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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33.
Stipulation, und für einen Etymologen und Nichtjuristen lag
der Irrthum nahe, den Umstand, daß jener Ausdruck auch bei
dem Verlöbniß wiederkehrte (sponsalia, despondere, sponsus
u. s. w.) und daß das Verlöbniß in Form der Stipulation ab-
geschlossen ward (spondesne gnatam tuam? spondeo), durch die
Annahme zu erklären, daß die Sponsalien ursprünglich ganz die
Kraft der gewöhnlichen sponsio gehabt hätten.348) Dazu kam,
daß dieser postulirte Rechtssatz in der That in Latium bis zur
lex Julia (664) Geltung gehabt hatte,349) was dem Varro, der
sein Werk de lingua latina kaum 50 Jahre später schrieb (früh-
stens 706) nicht unbekannt gewesen sein mag. Daß jene beiden
Momente den Schluß nicht begründen, läßt sich leicht zeigen.
Denn sponsio bezeichnet ursprünglich keineswegs eine civilrecht-
liche, sondern eine religiöse Verpflichtung (Bd. I. S. 264),
und daß das Recht Latiums ihm eigenthümlich gewesen und
in Rom gar nicht gegolten habe, geht aus der Darstellung
des Gellius deutlich hervor. Daß aber Varro bei dieser Frage
nur Schlüsse machte, nicht berichtete, und daß seine Auto-
rität hier eine höchst problematische ist, wird sich schwerlich
in Abrede stellen lassen. Im §. 71 spricht er von der verbinden-
den Kraft der Sponsalien als von einem Rechtssatz, der mit
den Einrichtungen der früheren Zeit zusammengehangen habe,
und deutet damit an, daß derselbe zu seiner Zeit nicht mehr
gelte. Im §. 72 aber behandelt er die act. ex sponsu als eine
noch zu seiner Zeit praktische Klage (qui dixit ... cum eo non
potest agi ex sponsu
), während dies doch nach dem Zeugniß
von juristischen Gewährsmännern, wie Servius und Nera-
tius350) entschieden falsch ist.351)

348) Isidor. IX. 8, 3 geht gleichfalls von der Idee aus, daß das spondere
hier eine juristische Verbindlichkeit habe begründen sollen, bezieht es aber
auf die Ehegatten und läßt den sponsus sponsores dafür bestellen §. 4 ibid.
349) Gellius IV, 4.
350) In der Stelle von Gellius, wo sie nämlich bemerken, daß das eigen-
thümliche Recht Latiums mit der lex Julia abgekommen sei.
351) Was die sonstigen für die Klagbarkeit der Sponsalien geltend ge-

A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33.
Stipulation, und für einen Etymologen und Nichtjuriſten lag
der Irrthum nahe, den Umſtand, daß jener Ausdruck auch bei
dem Verlöbniß wiederkehrte (sponsalia, despondere, sponsus
u. ſ. w.) und daß das Verlöbniß in Form der Stipulation ab-
geſchloſſen ward (spondesne gnatam tuam? spondeo), durch die
Annahme zu erklären, daß die Sponſalien urſprünglich ganz die
Kraft der gewöhnlichen sponsio gehabt hätten.348) Dazu kam,
daß dieſer poſtulirte Rechtsſatz in der That in Latium bis zur
lex Julia (664) Geltung gehabt hatte,349) was dem Varro, der
ſein Werk de lingua latina kaum 50 Jahre ſpäter ſchrieb (früh-
ſtens 706) nicht unbekannt geweſen ſein mag. Daß jene beiden
Momente den Schluß nicht begründen, läßt ſich leicht zeigen.
Denn sponsio bezeichnet urſprünglich keineswegs eine civilrecht-
liche, ſondern eine religiöſe Verpflichtung (Bd. I. S. 264),
und daß das Recht Latiums ihm eigenthümlich geweſen und
in Rom gar nicht gegolten habe, geht aus der Darſtellung
des Gellius deutlich hervor. Daß aber Varro bei dieſer Frage
nur Schlüſſe machte, nicht berichtete, und daß ſeine Auto-
rität hier eine höchſt problematiſche iſt, wird ſich ſchwerlich
in Abrede ſtellen laſſen. Im §. 71 ſpricht er von der verbinden-
den Kraft der Sponſalien als von einem Rechtsſatz, der mit
den Einrichtungen der früheren Zeit zuſammengehangen habe,
und deutet damit an, daß derſelbe zu ſeiner Zeit nicht mehr
gelte. Im §. 72 aber behandelt er die act. ex sponsu als eine
noch zu ſeiner Zeit praktiſche Klage (qui dixit … cum eo non
potest agi ex sponsu
), während dies doch nach dem Zeugniß
von juriſtiſchen Gewährsmännern, wie Servius und Nera-
tius350) entſchieden falſch iſt.351)

