Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
weniger mußte sein Beruf ihn mehr mit dem Recht vertraut
machen, als den gewöhnlichen Laien, und er mochte zwischen
Laien und Juristen etwa eine ähnliche Mittelstufe bezeichnen,
wie das heutige Subalternpersonal der Gerichte. Was man
von ihm verlangte, war nicht Wissen, Studium, sondern das
Talent und die Künste des Advokaten, den Fluß und Glanz der
Rede, eindringliche Diction, schlagfertige Dialektik, dreistes,
muthiges Auftreten selbst bei schlechter Sache, kurz Eigenschaften,
die, wie Cicero bemerkt, auch in Rom nicht Jedermanns Sache
waren. 569) Es verräth den feinen Takt der Römer, daß sie die-
sen Beruf weniger achteten, als den des Juristen, eine Thatsache,
die Cicero bezeugt, indem er sie bekämpft. Der Jurist konnte
der Wahrheit die Ehre geben, er blieb dem Gezänke und dem
Kampf der Leidenschaften fremd und nahm für seine Gefällig-
keit kein Geld. Der Redner aber, dem nicht selten erst die Aus-
sicht auf Lohn den Mund öffnen mußte, 570) hatte die Verpflich-
tung, sich auf den Standpunkt der Partei zu stellen; er konnte
es oft nicht umgehen, die Wahrheit zu bestreiten, der Lüge sei-
nen Mund zu leihen, das Sachverhältniß zu entstellen und zu
verwirren, spitzfindige Argumente vorzubringen, an die er selbst
nicht glaubte -- kurz zu Mitteln seine Zuflucht zu nehmen, die
vor der Kritik des feineren Ehrgefühls nicht immer die Probe
bestehen. 571)

rena 13 und de orat. I, 58. Wie weit die Unkenntniß der Redner gereicht
haben mag, sieht man aus Cic. de orat. I. 56 sq. quod vero impuden-
tiam
admiratus es eorum patronorum
u. s. w. Servius (cum in causis
orandis primum locum obtineret ..)
war so unkundig, daß er nicht einmal
ein Responsum des Quint. Mucius sofort verstand. L. 2 §. 43 de orig.
jur.
(1. 2).
569) pro Murena c. 13. Sic nonnullos videmus, qui oratores eva-
dere non potuerunt, eos ad juris studium devenire.
570) Tac. Ann. XI, 7: eloquentiam gratuito non contingere.
571) In recht anschaulicher Weise tritt dieser Gegensatz zwischen Ju-
risten und Redner in der Anekdote hervor, die Cicero de orat. I. 56 mit-

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
weniger mußte ſein Beruf ihn mehr mit dem Recht vertraut
machen, als den gewöhnlichen Laien, und er mochte zwiſchen
Laien und Juriſten etwa eine ähnliche Mittelſtufe bezeichnen,
wie das heutige Subalternperſonal der Gerichte. Was man
von ihm verlangte, war nicht Wiſſen, Studium, ſondern das
Talent und die Künſte des Advokaten, den Fluß und Glanz der
Rede, eindringliche Diction, ſchlagfertige Dialektik, dreiſtes,
muthiges Auftreten ſelbſt bei ſchlechter Sache, kurz Eigenſchaften,
die, wie Cicero bemerkt, auch in Rom nicht Jedermanns Sache
waren. 569) Es verräth den feinen Takt der Römer, daß ſie die-
ſen Beruf weniger achteten, als den des Juriſten, eine Thatſache,
die Cicero bezeugt, indem er ſie bekämpft. Der Juriſt konnte
der Wahrheit die Ehre geben, er blieb dem Gezänke und dem
Kampf der Leidenſchaften fremd und nahm für ſeine Gefällig-
keit kein Geld. Der Redner aber, dem nicht ſelten erſt die Aus-
ſicht auf Lohn den Mund öffnen mußte, 570) hatte die Verpflich-
tung, ſich auf den Standpunkt der Partei zu ſtellen; er konnte
es oft nicht umgehen, die Wahrheit zu beſtreiten, der Lüge ſei-
nen Mund zu leihen, das Sachverhältniß zu entſtellen und zu
verwirren, ſpitzfindige Argumente vorzubringen, an die er ſelbſt
nicht glaubte — kurz zu Mitteln ſeine Zuflucht zu nehmen, die
vor der Kritik des feineren Ehrgefühls nicht immer die Probe
beſtehen. 571)

rena 13 und de orat. I, 58. Wie weit die Unkenntniß der Redner gereicht
haben mag, ſieht man aus Cic. de orat. I. 56 sq. quod vero impuden-
tiam
admiratus es eorum patronorum
u. ſ. w. Servius (cum in causis
orandis primum locum obtineret ..)
