Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.B. Stellung der Magistratur. -- Das Bedürfniß der Freiheit. §. 35. anders hinsichtlich der sonstigen Thätigkeit der Staatsgewalt.Das Ziel der Verwaltung im Gegensatz zur Justiz ist nicht das Gleiche, sondern das Beste, und da das Beste sich nicht immer im voraus bestimmen läßt, so darf ihr die nöthige Freiheit der Entscheidung nicht durch ein nach Art des Privatrechts zuge- schnittenes System bestimmter und detaillirter Regeln verküm- mert werden. Das Recht wird sich mithin mehr darauf zu be- schränken haben, ihr negativ die Punkte, über die sie nicht hin- aus darf, als positiv den Weg zu weisen, den sie gehen soll. Die Staatsgewalt ist also nach dieser Seite hin wesentlich Gewalt, Selbstbestimmung, Freiheit. Diese Freiheit hat wie die Freiheit überhaupt eine bedenk- B. Stellung der Magiſtratur. — Das Bedürfniß der Freiheit. §. 35. anders hinſichtlich der ſonſtigen Thätigkeit der Staatsgewalt.Das Ziel der Verwaltung im Gegenſatz zur Juſtiz iſt nicht das Gleiche, ſondern das Beſte, und da das Beſte ſich nicht immer im voraus beſtimmen läßt, ſo darf ihr die nöthige Freiheit der Entſcheidung nicht durch ein nach Art des Privatrechts zuge- ſchnittenes Syſtem beſtimmter und detaillirter Regeln verküm- mert werden. Das Recht wird ſich mithin mehr darauf zu be- ſchränken haben, ihr negativ die Punkte, über die ſie nicht hin- aus darf, als poſitiv den Weg zu weiſen, den ſie gehen ſoll. Die Staatsgewalt iſt alſo nach dieſer Seite hin weſentlich Gewalt, Selbſtbeſtimmung, Freiheit. Dieſe Freiheit hat wie die Freiheit überhaupt eine bedenk- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0283" n="269"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">B.</hi> Stellung der Magiſtratur. — Das Bedürfniß der Freiheit. §. 35.</fw><lb/> anders hinſichtlich der ſonſtigen Thätigkeit der Staatsgewalt.<lb/> Das Ziel der Verwaltung im Gegenſatz zur Juſtiz iſt nicht das<lb/> Gleiche, ſondern das <hi rendition="#g">Beſte,</hi> und da das Beſte ſich nicht immer<lb/> im voraus beſtimmen läßt, ſo darf ihr die nöthige Freiheit der<lb/> Entſcheidung nicht durch ein nach Art des Privatrechts zuge-<lb/> ſchnittenes Syſtem beſtimmter und detaillirter Regeln verküm-<lb/> mert werden. Das Recht wird ſich mithin mehr darauf zu be-<lb/> ſchränken haben, ihr negativ die Punkte, über die ſie nicht hin-<lb/> aus darf, als poſitiv den Weg zu weiſen, den ſie gehen ſoll.<lb/> Die Staatsgewalt iſt alſo nach dieſer Seite hin weſentlich<lb/><hi rendition="#g">Gewalt, Selbſtbeſtimmung, Freiheit.</hi></p><lb/> <p>Dieſe Freiheit hat wie die Freiheit überhaupt eine bedenk-<lb/> liche Seite, die <hi rendition="#g">Möglichkeit des Mißbrauchs.</hi> In der<lb/> abſoluten Monarchie gibt es gegen dieſe Gefahr <hi rendition="#g">rechtlich</hi><lb/> kein Schutzmittel, obſchon dieſelbe hier faktiſch in einem weit<lb/> höheren Grade ausgeſchloſſen ſein kann, als es ſich in anderen<lb/> Verfaſſungen durch Sicherungsmittel rechtlicher Art irgend be-<lb/> werkſtelligen läßt. Was letztere anbetrifft, ſo kann man prinzipiell<lb/> eine doppelte Richtung derſelben unterſcheiden, das <hi rendition="#g">Präventiv-</hi><lb/> und das <hi rendition="#g">Reſponſabilitätsſyſtem.