348) Isidor. IX. 8, 3 geht gleichfalls von der Idee aus, daß das spondere
hier eine juriſtiſche Verbindlichkeit habe begründen ſollen, bezieht es aber
auf die Ehegatten und läßt den sponsus sponsores dafür beſtellen §. 4 ibid.
349) Gellius IV, 4.
350) In der Stelle von Gellius, wo ſie nämlich bemerken, daß das eigen-
thümliche Recht Latiums mit der lex Julia abgekommen ſei.
351) Was die ſonſtigen für die Klagbarkeit der Sponſalien geltend ge-
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[229/0243] A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33. Stipulation, und für einen Etymologen und Nichtjuriſten lag der Irrthum nahe, den Umſtand, daß jener Ausdruck auch bei dem Verlöbniß wiederkehrte (sponsalia, despondere, sponsus u. ſ. w.) und daß das Verlöbniß in Form der Stipulation ab- geſchloſſen ward (spondesne gnatam tuam? spondeo), durch die Annahme zu erklären, daß die Sponſalien urſprünglich ganz die Kraft der gewöhnlichen sponsio gehabt hätten. 348) Dazu kam, daß dieſer poſtulirte Rechtsſatz in der That in Latium bis zur lex Julia (664) Geltung gehabt hatte, 349) was dem Varro, der ſein Werk de lingua latina kaum 50 Jahre ſpäter ſchrieb (früh- ſtens 706) nicht unbekannt geweſen ſein mag. Daß jene beiden Momente den Schluß nicht begründen, läßt ſich leicht zeigen. Denn sponsio bezeichnet urſprünglich keineswegs eine civilrecht- liche, ſondern eine religiöſe Verpflichtung (Bd. I. S. 264), und daß das Recht Latiums ihm eigenthümlich geweſen und in Rom gar nicht gegolten habe, geht aus der Darſtellung des Gellius deutlich hervor. Daß aber Varro bei dieſer Frage nur Schlüſſe machte, nicht berichtete, und daß ſeine Auto- rität hier eine höchſt problematiſche iſt, wird ſich ſchwerlich in Abrede ſtellen laſſen. Im §. 71 ſpricht er von der verbinden- den Kraft der Sponſalien als von einem Rechtsſatz, der mit den Einrichtungen der früheren Zeit zuſammengehangen habe, und deutet damit an, daß derſelbe zu ſeiner Zeit nicht mehr gelte. Im §. 72 aber behandelt er die act. ex sponsu als eine noch zu ſeiner Zeit praktiſche Klage (qui dixit … cum eo non potest agi ex sponsu), während dies doch nach dem Zeugniß von juriſtiſchen Gewährsmännern, wie Servius und Nera- tius 350) entſchieden falſch iſt. 351) 348) Isidor. IX. 8, 3 geht gleichfalls von der Idee aus, daß das spondere hier eine juriſtiſche Verbindlichkeit habe begründen ſollen, bezieht es aber auf die Ehegatten und läßt den sponsus sponsores dafür beſtellen §. 4 ibid. 349) Gellius IV, 4. 350) In der Stelle von Gellius, wo ſie nämlich bemerken, daß das eigen- thümliche Recht Latiums mit der lex Julia abgekommen ſei. 351) Was die ſonſtigen für die Klagbarkeit der Sponſalien geltend ge-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/243>, abgerufen am 24.11.2024.