war ſo unkundig, daß er nicht einmal
ein Reſponſum des Quint. Mucius ſofort verſtand. L. 2 §. 43 de orig.
jur.
(1. 2).
569) pro Murena c. 13. Sic nonnullos videmus, qui oratores eva-
dere non potuerunt, eos ad juris studium devenire.
570) Tac. Ann. XI, 7: eloquentiam gratuito non contingere.
571) In recht anſchaulicher Weiſe tritt dieſer Gegenſatz zwiſchen Ju-
riſten und Redner in der Anekdote hervor, die Cicero de orat. I. 56 mit-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0144" n="438"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juri&#x017F;t. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/>
weniger mußte &#x017F;ein Beruf ihn mehr mit dem Recht vertraut<lb/>
machen, als den gewöhnlichen Laien, und er mochte zwi&#x017F;chen<lb/>
Laien und Juri&#x017F;ten etwa eine ähnliche Mittel&#x017F;tufe bezeichnen,<lb/>
wie das heutige Subalternper&#x017F;onal der Gerichte. Was man<lb/>
von ihm verlangte, war nicht Wi&#x017F;&#x017F;en, Studium, &#x017F;ondern das<lb/>
Talent und die Kün&#x017F;te des Advokaten, den Fluß und Glanz der<lb/>
Rede, eindringliche Diction, &#x017F;chlagfertige Dialektik, drei&#x017F;tes,<lb/>
muthiges Auftreten &#x017F;elb&#x017F;t bei &#x017F;chlechter Sache, kurz Eigen&#x017F;chaften,<lb/>
die, wie Cicero bemerkt, auch in Rom nicht Jedermanns Sache<lb/>
waren. <note place="foot" n="569)"><hi rendition="#aq">pro Murena c. 13. Sic nonnullos videmus, qui oratores eva-<lb/>
dere non potuerunt, eos ad juris studium devenire.</hi></note> Es verräth den feinen Takt der Römer, daß &#x017F;ie die-<lb/>
&#x017F;en Beruf weniger achteten, als den des Juri&#x017F;ten, eine That&#x017F;ache,<lb/>
die Cicero bezeugt, indem er &#x017F;ie bekämpft. Der Juri&#x017F;t konnte<lb/>
der Wahrheit die Ehre geben, er blieb dem Gezänke und dem<lb/>
Kampf der Leiden&#x017F;chaften fremd und nahm für &#x017F;eine Gefällig-<lb/>
keit kein Geld. Der Redner aber, dem nicht &#x017F;elten er&#x017F;t die Aus-<lb/>
&#x017F;icht auf Lohn den Mund öffnen mußte, <note place="foot" n="570)"><hi rendition="#aq">Tac. Ann. XI, 7: eloquentiam gratuito non contingere.</hi></note> hatte die Verpflich-<lb/>
tung, &#x017F;ich auf den Standpunkt der Partei zu &#x017F;tellen; er konnte<lb/>
es oft nicht umgehen, die Wahrheit zu be&#x017F;treiten, der Lüge &#x017F;ei-<lb/>
nen Mund zu leihen, das Sachverhältniß zu ent&#x017F;tellen und zu<lb/>
verwirren, &#x017F;pitzfindige Argumente vorzubringen, an die er &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nicht glaubte &#x2014; kurz zu Mitteln &#x017F;eine Zuflucht zu nehmen, die<lb/>
vor der Kritik des feineren Ehrgefühls nicht immer die Probe<lb/>
be&#x017F;tehen. <note xml:id="seg2pn_13_1" next="#seg2pn_13_2" place="foot" n="571)">In recht an&#x017F;chaulicher Wei&#x017F;e tritt die&#x017F;er Gegen&#x017F;atz zwi&#x017F;chen Ju-<lb/>
