Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Die Jurisprudenz. §. 42. welche Einwendungen des Beklagten zuzulassen u. s. w., undes erfolgte darauf hin gewissermaßen ein hypothetisches Urtheil, nämlich die Instruction an den Richter zu condemni- ren oder zu absolviren, wenn sich die von der einen oder andern Parthei vorgebrachten Thatsachen bewahrheiten sollten. Das Hauptaugenmerk des Richters war also auf den Beweis ge- richtet, und daher erklärt es sich, daß derselbe kein Jurist zu sein brauchte und es regelmäßig auch nicht war, und sodann daß die Lehre vom Beweise, die in unserer heutigen Juris- prudenz eine so große Rolle spielt, in der römischen ungleich weniger hervortritt, da sie mehr Sache des Redners, als des Juristen war. Allerdings handelte es sich bei der richterlichen Untersuchung nicht lediglich und ausschließlich um die That- frage, sondern auch um die rechtliche Beurtheilung dersel- ben, allein in der Regel nur so weit, daß dazu die gewöhnlichen Rechtskenntnisse eines Laien ausreichten. Wo ausnahmsweise ein mehres erforderlich war, namentlich also bei intrikaten Rechtsfragen, Controversen u. s. w., holte der Richter Beleh- rung bei einem Juristen ein, oder die interessirte Parthei oder deren Sachwalt brachte von demselben ein Gutachten oder ihn selbst als Gewährsmann mit vor Gericht. 567) Insoweit pflegte also auch ein Jurist in die Verhandlungen vor dem Richter einzugreifen, im übrigen aber fielen dieselben, wie ge- sagt, gewöhnlich dem Patron d. i. dem Redner zu. Wo der Rich- ter ein Laie war, begreift es sich, daß auch der Sachwalt keiner großen Rechtskenntniß bedurfte. Eine eigentlich gelehrte juri- stische Bildung ging ihm regelmäßig ab, 568) aber nichts desto 567) Cic. Top. 17: nam et adsunt multum et adhibentur in consilio et patronis diligentibus ad eorum prudentiam confugientibus hastas ministrant. L. 2 §. 47 de orig. jur. (1. 2) .. judicibus scribebant aut testabantur qui illos consulebant. 568) Dies gibt auch Cicero von sich zu, ungeachtet er doch einen Cur-
sus in der Jurisprudenz bei Quintus Mucius durchgemacht hatte, pro Mu- Die Jurisprudenz. §. 42. welche Einwendungen des Beklagten zuzulaſſen u. ſ. w., undes erfolgte darauf hin gewiſſermaßen ein hypothetiſches Urtheil, nämlich die Inſtruction an den Richter zu condemni- ren oder zu abſolviren, wenn ſich die von der einen oder andern Parthei vorgebrachten Thatſachen bewahrheiten ſollten. Das Hauptaugenmerk des Richters war alſo auf den Beweis ge- richtet, und daher erklärt es ſich, daß derſelbe kein Juriſt zu ſein brauchte und es regelmäßig auch nicht war, und ſodann daß die Lehre vom Beweiſe, die in unſerer heutigen Juris- prudenz eine ſo große Rolle ſpielt, in der römiſchen ungleich weniger hervortritt, da ſie mehr Sache des Redners, als des Juriſten war. Allerdings handelte es ſich bei der richterlichen Unterſuchung nicht lediglich und ausſchließlich um die That- frage, ſondern auch um die rechtliche Beurtheilung derſel- ben, allein in der Regel nur ſo weit, daß dazu die gewöhnlichen Rechtskenntniſſe eines Laien ausreichten. Wo ausnahmsweiſe ein mehres erforderlich war, namentlich alſo bei intrikaten Rechtsfragen, Controverſen u. ſ. w., holte der Richter Beleh- rung bei einem Juriſten ein, oder die intereſſirte Parthei oder deren Sachwalt brachte von demſelben ein Gutachten oder ihn ſelbſt als Gewährsmann mit vor Gericht. 567) Inſoweit pflegte alſo auch ein Juriſt in die Verhandlungen vor dem Richter einzugreifen, im übrigen aber fielen dieſelben, wie ge- ſagt, gewöhnlich dem Patron d. i. dem Redner zu. Wo der Rich- ter ein Laie war, begreift es ſich, daß auch der Sachwalt keiner großen Rechtskenntniß bedurfte. Eine eigentlich gelehrte juri- ſtiſche Bildung ging ihm regelmäßig ab, 568) aber nichts deſto 567) Cic. Top. 17: nam et adsunt multum et adhibentur in consilio et patronis diligentibus ad eorum prudentiam confugientibus hastas ministrant. L. 2 §. 47 de orig. jur. (1. 2) .. judicibus scribebant aut testabantur qui illos consulebant. 568) Dies gibt auch Cicero von ſich zu, ungeachtet er doch einen Cur-
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Die Jurisprudenz. §. 42.
welche Einwendungen des Beklagten zuzulaſſen u. ſ. w., und
es erfolgte darauf hin gewiſſermaßen ein hypothetiſches
Urtheil, nämlich die Inſtruction an den Richter zu condemni-
ren oder zu abſolviren, wenn ſich die von der einen oder andern
Parthei vorgebrachten Thatſachen bewahrheiten ſollten. Das
Hauptaugenmerk des Richters war alſo auf den Beweis ge-
richtet, und daher erklärt es ſich, daß derſelbe kein Juriſt zu
ſein brauchte und es regelmäßig auch nicht war, und ſodann
daß die Lehre vom Beweiſe, die in unſerer heutigen Juris-
prudenz eine ſo große Rolle ſpielt, in der römiſchen ungleich
weniger hervortritt, da ſie mehr Sache des Redners, als des
Juriſten war. Allerdings handelte es ſich bei der richterlichen
Unterſuchung nicht lediglich und ausſchließlich um die That-
frage, ſondern auch um die rechtliche Beurtheilung derſel-
ben, allein in der Regel nur ſo weit, daß dazu die gewöhnlichen
Rechtskenntniſſe eines Laien ausreichten. Wo ausnahmsweiſe
ein mehres erforderlich war, namentlich alſo bei intrikaten
Rechtsfragen, Controverſen u. ſ. w., holte der Richter Beleh-
rung bei einem Juriſten ein, oder die intereſſirte Parthei oder
deren Sachwalt brachte von demſelben ein Gutachten oder
ihn ſelbſt als Gewährsmann mit vor Gericht. 567) Inſoweit
pflegte alſo auch ein Juriſt in die Verhandlungen vor dem
Richter einzugreifen, im übrigen aber fielen dieſelben, wie ge-
ſagt, gewöhnlich dem Patron d. i. dem Redner zu. Wo der Rich-
ter ein Laie war, begreift es ſich, daß auch der Sachwalt keiner
großen Rechtskenntniß bedurfte. Eine eigentlich gelehrte juri-
ſtiſche Bildung ging ihm regelmäßig ab, 568) aber nichts deſto
567) Cic. Top. 17: nam et adsunt multum et adhibentur in consilio
et patronis diligentibus ad eorum prudentiam confugientibus hastas
ministrant. L. 2 §. 47 de orig. jur. (1. 2) .. judicibus scribebant aut
testabantur qui illos consulebant.
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