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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Vorstellung von der unbedingt verbindenden Kraft des obliga-
torischen Willens wirklich gekannt, so würde die Obligation das
Mittel dargeboten haben, die Freiheit dem Effekt nach völlig zu
untergraben, z. B. durch Uebernahme lebenslänglicher Dienst-
barkeit, durch das Versprechen sich nie vom Ort zu entfernen,
ohne Willen des andern sich nicht zu verheirathen, nichts zu ver-
äußern u. s. w. Diese Vorstellung war aber den Römern völlig
fremd. Ihre Obligation hatte zunächst eine ausschließliche Be-
ziehung und Richtung auf das Vermögen; eine Abweichung
von dieser ihrer Bahn war in alter Zeit schon durch die objek-
tive Aestimation des ältern Rechts (S. 113) unmöglich ge-
macht. Das ältere Recht kannte nach der dort geäußerten An-
sicht keine Obligationen auf Dienstleistungen, sondern nur auf
Sachen. Es wird sich später die Gelegenheit finden, diese
Ansicht noch genauer zu begründen; an dieser Stelle hebe ich
nur die Beziehung hervor, in der sie zu unserer Frage steht.
Geld und Sachen sind Stücke des Vermögens, Dienstleistungen
Produkte der Person. Ich kann mir denken, daß ein kräftiges
Freiheitsgefühl Anstoß daran nahm, letztere zu Gegenständen des
Verkehrs zu machen342) und daß, nachdem die Macht der Ver-
hältnisse diesen Fortschritt erzwungen, man dennoch sich sträubte,
einen direkten Zwang auf Vornahme der Handlung zu statui-
ren. So würde denn der Grundsatz des römischen Prozesses,
daß jede Verurtheilung auf Geld lauten müsse, eine befriedi-
gende Erklärung finden.

Es gab aber ein Mittel, durch dessen Anwendung man dem
Erfolg nach die persönliche Freiheit nach allen Seiten hin hätte
beschränken und verkümmern können, die Conventionalpön
(S. 113). Hätte man hier die Sache rein formell behandelt, so

342) Cicero de offic. I. 42: Illiberales autem et sordidi quaestus
mercenariorum omniumque, quorum operae, non artes emuntur. Est
enim in illis mercesauctoramentum servitutis ... Opifices-
que omnes in sordida arte versantur, nec enim quidquam ingenuum
potest habere officina. ibid. II. 6: quae est sordidissima ratio.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Vorſtellung von der unbedingt verbindenden Kraft des obliga-
toriſchen Willens wirklich gekannt, ſo würde die Obligation das
Mittel dargeboten haben, die Freiheit dem Effekt nach völlig zu
untergraben, z. B. durch Uebernahme lebenslänglicher Dienſt-
barkeit, durch das Verſprechen ſich nie vom Ort zu entfernen,
ohne Willen des andern ſich nicht zu verheirathen, nichts zu ver-
äußern u. ſ. w. Dieſe Vorſtellung war aber den Römern völlig
fremd. Ihre Obligation hatte zunächſt eine ausſchließliche Be-
ziehung und Richtung auf das Vermögen; eine Abweichung
von dieſer ihrer Bahn war in alter Zeit ſchon durch die objek-
tive Aeſtimation des ältern Rechts (S. 113) unmöglich ge-
macht. Das ältere Recht kannte nach der dort geäußerten An-
ſicht keine Obligationen auf Dienſtleiſtungen, ſondern nur auf
Sachen. Es wird ſich ſpäter die Gelegenheit finden, dieſe
Anſicht noch genauer zu begründen; an dieſer Stelle hebe ich
nur die Beziehung hervor, in der ſie zu unſerer Frage ſteht.
Geld und Sachen ſind Stücke des Vermögens, Dienſtleiſtungen
Produkte der Perſon. Ich kann mir denken, daß ein kräftiges
Freiheitsgefühl Anſtoß daran nahm, letztere zu Gegenſtänden des
Verkehrs zu machen342) und daß, nachdem die Macht der Ver-
hältniſſe dieſen Fortſchritt erzwungen, man dennoch ſich ſträubte,
einen direkten Zwang auf Vornahme der Handlung zu ſtatui-
ren. So würde denn der Grundſatz des römiſchen Prozeſſes,
daß jede Verurtheilung auf Geld lauten müſſe, eine befriedi-
gende Erklärung finden.

Es gab aber ein Mittel, durch deſſen Anwendung man dem
Erfolg nach die perſönliche Freiheit nach allen Seiten hin hätte
beſchränken und verkümmern können, die Conventionalpön
(S. 113). Hätte man hier die Sache rein formell behandelt, ſo

342) Cicero de offic. I. 42: Illiberales autem et sordidi quaestus
mercenariorum omniumque, quorum operae, non artes emuntur. Est
enim in illis mercesauctoramentum servitutis … Opifices-
que omnes in sordida arte versantur, nec enim quidquam ingenuum
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[226/0240] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Vorſtellung von der unbedingt verbindenden Kraft des obliga- toriſchen Willens wirklich gekannt, ſo würde die Obligation das Mittel dargeboten haben, die Freiheit dem Effekt nach völlig zu untergraben, z. B. durch Uebernahme lebenslänglicher Dienſt- barkeit, durch das Verſprechen ſich nie vom Ort zu entfernen, ohne Willen des andern ſich nicht zu verheirathen, nichts zu ver- äußern u. ſ. w. Dieſe Vorſtellung war aber den Römern völlig fremd. Ihre Obligation hatte zunächſt eine ausſchließliche Be- ziehung und Richtung auf das Vermögen; eine Abweichung von dieſer ihrer Bahn war in alter Zeit ſchon durch die objek- tive Aeſtimation des ältern Rechts (S. 113) unmöglich ge- macht. Das ältere Recht kannte nach der dort geäußerten An- ſicht keine Obligationen auf Dienſtleiſtungen, ſondern nur auf Sachen. Es wird ſich ſpäter die Gelegenheit finden, dieſe Anſicht noch genauer zu begründen; an dieſer Stelle hebe ich nur die Beziehung hervor, in der ſie zu unſerer Frage ſteht. Geld und Sachen ſind Stücke des Vermögens, Dienſtleiſtungen Produkte der Perſon. Ich kann mir denken, daß ein kräftiges Freiheitsgefühl Anſtoß daran nahm, letztere zu Gegenſtänden des Verkehrs zu machen 342) und daß, nachdem die Macht der Ver- hältniſſe dieſen Fortſchritt erzwungen, man dennoch ſich ſträubte, einen direkten Zwang auf Vornahme der Handlung zu ſtatui- ren. So würde denn der Grundſatz des römiſchen Prozeſſes, daß jede Verurtheilung auf Geld lauten müſſe, eine befriedi- gende Erklärung finden. Es gab aber ein Mittel, durch deſſen Anwendung man dem Erfolg nach die perſönliche Freiheit nach allen Seiten hin hätte beſchränken und verkümmern können, die Conventionalpön (S. 113). Hätte man hier die Sache rein formell behandelt, ſo 342) Cicero de offic. I. 42: Illiberales autem et sordidi quaestus mercenariorum omniumque, quorum operae, non artes emuntur. Est enim in illis mercesauctoramentum servitutis … Opifices- que omnes in sordida arte versantur, nec enim quidquam ingenuum potest habere officina. ibid. II. 6: quae est sordidissima ratio.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/240>, abgerufen am 21.11.2024.