Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34. verzichten, sich degradiren. Aber wer sich durch die Noth auchhierzu bestimmen ließ, ein wie ungünstiges Terrain fand er vor! Ueberall trat ihm die Concurrenz der billigen Sklavenarbeit hindernd in den Weg. Die grobe Handwerkerarbeit, alles, was zum regulären Lebensbedarf gehört, ward mit sehr unbedeuten- den Ausnahmen in jedem größeren Hause durch Sklaven be- sorgt. 379) Der Absatz war nach dieser Seite also vorzugsweise auf die untern Klassen beschränkt, mithin wenig ergiebig. Für die Handwerke aber, die eine höhere Geschicklichkeit und Uebung verlangten, gab es Officinen und Fabriken, die mit Sklaven betrieben wurden, neben denen also der freie Arbeiter, ganz ab- gesehen von dem erforderlichen Betriebskapital, bei gleicher Ge- schicklichkeit gar nicht, bei einem höhern Grade der Geschicklich- keit nur sehr schwer bestehen konnte. Im allgemeinen mußte sogar der Sklave den Vorsprung größerer Uebung und Fertigkeit voraushaben, aus dem einfachen Grunde, weil er sich ungestört und unausgesetzt seinem Geschäfte widmen konnte, während der freie Handwerker oft darin unterbrochen ward. Wenn der Sklav freigelassen ward, so setzte er das Gewerbe fort, und ihm mit seinen geringen Ansprüchen, seiner größeren Uebung und der Protektion eines mächtigen Patrons mochte dasselbe ein beschei- denes Auskommen gewähren, das dem freien Arbeiter weder sicher, noch vielleicht genügend, keinenfalls aber verführerisch genug war, um Viele zu veranlassen, den Trotz und Stolz eines müßigen Proletariers mit der demüthigen Stellung eines sol- chen Arbeiters zu vertauschen. Der Uebergang von einer höhern gesellschaftlichen Stufe zu einer niedern hat etwas höchst wider- strebendes; wie heutzutage der verarmte Adlige "es für nobler hält, als aristokratischer Proletarier zu vegetiren, denn als tüch- 379) Dies ist bekannt. Ich verweise auf Gallus von Becker. Bd. 2 u. 3
der Ausg. von Rein. Eine Persiflage dieser Einrichtung s. bei Petronius Satiricon c. 38: Nec est, quod putes, illum quidquam emere, omnia domi nascuntur etc. A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34. verzichten, ſich degradiren. Aber wer ſich durch die Noth auchhierzu beſtimmen ließ, ein wie ungünſtiges Terrain fand er vor! Ueberall trat ihm die Concurrenz der billigen Sklavenarbeit hindernd in den Weg. Die grobe Handwerkerarbeit, alles, was zum regulären Lebensbedarf gehört, ward mit ſehr unbedeuten- den Ausnahmen in jedem größeren Hauſe durch Sklaven be- ſorgt. 379) Der Abſatz war nach dieſer Seite alſo vorzugsweiſe auf die untern Klaſſen beſchränkt, mithin wenig ergiebig. Für die Handwerke aber, die eine höhere Geſchicklichkeit und Uebung verlangten, gab es Officinen und Fabriken, die mit Sklaven betrieben wurden, neben denen alſo der freie Arbeiter, ganz ab- geſehen von dem erforderlichen Betriebskapital, bei gleicher Ge- ſchicklichkeit gar nicht, bei einem höhern Grade der Geſchicklich- keit nur ſehr ſchwer beſtehen konnte. Im allgemeinen mußte ſogar der Sklave den Vorſprung größerer Uebung und Fertigkeit voraushaben, aus dem einfachen Grunde, weil er ſich ungeſtört und unausgeſetzt ſeinem Geſchäfte widmen konnte, während der freie Handwerker oft darin unterbrochen ward. Wenn der Sklav freigelaſſen ward, ſo ſetzte er das Gewerbe fort, und ihm mit ſeinen geringen Anſprüchen, ſeiner größeren Uebung und der Protektion eines mächtigen Patrons mochte daſſelbe ein beſchei- denes Auskommen gewähren, das dem freien Arbeiter weder ſicher, noch vielleicht genügend, keinenfalls aber verführeriſch genug war, um Viele zu veranlaſſen, den Trotz und Stolz eines müßigen Proletariers mit der demüthigen Stellung eines ſol- chen Arbeiters zu vertauſchen. Der Uebergang von einer höhern geſellſchaftlichen Stufe zu einer niedern hat etwas höchſt wider- ſtrebendes; wie heutzutage der verarmte Adlige „es für nobler hält, als ariſtokratiſcher Proletarier zu vegetiren, denn als tüch- 379) Dies iſt bekannt. Ich verweiſe auf Gallus von Becker. Bd. 2 u. 3
