Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. zum Nachgeben; 463) bald wird der Drohung von der einen eineDrohung von der andern Seite entgegengesetzt. So sucht ein Dictator die Plebs von ihren Vorsätzen abzuschrecken, indem er ankündigt, daß er eine Aushebung veranstalten und die un- ruhige Mannschaft aus der Stadt führen werde, und die Tri- bunen ihrerseits antworten ihm darauf mit einem Plebiscit, wodurch ihm für diesen Fall eine Strafe von einer halben Mil- lion auferlegt ward. 464) Bald wieder wagt der Beamte nicht mit seiner Drohung Ernst zu machen und läßt geschehen, was er verhindern wollte, bald weicht er keinen Schritt zurück und setzt seinen Zweck durch. 465) Die Censoren hatten bekanntlich das Recht, die Liste des Senats anzufertigen, und es behielt bei ihrer Redaction sein Bewenden. Als diese Liste aber einst nach Gunst und Willkühr entworfen war, erklärten die Con- suln, daß sie sich nicht daran binden würden, und griffen zu einer frühern zurück. 466) Die Prätoren hatten das Amt, Recht zu sprechen. Als aber einst ein Prätor, während er sein Amt verwaltete, sich nicht erhob, indem der Consul Aemilius Scau- rus, ein Mann von gewaltigem Charakter vorüberging, ließ derselbe ihm nicht allein das Kleid am Leibe zerreißen und sei- nen Sessel zerschlagen, sondern er erließ ein Edikt, daß Nie- mand fortan bei ihm Recht nehmen solle, das heißt also im Grunde: er nahm ihm das Amt, das das Volk ihm gegeben hatte. 467) In diesen beiden letzteren Fällen war die formelle Berechtigung zu einer solchen Maßregel wohl mehr als zwei- felhaft. Ich will die Beispiele nicht mehr häufen, um so weniger, 463) S. z. B. Florus epit. II, 2. §. 17. Liv. II, 56. IV, 26. 464) Liv. VI, 38. 465) Man vergleiche z. B. Liv. VIII, 15 mit Vellej. Paterc. II, 92. und Gell. VI, 9. 466) Liv. IX, 30. 467) Auct. de vir. illustr. c. 72.
Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. zum Nachgeben; 463) bald wird der Drohung von der einen eineDrohung von der andern Seite entgegengeſetzt. So ſucht ein Dictator die Plebs von ihren Vorſätzen abzuſchrecken, indem er ankündigt, daß er eine Aushebung veranſtalten und die un- ruhige Mannſchaft aus der Stadt führen werde, und die Tri- bunen ihrerſeits antworten ihm darauf mit einem Plebiſcit, wodurch ihm für dieſen Fall eine Strafe von einer halben Mil- lion auferlegt ward. 464) Bald wieder wagt der Beamte nicht mit ſeiner Drohung Ernſt zu machen und läßt geſchehen, was er verhindern wollte, bald weicht er keinen Schritt zurück und ſetzt ſeinen Zweck durch. 465) Die Cenſoren hatten bekanntlich das Recht, die Liſte des Senats anzufertigen, und es behielt bei ihrer Redaction ſein Bewenden. Als dieſe Liſte aber einſt nach Gunſt und Willkühr entworfen war, erklärten die Con- ſuln, daß ſie ſich nicht daran binden würden, und griffen zu einer frühern zurück. 466) Die Prätoren hatten das Amt, Recht zu ſprechen. Als aber einſt ein Prätor, während er ſein Amt verwaltete, ſich nicht erhob, indem der Conſul Aemilius Scau- rus, ein Mann von gewaltigem Charakter vorüberging, ließ derſelbe ihm nicht allein das Kleid am Leibe zerreißen und ſei- nen Seſſel zerſchlagen, ſondern er erließ ein Edikt, daß Nie- mand fortan bei ihm Recht nehmen ſolle, das heißt alſo im Grunde: er nahm ihm das Amt, das das Volk ihm gegeben hatte. 467) In dieſen beiden letzteren Fällen war die formelle Berechtigung zu einer ſolchen Maßregel wohl mehr als zwei- felhaft. Ich will die Beiſpiele nicht mehr häufen, um ſo weniger, 463) S. z. B. Florus epit. II, 2. §. 17. Liv. II, 56. IV, 26. 464) Liv. VI, 38. 465) Man vergleiche z. B. Liv. VIII, 15 mit Vellej. Paterc. II, 92. und Gell. VI, 9. 466) Liv. IX, 30. 467) Auct. de vir. illustr. c. 72.
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Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
zum Nachgeben; 463) bald wird der Drohung von der einen eine
Drohung von der andern Seite entgegengeſetzt. So ſucht ein
Dictator die Plebs von ihren Vorſätzen abzuſchrecken, indem
er ankündigt, daß er eine Aushebung veranſtalten und die un-
ruhige Mannſchaft aus der Stadt führen werde, und die Tri-
bunen ihrerſeits antworten ihm darauf mit einem Plebiſcit,
wodurch ihm für dieſen Fall eine Strafe von einer halben Mil-
lion auferlegt ward. 464) Bald wieder wagt der Beamte nicht
mit ſeiner Drohung Ernſt zu machen und läßt geſchehen, was
er verhindern wollte, bald weicht er keinen Schritt zurück und
ſetzt ſeinen Zweck durch. 465) Die Cenſoren hatten bekanntlich
das Recht, die Liſte des Senats anzufertigen, und es behielt
bei ihrer Redaction ſein Bewenden. Als dieſe Liſte aber einſt
nach Gunſt und Willkühr entworfen war, erklärten die Con-
ſuln, daß ſie ſich nicht daran binden würden, und griffen zu
einer frühern zurück. 466) Die Prätoren hatten das Amt, Recht
zu ſprechen. Als aber einſt ein Prätor, während er ſein Amt
verwaltete, ſich nicht erhob, indem der Conſul Aemilius Scau-
rus, ein Mann von gewaltigem Charakter vorüberging, ließ
derſelbe ihm nicht allein das Kleid am Leibe zerreißen und ſei-
nen Seſſel zerſchlagen, ſondern er erließ ein Edikt, daß Nie-
mand fortan bei ihm Recht nehmen ſolle, das heißt alſo im
Grunde: er nahm ihm das Amt, das das Volk ihm gegeben
hatte. 467) In dieſen beiden letzteren Fällen war die formelle
Berechtigung zu einer ſolchen Maßregel wohl mehr als zwei-
felhaft.
Ich will die Beiſpiele nicht mehr häufen, um ſo weniger,
da ſchon unſere frühere Darſtellung Gelegenheit hatte, an zwei
463) S. z. B. Florus epit. II, 2. §. 17. Liv. II, 56. IV, 26.
464) Liv. VI, 38.
465) Man vergleiche z. B. Liv. VIII, 15 mit Vellej. Paterc. II, 92.
und Gell. VI, 9.
466) Liv. IX, 30.
467) Auct. de vir. illustr. c. 72.
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