Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.B. Stellung der Magistratur. -- Mangel an Gesetzen. §. 35. sowohl was die Zahl als den Inhalt der Gesetze anbetrifft, inBezug auf diesen Punkt äußerst dürftig war, so wird diese Be- hauptung schwerlich auf Widerspruch stoßen. Es ist an einem andern Ort (S. 40) bereits darauf hingewiesen, daß die Ten- denz nach Fixirung und Objektivirung des Rechts auf dem Ge- biete des öffentlichen Rechts überhaupt in unendlich geringerem Grade sich geltend machte, als auf dem des Privatrechts. Den Grund davon dürfen wir theils in der bereits an jener Stelle angegebenen innern Verschiedenheit zwischen beiden Rechtsthei- len erblicken, theils aber auch in den ganz besonderen Verhält- nissen der römischen Verfassungsgeschichte, namentlich in dem Dualismus des Patricier- und Plebejerthums. Nach und nach fand sich in der römischen Verfassung das Verschiedenartigste zusammen, Reste aus der Königszeit mit Institutionen von rein republikanischem Gepräge, aristokratische mit demokratischen Ideen, drei verschiedene Volksversammlungen, kurz ein höchst buntscheckiges Gemisch. Es wäre für die Gesetzgebung eine äußerst schwierige Aufgabe gewesen, das Ineinandergreifen aller dieser Gewalten und ihre Competenzverhältnisse genau zu be- stimmen, namentlich auch bei Einführung neuer Gewalten die Rückwirkung, die die Aenderung auf das Ganze ausüben mußte, im voraus zu übersehen und zu reguliren. Abgesehen von dem mit dem Sturz des Decemvirats wieder beseitigten staatsrecht- lichen System der XII Tafeln haben die Römer es aber nie ver- sucht, ihre Verfassung in ihrem Gesammtzusammenhang legis- lativ zu formuliren. Was nun speziell die Magistratur be- trifft, so begnügte die Gesetzgebung sich damit, sie hie und da zu beschränken (z. B. hinsichtlich der oft wiederholten Bestim- mung über die Provocation an die Volksversammlung, hin- sichtlich des Maßes der multa u. s. w.), bei Einführung neuer Gewalten aber that sie kaum etwas mehr, als daß sie ihnen, so zu sagen, das nackte Leben gab. Wie sie in das Ganze ein- zugreifen, wie sie sich zu ihrer Umgebung zu stellen und ihre Gewalt zum Besten des Staats zu verwenden hatten, alles das B. Stellung der Magiſtratur. — Mangel an Geſetzen. §. 35. ſowohl was die Zahl als den Inhalt der Geſetze anbetrifft, inBezug auf dieſen Punkt äußerſt dürftig war, ſo wird dieſe Be- hauptung ſchwerlich auf Widerſpruch ſtoßen. Es iſt an einem andern Ort (S. 40) bereits darauf hingewieſen, daß die Ten- denz nach Fixirung und Objektivirung des Rechts auf dem Ge- biete des öffentlichen Rechts überhaupt in unendlich geringerem Grade ſich geltend machte, als auf dem des Privatrechts. Den Grund davon dürfen wir theils in der bereits an jener Stelle angegebenen innern Verſchiedenheit zwiſchen beiden Rechtsthei- len erblicken, theils aber auch in den ganz beſonderen Verhält- niſſen der römiſchen Verfaſſungsgeſchichte, namentlich in dem Dualismus des Patricier- und Plebejerthums. Nach und nach fand ſich in der römiſchen Verfaſſung das Verſchiedenartigſte zuſammen, Reſte aus der Königszeit mit Inſtitutionen von rein republikaniſchem Gepräge, ariſtokratiſche mit demokratiſchen Ideen, drei