der Ausg. von Rein. Eine Perſiflage dieſer Einrichtung ſ. bei Petronius Satiricon c. 38: Nec est, quod putes, illum quidquam emere, omnia domi nascuntur etc. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0267" n="253"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34.</fw><lb/> verzichten, ſich degradiren. Aber wer ſich durch die Noth auch<lb/> hierzu beſtimmen ließ, ein wie ungünſtiges Terrain fand er vor!<lb/> Ueberall trat ihm die Concurrenz der billigen Sklavenarbeit<lb/> hindernd in den Weg. Die grobe Handwerkerarbeit, alles, was<lb/> zum regulären Lebensbedarf gehört, ward mit ſehr unbedeuten-<lb/> den Ausnahmen in jedem größeren Hauſe durch Sklaven be-<lb/> ſorgt. <note place="foot" n="379)">Dies iſt bekannt. Ich verweiſe auf Gallus von Becker. Bd. 2 u. 3<lb/> der Ausg. von Rein. Eine Perſiflage dieſer Einrichtung ſ. bei <hi rendition="#aq">Petronius<lb/> Satiricon c. 38: Nec est, quod putes, illum quidquam emere, omnia<lb/> domi nascuntur etc.</hi></note> Der Abſatz war nach dieſer Seite alſo vorzugsweiſe<lb/> auf die untern Klaſſen beſchränkt, mithin wenig ergiebig. Für<lb/> die Handwerke aber, die eine höhere Geſchicklichkeit und Uebung<lb/> verlangten, gab es Officinen und Fabriken, die mit Sklaven<lb/> betrieben wurden, neben denen alſo der freie Arbeiter, ganz ab-<lb/> geſehen von dem erforderlichen Betriebskapital, bei gleicher Ge-<lb/> ſchicklichkeit gar nicht, bei einem höhern Grade der Geſchicklich-<lb/> keit nur ſehr ſchwer beſtehen konnte. Im allgemeinen mußte<lb/> ſogar der Sklave den Vorſprung größerer Uebung und Fertigkeit<lb/> voraushaben, aus dem einfachen Grunde, weil er ſich ungeſtört<lb/> und unausgeſetzt ſeinem Geſchäfte widmen konnte, während der<lb/> freie Handwerker oft darin unterbrochen ward. Wenn der Sklav<lb/> freigelaſſen ward, ſo ſetzte er das Gewerbe fort, und ihm mit<lb/> ſeinen geringen Anſprüchen, ſeiner größeren Uebung und der<lb/> Protektion eines mächtigen Patrons mochte daſſelbe ein beſchei-<lb/> denes Auskommen gewähren, das dem freien Arbeiter weder<lb/> ſicher, noch vielleicht genügend, keinenfalls aber verführeriſch<lb/> genug war, um Viele zu veranlaſſen, den Trotz und Stolz eines<lb/> müßigen Proletariers mit der demüthigen Stellung eines ſol-<lb/> chen Arbeiters zu vertauſchen. Der Uebergang von einer höhern<lb/> geſellſchaftlichen Stufe zu einer niedern hat etwas höchſt wider-<lb/> ſtrebendes; wie heutzutage der verarmte Adlige „es für nobler<lb/> hält, als ariſtokratiſcher Proletarier zu vegetiren, denn als tüch-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [253/0267]
A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34.
verzichten, ſich degradiren. Aber wer ſich durch die Noth auch
hierzu beſtimmen ließ, ein wie ungünſtiges Terrain fand er vor!
Ueberall trat ihm die Concurrenz der billigen Sklavenarbeit
hindernd in den Weg. Die grobe Handwerkerarbeit, alles, was
zum regulären Lebensbedarf gehört, ward mit ſehr unbedeuten-
den Ausnahmen in jedem größeren Hauſe durch Sklaven be-
ſorgt. 379) Der Abſatz war nach dieſer Seite alſo vorzugsweiſe
auf die untern Klaſſen beſchränkt, mithin wenig ergiebig. Für
die Handwerke aber, die eine höhere Geſchicklichkeit und Uebung
verlangten, gab es Officinen und Fabriken, die mit Sklaven
betrieben wurden, neben denen alſo der freie Arbeiter, ganz ab-
geſehen von dem erforderlichen Betriebskapital, bei gleicher Ge-
ſchicklichkeit gar nicht, bei einem höhern Grade der Geſchicklich-
keit nur ſehr ſchwer beſtehen konnte. Im allgemeinen mußte
ſogar der Sklave den Vorſprung größerer Uebung und Fertigkeit
voraushaben, aus dem einfachen Grunde, weil er ſich ungeſtört
und unausgeſetzt ſeinem Geſchäfte widmen konnte, während der
freie Handwerker oft darin unterbrochen ward. Wenn der Sklav
freigelaſſen ward, ſo ſetzte er das Gewerbe fort, und ihm mit
ſeinen geringen Anſprüchen, ſeiner größeren Uebung und der
Protektion eines mächtigen Patrons mochte daſſelbe ein beſchei-
denes Auskommen gewähren, das dem freien Arbeiter weder
ſicher, noch vielleicht genügend, keinenfalls aber verführeriſch
genug war, um Viele zu veranlaſſen, den Trotz und Stolz eines
müßigen Proletariers mit der demüthigen Stellung eines ſol-
chen Arbeiters zu vertauſchen. Der Uebergang von einer höhern
geſellſchaftlichen Stufe zu einer niedern hat etwas höchſt wider-
ſtrebendes; wie heutzutage der verarmte Adlige „es für nobler
hält, als ariſtokratiſcher Proletarier zu vegetiren, denn als tüch-
379) Dies iſt bekannt. Ich verweiſe auf Gallus von Becker. Bd. 2 u. 3
der Ausg. von Rein. Eine Perſiflage dieſer Einrichtung ſ. bei Petronius
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