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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Die Jurisprudenz. §. 42.
fices eine Mitwirkung oder ein unmittelbarer Einfluß überall
nicht zustand z. B. im öffentlichen Recht. Erhielt sich doch noch
bis in die Periode der Aufklärung hinein der Glaube an die
mystische Kraft gewisser Sprüche und Worte. 544)

Eine zweite Parallele zwischen Recht und Religion bieten
uns die Umwege, Scheingeschäfte, 545) kurz jene ganze Opera-
tionsmethode in Fällen, wo man auf directem Wege, ohne mit
den bisherigen Grundsätzen in Widerspruch zu gerathen, den
gewünschten Zweck nicht erreichen konnte. Auch dieser Erschei-
nung aber könnte man zur Noth noch in ähnlicher Weise wie
der vorhergehenden die Beweiskraft absprechen. Dagegen halte
ich dies für völlig unmöglich rücksichtlich eines dritten Punktes,
nämlich der auf beiden Gebieten bis zur äußersten Consequenz
in Anwendung gebrachten Methode der dialektischen Zersetzung.
Wir werden bei der Technik sehen, daß gerade diese Methode,
die Schärfe und Strenge, mit der sie durchgeführt ward, den
entscheidenden Charakterzug des ältern Rechts begründet. Dieser
charakteristische Zug der juristischen Technik nun findet sich in
der Religion in einer Weise wieder, die jeden Gedanken an eine
Zurückführung desselben auf das Volk absolut unmöglich macht,
und die nur in der Literatur der Talmudisten und Jesuiten, also
ebenfalls theologisch-juristischer Schriftgelehrten,
ein Seitenstück findet. In der Weise spaltet nicht der Glaube
und eben so wenig das naive Rechtsgefühl des Volks. Die römi-
schen Götter sowohl wie die römischen Begriffe sind zum großen
Theil Destillate des Laboratoriums. Die ganze römische Götter-

544) Die classische Stelle darüber ist Plinius Histor. nat. XXVIII, 3--5.
545) z. B. die Ersetzung der Menschenopfer durch geflochtene Binsenmän-
ner. Hartung, römische Religion Bd. 2 S. 103 fl. Es galt ja, wie Serv.
Aen. II,
116 sagt, als Grundsatz, daß bei den Opfern der Schein für die
Wirklichkeit genommen werde, und man daher, wenn man sich die nöthigen
Thiere nicht verschaffen könne, sie von Wachs oder Brod nachforme. Hartung
Bd. 1 S. 160. Wir haben diesen Punkt bereits Bd. 1 S. 324 fl. berührt,
s. namentlich die Beispiele auf S. 326.

Die Jurisprudenz. §. 42.
fices eine Mitwirkung oder ein unmittelbarer Einfluß überall
nicht zuſtand z. B. im öffentlichen Recht. Erhielt ſich doch noch
bis in die Periode der Aufklärung hinein der Glaube an die
myſtiſche Kraft gewiſſer Sprüche und Worte. 544)

Eine zweite Parallele zwiſchen Recht und Religion bieten
uns die Umwege, Scheingeſchäfte, 545) kurz jene ganze Opera-
tionsmethode in Fällen, wo man auf directem Wege, ohne mit
den bisherigen Grundſätzen in Widerſpruch zu gerathen, den
gewünſchten Zweck nicht erreichen konnte. Auch dieſer Erſchei-
nung aber könnte man zur Noth noch in ähnlicher Weiſe wie
der vorhergehenden die Beweiskraft abſprechen. Dagegen halte
ich dies für völlig unmöglich rückſichtlich eines dritten Punktes,
nämlich der auf beiden Gebieten bis zur äußerſten Conſequenz
in Anwendung gebrachten Methode der dialektiſchen Zerſetzung.
Wir werden bei der Technik ſehen, daß gerade dieſe Methode,
die Schärfe und Strenge, mit der ſie durchgeführt ward, den
entſcheidenden Charakterzug des ältern Rechts begründet. Dieſer
charakteriſtiſche Zug der juriſtiſchen Technik nun findet ſich in
der Religion in einer Weiſe wieder, die jeden Gedanken an eine
Zurückführung deſſelben auf das Volk abſolut unmöglich macht,
und die nur in der Literatur der Talmudiſten und Jeſuiten, alſo
ebenfalls theologiſch-juriſtiſcher Schriftgelehrten,
ein Seitenſtück findet. In der Weiſe ſpaltet nicht der Glaube
und eben ſo wenig das naive Rechtsgefühl des Volks. Die römi-
ſchen Götter ſowohl wie die römiſchen Begriffe ſind zum großen
Theil Deſtillate des Laboratoriums. Die ganze römiſche Götter-

