Uebel eine allgemeinere Ausdehnung gewann,
von Staatswegen einzuschreiten. 157) Schwerlich wird irgend
ein Römer daran als an einem Eingriff in die religiöse
Freiheit
Anstoß genommen haben, schwerlich auf die Idee
verfallen sein, daß man dem Prinzip der Freiheit auch eine
Ausdehnung auf religiöse Angelegenheiten, sowie überhaupt
eine Ausdehnung geben dürfe, bei der das Interesse des Staats
hätte leiden können. Den Grund, der es den Römern ersparte,
über jene Art der Freiheit zu reflektiren, erblicke ich darin, daß
die religiöse Freiheit überall erst durch den Druck ins Bewußt-
sein gebracht wird, ein solcher Druck aber in den römischen re-
ligiösen Einrichtungen gar nicht vorhanden war. Von dem
ärgsten Zwange, den es geben kann, dem Glaubenszwange, von
Inquisition und Ketzergerichten (wovon sich ja auch im Alter-
thum Spuren finden) war in Rom keine Rede; der Glaube
war frei, und die Verpflichtung zu dem äußern Cultus, den

Ethos" des Herrn Schmidt möchte mit einer solchen Ausdehnung des "ob-
jektiven Prinzips" ein Genüge gethan sein.
157) Es gehörte dies zu den Obliegenheiten des Senats, der vorkom-
menden Falls die Beamten damit beauftragte. Valer. Max. I. 3. de pere-
grina religione rejecta. Liv. IV. 30: datum inde negotium aedilibus, ut
animadverterent, ne qui nisi dii Romani neu quo alio more quam patrio
colerentur. XXV. 1. XXXIX.
13 fl.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Geſchichte eine ſo große Rolle ſpielt, der religiöſen Freiheit.
So tolerant oder indifferent die römiſche Politik gegen die Culte
der unterworfenen Völker war, ja ſo bereitwillig die Römer
allen Göttern des geſammten Reichs einen Platz im Kapitol
gewährten, ſo wenig kannten ſie doch bei dem Charakter ihrer
Religion als Staatsreligion den Begriff der abſtracten religiö-
ſen Freiheit. Der Uebertritt zu einer andern Religion erſchien
ihnen nicht unter dem Geſichtspunkt, der uns ſo geläufig iſt,
nämlich als eine That und ein Recht des religiöſen Bedürf-
niſſes, ſondern als ein Abfall vom römiſchen Staat und Weſen,
und ohne daraus ein eignes Verbrechen zu bilden oder verein-
zelte Fälle zu beachten, pflegte man doch, wenn die Fälle ſich
mehrten, und das Uebel eine allgemeinere Ausdehnung gewann,
von Staatswegen einzuſchreiten. 157) Schwerlich wird irgend
ein Römer daran als an einem Eingriff in die religiöſe
Freiheit
Anſtoß genommen haben, ſchwerlich auf die Idee
verfallen ſein, daß man dem Prinzip der Freiheit auch eine
Ausdehnung auf religiöſe Angelegenheiten, ſowie überhaupt
eine Ausdehnung geben dürfe, bei der das Intereſſe des Staats
hätte leiden können. Den Grund, der es den Römern erſparte,
über jene Art der Freiheit zu reflektiren, erblicke ich darin, daß
die religiöſe Freiheit überall erſt durch den Druck ins Bewußt-
ſein gebracht wird, ein ſolcher Druck aber in den römiſchen re-
ligiöſen Einrichtungen gar nicht vorhanden war. Von dem
ärgſten Zwange, den es geben kann, dem Glaubenszwange, von
Inquiſition und Ketzergerichten (wovon ſich ja auch im Alter-
thum Spuren finden) war in Rom keine Rede; der Glaube
war frei, und die Verpflichtung zu dem äußern Cultus, den

Ethos“ des Herrn Schmidt möchte mit einer ſolchen Ausdehnung des „ob-
jektiven Prinzips“ ein Genüge gethan ſein.
157) Es gehörte dies zu den Obliegenheiten des Senats, der vorkom-
menden Falls die Beamten damit beauftragte. Valer. Max. I. 3. de pere-
grina religione rejecta. Liv. IV. 30: datum inde negotium aedilibus, ut
animadverterent, ne qui nisi dii Romani neu quo alio more quam patrio
colerentur. XXV. 1. XXXIX.
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[140/0154] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Geſchichte eine ſo große Rolle ſpielt, der religiöſen Freiheit. So tolerant oder indifferent die römiſche Politik gegen die Culte der unterworfenen Völker war, ja ſo bereitwillig die Römer allen Göttern des geſammten Reichs einen Platz im Kapitol gewährten, ſo wenig kannten ſie doch bei dem Charakter ihrer Religion als Staatsreligion den Begriff der abſtracten religiö- ſen Freiheit. Der Uebertritt zu einer andern Religion erſchien ihnen nicht unter dem Geſichtspunkt, der uns ſo geläufig iſt, nämlich als eine That und ein Recht des religiöſen Bedürf- niſſes, ſondern als ein Abfall vom römiſchen Staat und Weſen, und ohne daraus ein eignes Verbrechen zu bilden oder verein- zelte Fälle zu beachten, pflegte man doch, wenn die Fälle ſich mehrten, und das Uebel eine allgemeinere Ausdehnung gewann, von Staatswegen einzuſchreiten. 157) Schwerlich wird irgend ein Römer daran als an einem Eingriff in die religiöſe Freiheit Anſtoß genommen haben, ſchwerlich auf die Idee verfallen ſein, daß man dem Prinzip der Freiheit auch eine Ausdehnung auf religiöſe Angelegenheiten, ſowie überhaupt eine Ausdehnung geben dürfe, bei der das Intereſſe des Staats hätte leiden können. Den Grund, der es den Römern erſparte, über jene Art der Freiheit zu reflektiren, erblicke ich darin, daß die religiöſe Freiheit überall erſt durch den Druck ins Bewußt- ſein gebracht wird, ein ſolcher Druck aber in den römiſchen re- ligiöſen Einrichtungen gar nicht vorhanden war. Von dem ärgſten Zwange, den es geben kann, dem Glaubenszwange, von Inquiſition und Ketzergerichten (wovon ſich ja auch im Alter- thum Spuren finden) war in Rom keine Rede; der Glaube war frei, und die Verpflichtung zu dem äußern Cultus, den 156) 157) Es gehörte dies zu den Obliegenheiten des Senats, der vorkom- menden Falls die Beamten damit beauftragte. Valer. Max. I. 3. de pere- grina religione rejecta. Liv. IV. 30: datum inde negotium aedilibus, ut animadverterent, ne qui nisi dii Romani neu quo alio more quam patrio colerentur. XXV. 1. XXXIX. 13 fl. 156) Ethos“ des Herrn Schmidt möchte mit einer ſolchen Ausdehnung des „ob- jektiven Prinzips“ ein Genüge gethan ſein.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/154>, abgerufen am 22.11.2024.