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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe.
zu Gebote steht, um zu strafen oder durch Androhung desselben
abzuschrecken und zu zwingen entspricht gleichfalls dem Gesichts-
punkt, der die ganze Censur beherrscht. Es besteht nicht in Ver-
mögens-, Freiheits- oder Leibes-Strafe, sondern es ist dasselbe
Mittel, vermöge dessen auch ohne Censur das öffentliche Sitt-
lichkeitsgefühl überall gegen eine ihm zugefügte Verletzung rea-
girt. Die öffentliche Mißbilligung, die die nächste Folge einer
solchen Verletzung ist, gestaltet sich bei dem Censor zur nota cen-
soria,
der öffentlichen Rüge. Zu ihr gesellt sich als höchster
Grad censorischer Strafe die Ausschließung aus dem politischen
Kreise, dem der Schuldige angehörte, dem Senat, Ritterstande,
der Tribus; sie hat gleichfalls ihr Vorbild an der faktischen
Ausschließung von allen freien Gemeinschaftsverhältnissen, die
die öffentliche Meinung auch ohne Uebereinkunft über den sitt-
lich Unwürdigen zu verhängen pflegt.

Es ist hier begreiflicherweise nicht der Ort, um eine Schil-
derung von der Censur zu entwerfen; wir müssen dies der
Rechtsgeschichte überlassen und halten uns bloß an den Ge-
sichtspunkt, von dem aus sie uns hier interessirt, d. i. ihre Be-
deutung und Beziehung zu dem das römische Recht beherrschen-
den Selbständigkeitstriebe. Es liegt nun zwar auf der Hand,
daß der Gegensatz zwischen Recht und, ich will der Kürze wegen
sagen, Moral, um in der Censur äußerlich zu werden, inner-
lich in der römischen Rechtsanschauung bereits vorhanden ge-
wesen sein muß, allein, wie alles Innerliche erst dadurch festen
Bestand erlangt, daß es äußere Formen annimmt, wie letztere
erhaltend und kräftigend auf dasselbe zurückwirken, so verhält es
sich auch mit jenem Gegensatz zwischen Recht und Moral. Die
äußerliche Verkörperung der Moral in der Censur hielt bei der
Rechtsbildung und Rechtspflege den eigenthümlichen Gesichts-

ben, daß seinen Verfügungen rechtliche Wirksamkeit zustehen z. B. ein Kauf-
contrakt über irgend einen Luxusartikel nichtig sein solle, weil er, der Censor,
in seinen Edikten den Handel mit solchen Luxusartikeln verboten habe.

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
zu Gebote ſteht, um zu ſtrafen oder durch Androhung deſſelben
abzuſchrecken und zu zwingen entſpricht gleichfalls dem Geſichts-
punkt, der die ganze Cenſur beherrſcht. Es beſteht nicht in Ver-
mögens-, Freiheits- oder Leibes-Strafe, ſondern es iſt daſſelbe
Mittel, vermöge deſſen auch ohne Cenſur das öffentliche Sitt-
lichkeitsgefühl überall gegen eine ihm zugefügte Verletzung rea-
girt. Die öffentliche Mißbilligung, die die nächſte Folge einer
ſolchen Verletzung iſt, geſtaltet ſich bei dem Cenſor zur nota cen-
soria,
der öffentlichen Rüge. Zu ihr geſellt ſich als höchſter
Grad cenſoriſcher Strafe die Ausſchließung aus dem politiſchen
Kreiſe, dem der Schuldige angehörte, dem Senat, Ritterſtande,
der Tribus; ſie hat gleichfalls ihr Vorbild an der faktiſchen
Ausſchließung von allen freien Gemeinſchaftsverhältniſſen, die
die öffentliche Meinung auch ohne Uebereinkunft über den ſitt-
lich Unwürdigen zu verhängen pflegt.

