Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. gemeine Mißbilligung erfuhr und schwere Folgen für den Wi-derspenstigen nach sich zog, bald aber auch nicht. Die Sache verhält sich folgendermaßen. Der häufigste Fall, 327) in dem die Zuziehung der Verwandten und Freunde berichtet wird, war die Ausübung des jus necis ac vitae über Ehefrauen und Kinder. Der Ehemann oder Vater 328) berief hier die Ver- wandten zusammen, legte ihnen den Fall vor und sprach und vollzog das in Gemeinschaft mit ihnen 329) gefundene Urtheil. Aber auch bei andern wichtigen die Familienverhältnisse betref- fenden Handlungen des Gewaltinnehabers erforderte die Sitte eine Berathung mit den Verwandten; so wird uns dies z. B. ausdrücklich hinsichtlich der Ehescheidung bezeugt. 330) Ueber- haupt mochte kein wichtiges Ereigniß im Innern der Familie vorkommen, an dem sie nicht Theil nahmen, sei es zur Verherr- lichung des Aktes, wie bei Anlegung der toga virilis, bei Ver- lobungen u. s. w., 331) sei es um ihre Billigung einzuholen. Sie 327) Es bedarf für diese sehr bekannte Sache keiner Belegstellen. Ich verweise auf Klenze Zeitsch. für gesch. Rechtsw. B. VI. S. 25 fl. und Geib Gesch. des röm. Krim.-Proz. S. 84 fl. 328) Auch hinsichtlich der reinen Rechtsfrage, wer im concreten Fall zur Ausübung des jus necis ac vitae berufen war, und wer folglich die Ver- wandten zum Gericht zu entbieten hatte, ward es im Leben wohl nicht so genau genommen. So spricht z. B. bei Cic. de finib. I. 7 der Vater, der seinen Sohn in Adoption gegeben hatte, statt des jetzigen Innehabers der po- testas, das Urtheil, so mochte über die Ehefrau, die noch in der patr. pot. ihres Vaters, also nicht in der manus des Mannes stand, letzterer häufiger das Gericht berufen, als ersterer. 329) Daß er juristisch nicht an ihre Ansicht gebunden war, versteht sich von selbst, und es verräth ein Verkennen der ganzen Einrichtung, wenn man dies in Frage stellt, aber ebenso sehr liegt auf der Hand, daß das Ur- theil der Verwandten faktisch in der Regel den Ausschlag gegeben haben wird. 330) Val. Max. II. 9, 2. Die Censoren stießen Jemanden, der es unter- lassen, aus dem Senat. So erklärt bei Plautus, Stichus I. 2, 71, ein Va- ter, der die Ehe seiner Tochter vermöge der patr. pot. trennen will: mihi auctores ita sunt amici, ut vos hinc abducam domum. 331) Cic. ad Quint. II. 6. Appian. bell. civ. IV. 30.
Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. gemeine Mißbilligung erfuhr und ſchwere Folgen für den Wi-derſpenſtigen nach ſich zog, bald aber auch nicht. Die Sache verhält ſich folgendermaßen. Der häufigſte Fall, 327) in dem die Zuziehung der Verwandten und Freunde berichtet wird, war die Ausübung des jus necis ac vitae über Ehefrauen und Kinder. Der Ehemann oder Vater 328) berief hier die Ver- wandten zuſammen, legte ihnen den Fall vor und ſprach und vollzog das in Gemeinſchaft mit ihnen 329) gefundene Urtheil. Aber auch bei andern wichtigen die Familienverhältniſſe betref- fenden Handlungen des Gewaltinnehabers erforderte die Sitte eine Berathung mit den Verwandten; ſo wird uns dies z. B. ausdrücklich hinſichtlich der Eheſcheidung bezeugt. 330) Ueber- haupt mochte kein wichtiges Ereigniß im Innern der Familie vorkommen, an dem ſie nicht Theil nahmen, ſei es zur Verherr- lichung des Aktes, wie bei Anlegung der toga virilis, bei Ver- lobungen u. ſ. w., 331) ſei es um ihre Billigung einzuholen. Sie 327) Es bedarf für dieſe ſehr bekannte Sache keiner Belegſtellen. Ich verweiſe auf Klenze Zeitſch. für geſch. Rechtsw. B. VI. S. 25 fl. und Geib Geſch. des röm. Krim.