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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Sklaven anzunehmen. 249) Die Unmenschlichkeit eines einzelnen
Römers gegen seinen Sklaven konnte allen in feindlicher Ge-
walt befindlichen Römern die bittersten Früchte tragen, ja Ur-
sache werden, daß die faktische Gestaltung der Sklaverei bei
allen benachbarten Völkern einen schrofferen Charakter annahm.

Ein drittes einflußreiches Moment war für die alte Zeit die
geringe Zahl der Sklaven. 250) Der Herr kannte jeden ein-
zelnen derselben, was in späterer Zeit oft absolut unmöglich
war, er war mit seinen Schicksalen und seinen persönlichen Zu-
ständen vertraut, und leicht stellte sich ein Interesse für den
Sklaven, wohl gar ein genaueres Verhältniß zwischen beiden
ein. Als mit dem Ende der Republik und in der Kaiserzeit die
Zahl der in dem Besitz eines Einzelnen befindlichen Sklaven
ins Ungeheure wuchs, 251) mußte dies nothwendig einen ganz
andern Ton in das Verhältniß bringen. Der mildernde Ein-
fluß der persönlichen Beziehungen fiel hinweg oder kam wenig-
stens nur der verhältnißmäßig kleinen Zahl derjenigen zu gute,
die die Aufmerksamkeit des Gebieters erregt hatten oder durch
ihren Dienst in seine Nähe gebracht wurden; die übrigen stan-
den ihm, so zu sagen, als fungible, abstracte Wesen fremd und
fern gegenüber.

Wichtiger noch als dieses Moment ist ein anderes, auf das
auch die Römer selbst 252) für die alte Zeit ein entscheidendes
Gewicht legen, nämlich die Gemeinsamkeit der Arbeit und

249) Dionys. VII. 73. Plutarch. Coriolan. 25.
250) S. die Belege bei Gallus von Becker. Aufl. 2. B. 2, S. 91.
(Abh. von Rein.)
251) Plinius Hist. nat. XXXIII. 10 berichtet von einem Römer zur
Zeit des August, der, obgleich er in den Bürgerkriegen viel verloren, doch
über 4100 Sklaven hinterließ. Aehnliche Zahlen kommen öfter vor. Becker
a. a. O. S. 92, 93.
252) Plutarch. Coriolan. c. 24.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Sklaven anzunehmen. 249) Die Unmenſchlichkeit eines einzelnen
Römers gegen ſeinen Sklaven konnte allen in feindlicher Ge-
walt befindlichen Römern die bitterſten Früchte tragen, ja Ur-
ſache werden, daß die faktiſche Geſtaltung der Sklaverei bei
allen benachbarten Völkern einen ſchrofferen Charakter annahm.

Ein drittes einflußreiches Moment war für die alte Zeit die
geringe Zahl der Sklaven. 250) Der Herr kannte jeden ein-
zelnen derſelben, was in ſpäterer Zeit oft abſolut unmöglich
war, er war mit ſeinen Schickſalen und ſeinen perſönlichen Zu-
ſtänden vertraut, und leicht ſtellte ſich ein Intereſſe für den
Sklaven, wohl gar ein genaueres Verhältniß zwiſchen beiden
ein. Als mit dem Ende der Republik und in der Kaiſerzeit die
Zahl der in dem Beſitz eines Einzelnen befindlichen Sklaven
ins Ungeheure wuchs, 251) mußte dies nothwendig einen ganz
andern Ton in das Verhältniß bringen. Der mildernde Ein-
fluß der perſönlichen Beziehungen fiel hinweg oder kam wenig-
ſtens nur der verhältnißmäßig kleinen Zahl derjenigen zu gute,
die die Aufmerkſamkeit des Gebieters erregt hatten oder durch
ihren Dienſt in ſeine Nähe gebracht wurden; die übrigen ſtan-
den ihm, ſo zu ſagen, als fungible, abſtracte Weſen fremd und
fern gegenüber.

Wichtiger noch als dieſes Moment iſt ein anderes, auf das
auch die Römer ſelbſt 252) für die alte Zeit ein entſcheidendes
Gewicht legen, nämlich die Gemeinſamkeit der Arbeit und

249) Dionys. VII. 73. Plutarch. Coriolan. 25.
250) S. die Belege bei Gallus von Becker. Aufl. 2. B. 2, S. 91.
(Abh. von Rein.)
251) Plinius Hist. nat. XXXIII. 10 berichtet von einem Römer zur
Zeit des Auguſt, der, obgleich er in den Bürgerkriegen viel verloren, doch
über 4100 Sklaven hinterließ. Aehnliche Zahlen kommen öfter vor. Becker
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[182/0196] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Sklaven anzunehmen. 249) Die Unmenſchlichkeit eines einzelnen Römers gegen ſeinen Sklaven konnte allen in feindlicher Ge- walt befindlichen Römern die bitterſten Früchte tragen, ja Ur- ſache werden, daß die faktiſche Geſtaltung der Sklaverei bei allen benachbarten Völkern einen ſchrofferen Charakter annahm. Ein drittes einflußreiches Moment war für die alte Zeit die geringe Zahl der Sklaven. 250) Der Herr kannte jeden ein- zelnen derſelben, was in ſpäterer Zeit oft abſolut unmöglich war, er war mit ſeinen Schickſalen und ſeinen perſönlichen Zu- ſtänden vertraut, und leicht ſtellte ſich ein Intereſſe für den Sklaven, wohl gar ein genaueres Verhältniß zwiſchen beiden ein. Als mit dem Ende der Republik und in der Kaiſerzeit die Zahl der in dem Beſitz eines Einzelnen befindlichen Sklaven ins Ungeheure wuchs, 251) mußte dies nothwendig einen ganz andern Ton in das Verhältniß bringen. Der mildernde Ein- fluß der perſönlichen Beziehungen fiel hinweg oder kam wenig- ſtens nur der verhältnißmäßig kleinen Zahl derjenigen zu gute, die die Aufmerkſamkeit des Gebieters erregt hatten oder durch ihren Dienſt in ſeine Nähe gebracht wurden; die übrigen ſtan- den ihm, ſo zu ſagen, als fungible, abſtracte Weſen fremd und fern gegenüber. Wichtiger noch als dieſes Moment iſt ein anderes, auf das auch die Römer ſelbſt 252) für die alte Zeit ein entſcheidendes Gewicht legen, nämlich die Gemeinſamkeit der Arbeit und 249) Dionys. VII. 73. Plutarch. Coriolan. 25. 250) S. die Belege bei Gallus von Becker. Aufl. 2. B. 2, S. 91. (Abh. von Rein.) 251) Plinius Hist. nat. XXXIII. 10 berichtet von einem Römer zur Zeit des Auguſt, der, obgleich er in den Bürgerkriegen viel verloren, doch über 4100 Sklaven hinterließ. Aehnliche Zahlen kommen öfter vor. Becker a. a. O. S. 92, 93. 252) Plutarch. Coriolan. c. 24.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/196>, abgerufen am 22.11.2024.