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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32.
des häuslichen Lebens. Der Sklav der spätern Zeit war ein
Diener, der der alten ein Gehülfe des Herrn. Darin liegt
aber außerordentlich viel. So lange noch der Römer gemein-
schaftlich mit Sklaven und Kindern das Feld bestellte, war der
äußere Abstand zwischen Herrn und Sklaven kein so hoher.
Jeder Tag führte sie zusammen, jede gemeinsame Arbeit näherte
sie einander und brachte sie in ein vertrauteres und trauliches
Verhältniß. Die eigene Anstrengung lehrte den Herrn, dem
Sklaven nichts unmögliches zumuthen sowie die Brauchbar-
keit und Tüchtigkeit des Sklaven beurtheilen und anerkennen.
Eingeweiht in das Innerste des Familienlebens, gegenwärtig
selbst beim Hausgottesdienst, die Leiden und Freuden der Fa-
milie theilend, den Kindern von früh auf nahe und für ihr
ganzes Leben ein Gegenstand der Anhänglichkeit, war der Sklav
in der That ein Glied der Familie und ward auch als solches
angesehen und behandelt. 253) Daß die herrschaftliche Gewalt
aber bei dieser Gestaltung des Verhältnisses nicht das Ge-
hässige 254) haben konnte, das wir heutzutage in völlig un-
historischer Weise in sie hineintragen, bedarf kaum der Er-
wähnung.

253) Sie aßen mit der Familie an demselben Tisch. Becker a. a. O. S.
117. Andere Züge hat Roßbach in dem genannten Werke S. 24 fl. gesam-
melt, bei dem sich überhaupt eine richtige Anschauung des Verhältnisses findet,
was man von Becker nicht rühmen kann. Roßbach hat namentlich auch die reli-
giöse Beziehung des Sklaven zum römischen Hause hervorgehoben (z. B. der
Sklav konnte Opfer verrichten, nahm die Lustration des Ackers vor, die villica
richtete an gewissen Tagen ein Gebet an die Laren, die Diana war die Schutz-
göttin der Sklaven, die Grabstätte der Sklaven war locus religiosus u. s. w.).
Dies möchte um so eher zu beherzigen sein, als in diesen Tagen ein Versuch
gemacht ist, den Unterschied zwischen Freiheit und Sklaverei, wie überhaupt
fast das ganze alte Recht, etymologisch auf den religiösen Gesichtspunkt zu-
rückzuführen (liber der libirende, spendende, servus also die Negation). Ein
helles Licht auf das Verhältniß wirft auch die schöne Sitte, daß an den Sa-
turnalien die Sklaven von ihren Herren bedient wurden.
254) Seneca V. 6. Ne illud quidem videtis, quam omnem invi-

A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32.
des häuslichen Lebens. Der Sklav der ſpätern Zeit war ein
Diener, der der alten ein Gehülfe des Herrn. Darin liegt
aber außerordentlich viel. So lange noch der Römer gemein-
ſchaftlich mit Sklaven und Kindern das Feld beſtellte, war der
äußere Abſtand zwiſchen Herrn und Sklaven kein ſo hoher.
Jeder Tag führte ſie zuſammen, jede gemeinſame Arbeit näherte
ſie einander und brachte ſie in ein vertrauteres und trauliches
Verhältniß. Die eigene Anſtrengung lehrte den Herrn, dem
Sklaven nichts unmögliches zumuthen ſowie die Brauchbar-
keit und Tüchtigkeit des Sklaven beurtheilen und anerkennen.
Eingeweiht in das Innerſte des Familienlebens, gegenwärtig
ſelbſt beim Hausgottesdienſt, die Leiden und Freuden der Fa-
milie theilend, den Kindern von früh auf nahe und für ihr
ganzes Leben ein Gegenſtand der Anhänglichkeit, war der Sklav
in der That ein Glied der Familie und ward auch als ſolches
angeſehen und behandelt. 253) Daß die herrſchaftliche Gewalt
aber bei dieſer Geſtaltung des Verhältniſſes nicht das Ge-
häſſige 254) haben konnte, das wir heutzutage in völlig un-
hiſtoriſcher Weiſe in ſie hineintragen, bedarf kaum der Er-
wähnung.