</hi> Jenes beſteht darin,<lb/> daß die Geſetzgebung die Gefahr des Mißbrauchs von vornherein<lb/> durch detaillirte Anweiſungen, erſchwerende Formen, Mitwirkung<lb/> verſchiedener Behörden zu einem und demſelben Zweck, kurz durch<lb/> Sicherheitsmaßregeln prophylaktiſcher Art auszuſchließen ſucht.<lb/> Eine Verantwortlichkeit iſt auch hier nicht ausgeſchloſſen, aber<lb/> ſie bezieht ſich im weſentlichen nur auf die <hi rendition="#g">Uebertretung<lb/> der Geſetze.</hi> Worin das Reſponſabilitätsſyſtem beſteht,<lb/> ergibt ſich aus dem Gegenſatz. Auch hier ſoll der rechte Ge-<lb/> brauch der Gewalt geſichert, der Mißbrauch ausgeſchloſſen wer-<lb/> den, aber ohne Beeinträchtigung der Freiheit. Die Frage, was<lb/> rechter Gebrauch, was Mißbrauch ſei, bleibt hier der Einſicht<lb/> des Handelnden überlaſſen, die Möglichkeit des Mißbrauchs<lb/> offen, damit die des rechten Gebrauchs nicht verkümmert werde.<lb/> Die Verpflichtung geht hier alſo nicht bloß auf ein äußerliches<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [269/0283]
B. Stellung der Magiſtratur. — Das Bedürfniß der Freiheit. §. 35.
anders hinſichtlich der ſonſtigen Thätigkeit der Staatsgewalt.
Das Ziel der Verwaltung im Gegenſatz zur Juſtiz iſt nicht das
Gleiche, ſondern das Beſte, und da das Beſte ſich nicht immer
im voraus beſtimmen läßt, ſo darf ihr die nöthige Freiheit der
Entſcheidung nicht durch ein nach Art des Privatrechts zuge-
ſchnittenes Syſtem beſtimmter und detaillirter Regeln verküm-
mert werden. Das Recht wird ſich mithin mehr darauf zu be-
ſchränken haben, ihr negativ die Punkte, über die ſie nicht hin-
aus darf, als poſitiv den Weg zu weiſen, den ſie gehen ſoll.
Die Staatsgewalt iſt alſo nach dieſer Seite hin weſentlich
Gewalt, Selbſtbeſtimmung, Freiheit.
Dieſe Freiheit hat wie die Freiheit überhaupt eine bedenk-
liche Seite, die Möglichkeit des Mißbrauchs. In der
abſoluten Monarchie gibt es gegen dieſe Gefahr rechtlich
kein Schutzmittel, obſchon dieſelbe hier faktiſch in einem weit
höheren Grade ausgeſchloſſen ſein kann, als es ſich in anderen
Verfaſſungen durch Sicherungsmittel rechtlicher Art irgend be-
werkſtelligen läßt. Was letztere anbetrifft, ſo kann man prinzipiell
eine doppelte Richtung derſelben unterſcheiden, das Präventiv-
und das Reſponſabilitätsſyſtem. Jenes beſteht darin,
daß die Geſetzgebung die Gefahr des Mißbrauchs von vornherein
durch detaillirte Anweiſungen, erſchwerende Formen, Mitwirkung
verſchiedener Behörden zu einem und demſelben Zweck, kurz durch
Sicherheitsmaßregeln prophylaktiſcher Art auszuſchließen ſucht.
Eine Verantwortlichkeit iſt auch hier nicht ausgeſchloſſen, aber
ſie bezieht ſich im weſentlichen nur auf die Uebertretung
der Geſetze. Worin das Reſponſabilitätsſyſtem beſteht,
ergibt ſich aus dem Gegenſatz. Auch hier ſoll der rechte Ge-
brauch der Gewalt geſichert, der Mißbrauch ausgeſchloſſen wer-
den, aber ohne Beeinträchtigung der Freiheit. Die Frage, was
rechter Gebrauch, was Mißbrauch ſei, bleibt hier der Einſicht
des Handelnden überlaſſen, die Möglichkeit des Mißbrauchs
offen, damit die des rechten Gebrauchs nicht verkümmert werde.
Die Verpflichtung geht hier alſo nicht bloß auf ein äußerliches
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