Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
Recht dem Volk zurückgegeben wäre. Die Juristen blieben so
unentbehrlich, wie die Handwerker es bleiben nach Aufhebung
des Zunftzwanges. Jene Veränderung hob nicht die Juris-
prudenz
auf, sondern sie öffnete nur den Zutritt zu ihr.
Diese Freiheit des Zutritts bedeutete aber nichts weiter, als die
Möglichkeit, durch Studium Jurist werden zu können, d. h.
also dem Volk als solchem kam sie unmittelbar gar nicht zu
gute. Wohl aber, wie überall die Aufhebung des Zunstzwan-
ges, mittelbar. Ich meine nicht sowohl den bereits ange-
deuteten inneren Aufschwung der Jurisprudenz, die höhere gei-
stige Freiheit und Beweglichkeit derselben, kurz die gewöhnlichen
Folgen, welche die Eröffnung der freien Concurrenz nach sich
zieht, sondern die Aenderung in dem Verhältniß zwischen Volk
und Jurisprudenz. Dasselbe wurde ein ungleich innigeres und
näheres. Zunächst schon dadurch, daß es ein freieres ward.
Die Jurisprudenz verlor mit dem Zunftzwang nichts an ihrer
Herrschaft, aber letztere verlor ihr Gehässiges. Bisher mehr oder
minder Sache des Monopols, eine Folge der äußeren Stellung,
war sie jetzt nur das natürliche Resultat und Zeugniß der gei-
stigen Ueberlegenheit und Unentbehrlichkeit der Wissenschaft.
Keine Macht verdiente und fand fortan so wenig Widerstand,
Anfechtung und Neid, keine umgekehrt eine so bereitwillige Un-
terordnung und dankbare Anerkennung, als sie. Sodann aber
dadurch, daß sich die Jurisprudenz von jetzt an dem Dienste des
Volks in einer Weise widmen konnte und widmete, wie sie we-
der vorher, noch nachher ihres Gleichen hat. Dieses Dienst-
verhältniß ist für das ganze Verständniß der römischen Rechts-
zustände und Rechtsentwicklung von so eingreifender Wichtigkeit,
daß wir demselben eine nähere Betrachtung widmen müssen.

In der geringen Zahl sowohl wie der Amtsthätigkeit der
Pontifi ces lag es begründet, daß dieselben nicht in dem Maße,
wie ihre Nachfolger, dem juristischen Bedürfniß des Verkehrs
gerecht werden konnten, und vielleicht war auch dies einer von
den Gründen, der ihnen den Vorwurf der Geheimnißkrämerei

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Recht dem Volk zurückgegeben wäre. Die Juriſten blieben ſo
unentbehrlich, wie die Handwerker es bleiben nach Aufhebung
des Zunftzwanges. Jene Veränderung hob nicht die Juris-
prudenz
auf, ſondern ſie öffnete nur den Zutritt zu ihr.
Dieſe Freiheit des Zutritts bedeutete aber nichts weiter, als die
Möglichkeit, durch Studium Juriſt werden zu können, d. h.
alſo dem Volk als ſolchem kam ſie unmittelbar gar nicht zu
gute. Wohl aber, wie überall die Aufhebung des Zunſtzwan-
ges, mittelbar. Ich meine nicht ſowohl den bereits ange-
deuteten inneren Aufſchwung der Jurisprudenz, die höhere gei-
ſtige Freiheit und Beweglichkeit derſelben, kurz die gewöhnlichen
Folgen, welche die Eröffnung der freien Concurrenz nach ſich
zieht, ſondern die Aenderung in dem Verhältniß zwiſchen Volk
und Jurisprudenz. Daſſelbe wurde ein ungleich innigeres und
näheres. Zunächſt ſchon dadurch, daß es ein freieres ward.
Die Jurisprudenz verlor mit dem Zunftzwang nichts an ihrer
Herrſchaft, aber letztere verlor ihr Gehäſſiges. Bisher mehr oder
minder Sache des Monopols, eine Folge der äußeren Stellung,
war ſie jetzt nur das natürliche Reſultat und Zeugniß der gei-
ſtigen Ueberlegenheit und Unentbehrlichkeit der Wiſſenſchaft.
Keine Macht verdiente und fand fortan ſo wenig Widerſtand,
Anfechtung und Neid, keine umgekehrt eine ſo bereitwillige Un-
terordnung und dankbare Anerkennung, als ſie. Sodann aber
dadurch, daß ſich die Jurisprudenz von jetzt an dem Dienſte des
Volks in einer Weiſe widmen konnte und widmete, wie ſie we-
der vorher, noch nachher ihres Gleichen hat. Dieſes Dienſt-
verhältniß iſt für das ganze Verſtändniß der römiſchen Rechts-
zuſtände und Rechtsentwicklung von ſo eingreifender Wichtigkeit,
daß wir demſelben eine nähere Betrachtung widmen müſſen.