544) Die claſſiſche Stelle darüber iſt Plinius Histor. nat. XXVIII, 3—5.
545) z. B. die Erſetzung der Menſchenopfer durch geflochtene Binſenmän-
ner. Hartung, römiſche Religion Bd. 2 S. 103 fl. Es galt ja, wie Serv.
Aen. II,
116 ſagt, als Grundſatz, daß bei den Opfern der Schein für die
Wirklichkeit genommen werde, und man daher, wenn man ſich die nöthigen
Thiere nicht verſchaffen könne, ſie von Wachs oder Brod nachforme. Hartung
Bd. 1 S. 160. Wir haben dieſen Punkt bereits Bd. 1 S. 324 fl. berührt,
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[425/0131] Die Jurisprudenz. §. 42. fices eine Mitwirkung oder ein unmittelbarer Einfluß überall nicht zuſtand z. B. im öffentlichen Recht. Erhielt ſich doch noch bis in die Periode der Aufklärung hinein der Glaube an die myſtiſche Kraft gewiſſer Sprüche und Worte. 544) Eine zweite Parallele zwiſchen Recht und Religion bieten uns die Umwege, Scheingeſchäfte, 545) kurz jene ganze Opera- tionsmethode in Fällen, wo man auf directem Wege, ohne mit den bisherigen Grundſätzen in Widerſpruch zu gerathen, den gewünſchten Zweck nicht erreichen konnte. Auch dieſer Erſchei- nung aber könnte man zur Noth noch in ähnlicher Weiſe wie der vorhergehenden die Beweiskraft abſprechen. Dagegen halte ich dies für völlig unmöglich rückſichtlich eines dritten Punktes, nämlich der auf beiden Gebieten bis zur äußerſten Conſequenz in Anwendung gebrachten Methode der dialektiſchen Zerſetzung. Wir werden bei der Technik ſehen, daß gerade dieſe Methode, die Schärfe und Strenge, mit der ſie durchgeführt ward, den entſcheidenden Charakterzug des ältern Rechts begründet. Dieſer charakteriſtiſche Zug der juriſtiſchen Technik nun findet ſich in der Religion in einer Weiſe wieder, die jeden Gedanken an eine Zurückführung deſſelben auf das Volk abſolut unmöglich macht, und die nur in der Literatur der Talmudiſten und Jeſuiten, alſo ebenfalls theologiſch-juriſtiſcher Schriftgelehrten, ein Seitenſtück findet. In der Weiſe ſpaltet nicht der Glaube und eben ſo wenig das naive Rechtsgefühl des Volks. Die römi- ſchen Götter ſowohl wie die römiſchen Begriffe ſind zum großen Theil Deſtillate des Laboratoriums. Die ganze römiſche Götter- 544) Die claſſiſche Stelle darüber iſt Plinius Histor. nat. XXVIII, 3—5. 545) z. B. die Erſetzung der Menſchenopfer durch geflochtene Binſenmän- ner. Hartung, römiſche Religion Bd. 2 S. 103 fl. Es galt ja, wie Serv. Aen. II, 116 ſagt, als Grundſatz, daß bei den Opfern der Schein für die Wirklichkeit genommen werde, und man daher, wenn man ſich die nöthigen Thiere nicht verſchaffen könne, ſie von Wachs oder Brod nachforme. Hartung Bd. 1 S. 160. Wir haben dieſen Punkt bereits Bd. 1 S. 324 fl. berührt, ſ. namentlich die Beiſpiele auf S. 326.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/131>, abgerufen am 14.05.2024.