253) Sie aßen mit der Familie an demſelben Tiſch. Becker a. a. O. S.
117. Andere Züge hat Roßbach in dem genannten Werke S. 24 fl. geſam-
melt, bei dem ſich überhaupt eine richtige Anſchauung des Verhältniſſes findet,
was man von Becker nicht rühmen kann. Roßbach hat namentlich auch die reli-
giöſe Beziehung des Sklaven zum römiſchen Hauſe hervorgehoben (z. B. der
Sklav konnte Opfer verrichten, nahm die Luſtration des Ackers vor, die villica
richtete an gewiſſen Tagen ein Gebet an die Laren, die Diana war die Schutz-
göttin der Sklaven, die Grabſtätte der Sklaven war locus religiosus u. ſ. w.).
Dies möchte um ſo eher zu beherzigen ſein, als in dieſen Tagen ein Verſuch
gemacht iſt, den Unterſchied zwiſchen Freiheit und Sklaverei, wie überhaupt
faſt das ganze alte Recht, etymologiſch auf den religiöſen Geſichtspunkt zu-
rückzuführen (liber der libirende, ſpendende, servus alſo die Negation). Ein
helles Licht auf das Verhältniß wirft auch die ſchöne Sitte, daß an den Sa-
turnalien die Sklaven von ihren Herren bedient wurden.
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[183/0197] A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32. des häuslichen Lebens. Der Sklav der ſpätern Zeit war ein Diener, der der alten ein Gehülfe des Herrn. Darin liegt aber außerordentlich viel. So lange noch der Römer gemein- ſchaftlich mit Sklaven und Kindern das Feld beſtellte, war der äußere Abſtand zwiſchen Herrn und Sklaven kein ſo hoher. Jeder Tag führte ſie zuſammen, jede gemeinſame Arbeit näherte ſie einander und brachte ſie in ein vertrauteres und trauliches Verhältniß. Die eigene Anſtrengung lehrte den Herrn, dem Sklaven nichts unmögliches zumuthen ſowie die Brauchbar- keit und Tüchtigkeit des Sklaven beurtheilen und anerkennen. Eingeweiht in das Innerſte des Familienlebens, gegenwärtig ſelbſt beim Hausgottesdienſt, die Leiden und Freuden der Fa- milie theilend, den Kindern von früh auf nahe und für ihr ganzes Leben ein Gegenſtand der Anhänglichkeit, war der Sklav in der That ein Glied der Familie und ward auch als ſolches angeſehen und behandelt. 253) Daß die herrſchaftliche Gewalt aber bei dieſer Geſtaltung des Verhältniſſes nicht das Ge- häſſige 254) haben konnte, das wir heutzutage in völlig un- hiſtoriſcher Weiſe in ſie hineintragen, bedarf kaum der Er- wähnung. 253) Sie aßen mit der Familie an demſelben Tiſch. Becker a. a. O. S. 117. Andere Züge hat Roßbach in dem genannten Werke S. 24 fl. geſam- melt, bei dem ſich überhaupt eine richtige Anſchauung des Verhältniſſes findet, was man von Becker nicht rühmen kann. Roßbach hat namentlich auch die reli- giöſe Beziehung des Sklaven zum römiſchen Hauſe hervorgehoben (z. B. der Sklav konnte Opfer verrichten, nahm die Luſtration des Ackers vor, die villica richtete an gewiſſen Tagen ein Gebet an die Laren, die Diana war die Schutz- göttin der Sklaven, die Grabſtätte der Sklaven war locus religiosus u. ſ. w.). Dies möchte um ſo eher zu beherzigen ſein, als in dieſen Tagen ein Verſuch gemacht iſt, den Unterſchied zwiſchen Freiheit und Sklaverei, wie überhaupt faſt das ganze alte Recht, etymologiſch auf den religiöſen Geſichtspunkt zu- rückzuführen (liber der libirende, ſpendende, servus alſo die Negation). Ein helles Licht auf das Verhältniß wirft auch die ſchöne Sitte, daß an den Sa- turnalien die Sklaven von ihren Herren bedient wurden. 254) Seneca V. 6. Ne illud quidem videtis, quam omnem invi-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/197>, abgerufen am 22.11.2024.