In der geringen Zahl ſowohl wie der Amtsthätigkeit der
Pontifi ces lag es begründet, daß dieſelben nicht in dem Maße,
wie ihre Nachfolger, dem juriſtiſchen Bedürfniß des Verkehrs
gerecht werden konnten, und vielleicht war auch dies einer von
den Gründen, der ihnen den Vorwurf der Geheimnißkrämerei

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0140" n="434"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juri&#x017F;t. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/>
Recht dem Volk zurückgegeben wäre. Die Juri&#x017F;ten blieben &#x017F;o<lb/>
unentbehrlich, wie die Handwerker es bleiben nach Aufhebung<lb/>
des Zunftzwanges. Jene Veränderung hob nicht die <hi rendition="#g">Juris-<lb/>
prudenz</hi> auf, &#x017F;ondern &#x017F;ie öffnete nur den <hi rendition="#g">Zutritt</hi> zu ihr.<lb/>
Die&#x017F;e Freiheit des Zutritts bedeutete aber nichts weiter, als die<lb/>
Möglichkeit, durch <hi rendition="#g">Studium</hi> Juri&#x017F;t werden zu können, d. h.<lb/>
al&#x017F;o dem Volk als &#x017F;olchem kam &#x017F;ie unmittelbar gar nicht zu<lb/>
gute. Wohl aber, wie überall die Aufhebung des Zun&#x017F;tzwan-<lb/>
ges, <hi rendition="#g">mittelbar</hi>. Ich meine nicht &#x017F;owohl den bereits ange-<lb/>
deuteten inneren Auf&#x017F;chwung der Jurisprudenz, die höhere gei-<lb/>
&#x017F;tige Freiheit und Beweglichkeit der&#x017F;elben, kurz die gewöhnlichen<lb/>
Folgen, welche die Eröffnung der freien Concurrenz nach &#x017F;ich<lb/>
zieht, &#x017F;ondern die Aenderung in dem Verhältniß zwi&#x017F;chen Volk<lb/>
und Jurisprudenz. Da&#x017F;&#x017F;elbe wurde ein ungleich innigeres und<lb/>
näheres. Zunäch&#x017F;t &#x017F;chon dadurch, daß es ein freieres ward.<lb/>
Die Jurisprudenz verlor mit dem Zunftzwang nichts an ihrer<lb/>
Herr&#x017F;chaft, aber letztere verlor ihr Gehä&#x017F;&#x017F;iges. Bisher mehr oder<lb/>
minder Sache des Monopols, eine Folge der äußeren Stellung,<lb/>
war &#x017F;ie jetzt nur das natürliche Re&#x017F;ultat und Zeugniß der gei-<lb/>
&#x017F;tigen Ueberlegenheit und Unentbehrlichkeit der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft.<lb/>
Keine Macht verdiente und fand fortan &#x017F;o wenig Wider&#x017F;tand,<lb/>
Anfechtung und Neid, keine umgekehrt eine &#x017F;o bereitwillige Un-<lb/>
terordnung und dankbare Anerkennung, als &#x017F;ie. Sodann aber<lb/>
dadurch, daß &#x017F;ich die Jurisprudenz von jetzt an dem Dien&#x017F;te des<lb/>
Volks in einer Wei&#x017F;e widmen konnte und widmete, wie &#x017F;ie we-<lb/>
der vorher, noch nachher ihres Gleichen hat. Die&#x017F;es Dien&#x017F;t-<lb/>
verhältniß i&#x017F;t für das ganze Ver&#x017F;tändniß der römi&#x017F;chen Rechts-<lb/>
zu&#x017F;tände und Rechtsentwicklung von &#x017F;o eingreifender Wichtigkeit,<lb/>