verſchiedene Volksverſammlungen, kurz ein höchſt buntſcheckiges Gemiſch. Es wäre für die Geſetzgebung eine äußerſt ſchwierige Aufgabe geweſen, das Ineinandergreifen aller dieſer Gewalten und ihre Competenzverhältniſſe genau zu be- ſtimmen, namentlich auch bei Einführung neuer Gewalten die Rückwirkung, die die Aenderung auf das Ganze ausüben mußte, im voraus zu überſehen und zu reguliren. Abgeſehen von dem mit dem Sturz des Decemvirats wieder beſeitigten ſtaatsrecht- lichen Syſtem der XII Tafeln haben die Römer es aber nie ver- ſucht, ihre Verfaſſung in ihrem Geſammtzuſammenhang legis- lativ zu formuliren. Was nun ſpeziell die Magiſtratur be- trifft, ſo begnügte die Geſetzgebung ſich damit, ſie hie und da zu beſchränken (z. B. hinſichtlich der oft wiederholten Beſtim- mung über die Provocation an die Volksverſammlung, hin- ſichtlich des Maßes der multa u. ſ. w.), bei Einführung neuer Gewalten aber that ſie kaum etwas mehr, als daß ſie ihnen, ſo zu ſagen, das nackte Leben gab. 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B. Stellung der Magiſtratur. — Mangel an Geſetzen. §. 35.
ſowohl was die Zahl als den Inhalt der Geſetze anbetrifft, in
Bezug auf dieſen Punkt äußerſt dürftig war, ſo wird dieſe Be-
hauptung ſchwerlich auf Widerſpruch ſtoßen. Es iſt an einem
andern Ort (S. 40) bereits darauf hingewieſen, daß die Ten-
denz nach Fixirung und Objektivirung des Rechts auf dem Ge-
biete des öffentlichen Rechts überhaupt in unendlich geringerem
Grade ſich geltend machte, als auf dem des Privatrechts. Den
Grund davon dürfen wir theils in der bereits an jener Stelle
angegebenen innern Verſchiedenheit zwiſchen beiden Rechtsthei-
len erblicken, theils aber auch in den ganz beſonderen Verhält-
niſſen der römiſchen Verfaſſungsgeſchichte, namentlich in dem
Dualismus des Patricier- und Plebejerthums. Nach und nach
fand ſich in der römiſchen Verfaſſung das Verſchiedenartigſte
zuſammen, Reſte aus der Königszeit mit Inſtitutionen von rein
republikaniſchem Gepräge, ariſtokratiſche mit demokratiſchen
Ideen, drei verſchiedene Volksverſammlungen, kurz ein höchſt
buntſcheckiges Gemiſch. Es wäre für die Geſetzgebung eine
äußerſt ſchwierige Aufgabe geweſen, das Ineinandergreifen aller
dieſer Gewalten und ihre Competenzverhältniſſe genau zu be-
ſtimmen, namentlich auch bei Einführung neuer Gewalten die
Rückwirkung, die die Aenderung auf das Ganze ausüben mußte,
im voraus zu überſehen und zu reguliren. Abgeſehen von dem
mit dem Sturz des Decemvirats wieder beſeitigten ſtaatsrecht-
lichen Syſtem der XII Tafeln haben die Römer es aber nie ver-
ſucht, ihre Verfaſſung in ihrem Geſammtzuſammenhang legis-
lativ zu formuliren. Was nun ſpeziell die Magiſtratur be-
trifft, ſo begnügte die Geſetzgebung ſich damit, ſie hie und da
zu beſchränken (z. B. hinſichtlich der oft wiederholten Beſtim-
mung über die Provocation an die Volksverſammlung, hin-
ſichtlich des Maßes der multa u. ſ. w.), bei Einführung neuer
Gewalten aber that ſie kaum etwas mehr, als daß ſie ihnen, ſo
zu ſagen, das nackte Leben gab. Wie ſie in das Ganze ein-
zugreifen, wie ſie ſich zu ihrer Umgebung zu ſtellen und ihre
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