Es iſt hier begreiflicherweiſe nicht der Ort, um eine Schil-
derung von der Cenſur zu entwerfen; wir müſſen dies der
Rechtsgeſchichte überlaſſen und halten uns bloß an den Ge-
ſichtspunkt, von dem aus ſie uns hier intereſſirt, d. i. ihre Be-
deutung und Beziehung zu dem das römiſche Recht beherrſchen-
den Selbſtändigkeitstriebe. Es liegt nun zwar auf der Hand,
daß der Gegenſatz zwiſchen Recht und, ich will der Kürze wegen
ſagen, Moral, um in der Cenſur äußerlich zu werden, inner-
lich in der römiſchen Rechtsanſchauung bereits vorhanden ge-
weſen ſein muß, allein, wie alles Innerliche erſt dadurch feſten
Beſtand erlangt, daß es äußere Formen annimmt, wie letztere
erhaltend und kräftigend auf daſſelbe zurückwirken, ſo verhält es
ſich auch mit jenem Gegenſatz zwiſchen Recht und Moral. Die
äußerliche Verkörperung der Moral in der Cenſur hielt bei der
Rechtsbildung und Rechtspflege den eigenthümlichen Geſichts-

ben, daß ſeinen Verfügungen rechtliche Wirkſamkeit zuſtehen z. B. ein Kauf-
contrakt über irgend einen Luxusartikel nichtig ſein ſolle, weil er, der Cenſor,
in ſeinen Edikten den Handel mit ſolchen Luxusartikeln verboten habe.
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[54/0068] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. zu Gebote ſteht, um zu ſtrafen oder durch Androhung deſſelben abzuſchrecken und zu zwingen entſpricht gleichfalls dem Geſichts- punkt, der die ganze Cenſur beherrſcht. Es beſteht nicht in Ver- mögens-, Freiheits- oder Leibes-Strafe, ſondern es iſt daſſelbe Mittel, vermöge deſſen auch ohne Cenſur das öffentliche Sitt- lichkeitsgefühl überall gegen eine ihm zugefügte Verletzung rea- girt. Die öffentliche Mißbilligung, die die nächſte Folge einer ſolchen Verletzung iſt, geſtaltet ſich bei dem Cenſor zur nota cen- soria, der öffentlichen Rüge. Zu ihr geſellt ſich als höchſter Grad cenſoriſcher Strafe die Ausſchließung aus dem politiſchen Kreiſe, dem der Schuldige angehörte, dem Senat, Ritterſtande, der Tribus; ſie hat gleichfalls ihr Vorbild an der faktiſchen Ausſchließung von allen freien Gemeinſchaftsverhältniſſen, die die öffentliche Meinung auch ohne Uebereinkunft über den ſitt- lich Unwürdigen zu verhängen pflegt. Es iſt hier begreiflicherweiſe nicht der Ort, um eine Schil- derung von der Cenſur zu entwerfen; wir müſſen dies der Rechtsgeſchichte überlaſſen und halten uns bloß an den Ge- ſichtspunkt, von dem aus ſie uns hier intereſſirt, d. i. ihre Be- deutung und Beziehung zu dem das römiſche Recht beherrſchen- den Selbſtändigkeitstriebe. Es liegt nun zwar auf der Hand, daß der Gegenſatz zwiſchen Recht und, ich will der Kürze wegen ſagen, Moral, um in der Cenſur äußerlich zu werden, inner- lich in der römiſchen Rechtsanſchauung bereits vorhanden ge- weſen ſein muß, allein, wie alles Innerliche erſt dadurch feſten Beſtand erlangt, daß es äußere Formen annimmt, wie letztere erhaltend und kräftigend auf daſſelbe zurückwirken, ſo verhält es ſich auch mit jenem Gegenſatz zwiſchen Recht und Moral. Die äußerliche Verkörperung der Moral in der Cenſur hielt bei der Rechtsbildung und Rechtspflege den eigenthümlichen Geſichts- 41) 41) ben, daß ſeinen Verfügungen rechtliche Wirkſamkeit zuſtehen z. B. ein Kauf- contrakt über irgend einen Luxusartikel nichtig ſein ſolle, weil er, der Cenſor, in ſeinen Edikten den Handel mit ſolchen Luxusartikeln verboten habe.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/68>, abgerufen am 21.11.2024.