daß wir dem&#x017F;elben eine nähere Betrachtung widmen mü&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
                <p>In der geringen Zahl &#x017F;owohl wie der Amtsthätigkeit der<lb/>
Pontifi ces lag es begründet, daß die&#x017F;elben nicht in dem Maße,<lb/>
wie ihre Nachfolger, dem juri&#x017F;ti&#x017F;chen Bedürfniß des Verkehrs<lb/>
gerecht werden konnten, und vielleicht war auch dies einer von<lb/>
den Gründen, der ihnen den Vorwurf der Geheimnißkrämerei<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[434/0140] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Recht dem Volk zurückgegeben wäre. Die Juriſten blieben ſo unentbehrlich, wie die Handwerker es bleiben nach Aufhebung des Zunftzwanges. Jene Veränderung hob nicht die Juris- prudenz auf, ſondern ſie öffnete nur den Zutritt zu ihr. Dieſe Freiheit des Zutritts bedeutete aber nichts weiter, als die Möglichkeit, durch Studium Juriſt werden zu können, d. h. alſo dem Volk als ſolchem kam ſie unmittelbar gar nicht zu gute. Wohl aber, wie überall die Aufhebung des Zunſtzwan- ges, mittelbar. Ich meine nicht ſowohl den bereits ange- deuteten inneren Aufſchwung der Jurisprudenz, die höhere gei- ſtige Freiheit und Beweglichkeit derſelben, kurz die gewöhnlichen Folgen, welche die Eröffnung der freien Concurrenz nach ſich zieht, ſondern die Aenderung in dem Verhältniß zwiſchen Volk und Jurisprudenz. Daſſelbe wurde ein ungleich innigeres und näheres. Zunächſt ſchon dadurch, daß es ein freieres ward. Die Jurisprudenz verlor mit dem Zunftzwang nichts an ihrer Herrſchaft, aber letztere verlor ihr Gehäſſiges. Bisher mehr oder minder Sache des Monopols, eine Folge der äußeren Stellung, war ſie jetzt nur das natürliche Reſultat und Zeugniß der gei- ſtigen Ueberlegenheit und Unentbehrlichkeit der Wiſſenſchaft. Keine Macht verdiente und fand fortan ſo wenig Widerſtand, Anfechtung und Neid, keine umgekehrt eine ſo bereitwillige Un- terordnung und dankbare Anerkennung, als ſie. Sodann aber dadurch, daß ſich die Jurisprudenz von jetzt an dem Dienſte des Volks in einer Weiſe widmen konnte und widmete, wie ſie we- der vorher, noch nachher ihres Gleichen hat. Dieſes Dienſt- verhältniß iſt für das ganze Verſtändniß der römiſchen Rechts- zuſtände und Rechtsentwicklung von ſo eingreifender Wichtigkeit, daß wir demſelben eine nähere Betrachtung widmen müſſen. In der geringen Zahl ſowohl wie der Amtsthätigkeit der Pontifi ces lag es begründet, daß dieſelben nicht in dem Maße, wie ihre Nachfolger, dem juriſtiſchen Bedürfniß des Verkehrs gerecht werden konnten, und vielleicht war auch dies einer von den Gründen, der ihnen den Vorwurf der Geheimnißkrämerei

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/140
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/140>, abgerufen am 14.05.2024.