-Proz. S. 84 fl. 328) Auch hinſichtlich der reinen Rechtsfrage, wer im concreten Fall zur Ausübung des jus necis ac vitae berufen war, und wer folglich die Ver- wandten zum Gericht zu entbieten hatte, ward es im Leben wohl nicht ſo genau genommen. So ſpricht z. B. bei Cic. de finib. I. 7 der Vater, der ſeinen Sohn in Adoption gegeben hatte, ſtatt des jetzigen Innehabers der po- testas, das Urtheil, ſo mochte über die Ehefrau, die noch in der patr. pot. ihres Vaters, alſo nicht in der manus des Mannes ſtand, letzterer häufiger das Gericht berufen, als erſterer. 329) Daß er juriſtiſch nicht an ihre Anſicht gebunden war, verſteht ſich von ſelbſt, und es verräth ein Verkennen der ganzen Einrichtung, wenn man dies in Frage ſtellt, aber ebenſo ſehr liegt auf der Hand, daß das Ur- theil der Verwandten faktiſch in der Regel den Ausſchlag gegeben haben wird. 330) Val. Max. II. 9, 2. Die Cenſoren ſtießen Jemanden, der es unter- laſſen, aus dem Senat. So erklärt bei Plautus, Stichus I. 2, 71, ein Va- ter, der die Ehe ſeiner Tochter vermöge der patr. pot. trennen will: mihi auctores ita sunt amici, ut vos hinc abducam domum. 331) Cic. ad Quint. II. 6. Appian. bell. civ. IV. 30.
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Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
gemeine Mißbilligung erfuhr und ſchwere Folgen für den Wi-
derſpenſtigen nach ſich zog, bald aber auch nicht. Die Sache
verhält ſich folgendermaßen. Der häufigſte Fall, 327) in dem
die Zuziehung der Verwandten und Freunde berichtet wird,
war die Ausübung des jus necis ac vitae über Ehefrauen
und Kinder. Der Ehemann oder Vater 328) berief hier die Ver-
wandten zuſammen, legte ihnen den Fall vor und ſprach und
vollzog das in Gemeinſchaft mit ihnen 329) gefundene Urtheil.
Aber auch bei andern wichtigen die Familienverhältniſſe betref-
fenden Handlungen des Gewaltinnehabers erforderte die Sitte
eine Berathung mit den Verwandten; ſo wird uns dies z. B.
ausdrücklich hinſichtlich der Eheſcheidung bezeugt. 330) Ueber-
haupt mochte kein wichtiges Ereigniß im Innern der Familie
vorkommen, an dem ſie nicht Theil nahmen, ſei es zur Verherr-
lichung des Aktes, wie bei Anlegung der toga virilis, bei Ver-
lobungen u. ſ. w., 331) ſei es um ihre Billigung einzuholen. Sie
327) Es bedarf für dieſe ſehr bekannte Sache keiner Belegſtellen. Ich
verweiſe auf Klenze Zeitſch. für geſch. Rechtsw. B. VI. S. 25 fl. und Geib
Geſch. des röm. Krim.-Proz. S. 84 fl.
328) Auch hinſichtlich der reinen Rechtsfrage, wer im concreten Fall
zur Ausübung des jus necis ac vitae berufen war, und wer folglich die Ver-
wandten zum Gericht zu entbieten hatte, ward es im Leben wohl nicht ſo
genau genommen. So ſpricht z. B. bei Cic. de finib. I. 7 der Vater, der
ſeinen Sohn in Adoption gegeben hatte, ſtatt des jetzigen Innehabers der po-
testas, das Urtheil, ſo mochte über die Ehefrau, die noch in der patr. pot.
ihres Vaters, alſo nicht in der manus des Mannes ſtand, letzterer häufiger
das Gericht berufen, als erſterer.
329) Daß er juriſtiſch nicht an ihre Anſicht gebunden war, verſteht
ſich von ſelbſt, und es verräth ein Verkennen der ganzen Einrichtung, wenn
man dies in Frage ſtellt, aber ebenſo ſehr liegt auf der Hand, daß das Ur-
theil der Verwandten faktiſch in der Regel den Ausſchlag gegeben haben wird.
330) Val. Max. II. 9, 2. Die Cenſoren ſtießen Jemanden, der es unter-
laſſen, aus dem Senat. So erklärt bei Plautus, Stichus I. 2, 71, ein Va-
ter, der die Ehe ſeiner Tochter vermöge der patr. pot. trennen will: mihi
auctores ita sunt amici, ut vos hinc abducam domum.
331) Cic. ad Quint. II. 6. Appian. bell. civ. IV. 30.
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