ri&#x017F;ten und Redner in der Anekdote hervor, die Cicero <hi rendition="#aq">de orat. I.</hi> 56 mit-</note></p><lb/>
                <p>
                  <note xml:id="seg2pn_12_2" prev="#seg2pn_12_1" place="foot" n="568)"><hi rendition="#aq">rena</hi> 13 und <hi rendition="#aq">de orat. I,</hi> 58. Wie weit die Unkenntniß der Redner gereicht<lb/>
haben mag, &#x017F;ieht man aus <hi rendition="#aq">Cic. de orat. I. 56 sq. quod vero <hi rendition="#g">impuden-<lb/>
tiam</hi> admiratus es eorum patronorum</hi> u. &#x017F;. w. Servius <hi rendition="#aq">(cum in causis<lb/>
orandis primum locum obtineret ..)</hi> war &#x017F;o unkundig, daß er nicht einmal<lb/>
ein Re&#x017F;pon&#x017F;um des Quint. Mucius &#x017F;ofort ver&#x017F;tand. <hi rendition="#aq">L. 2 §. 43 de orig.<lb/>
jur.</hi> (1. 2).</note>
                </p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[438/0144] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. weniger mußte ſein Beruf ihn mehr mit dem Recht vertraut machen, als den gewöhnlichen Laien, und er mochte zwiſchen Laien und Juriſten etwa eine ähnliche Mittelſtufe bezeichnen, wie das heutige Subalternperſonal der Gerichte. Was man von ihm verlangte, war nicht Wiſſen, Studium, ſondern das Talent und die Künſte des Advokaten, den Fluß und Glanz der Rede, eindringliche Diction, ſchlagfertige Dialektik, dreiſtes, muthiges Auftreten ſelbſt bei ſchlechter Sache, kurz Eigenſchaften, die, wie Cicero bemerkt, auch in Rom nicht Jedermanns Sache waren. 569) Es verräth den feinen Takt der Römer, daß ſie die- ſen Beruf weniger achteten, als den des Juriſten, eine Thatſache, die Cicero bezeugt, indem er ſie bekämpft. Der Juriſt konnte der Wahrheit die Ehre geben, er blieb dem Gezänke und dem Kampf der Leidenſchaften fremd und nahm für ſeine Gefällig- keit kein Geld. Der Redner aber, dem nicht ſelten erſt die Aus- ſicht auf Lohn den Mund öffnen mußte, 570) hatte die Verpflich- tung, ſich auf den Standpunkt der Partei zu ſtellen; er konnte es oft nicht umgehen, die Wahrheit zu beſtreiten, der Lüge ſei- nen Mund zu leihen, das Sachverhältniß zu entſtellen und zu verwirren, ſpitzfindige Argumente vorzubringen, an die er ſelbſt nicht glaubte — kurz zu Mitteln ſeine Zuflucht zu nehmen, die vor der Kritik des feineren Ehrgefühls nicht immer die Probe beſtehen. 571) 568) 569) pro Murena c. 13. Sic nonnullos videmus, qui oratores eva- dere non potuerunt, eos ad juris studium devenire. 570) Tac. Ann. XI, 7: eloquentiam gratuito non contingere. 571) In recht anſchaulicher Weiſe tritt dieſer Gegenſatz zwiſchen Ju- riſten und Redner in der Anekdote hervor, die Cicero de orat. I. 56 mit- 568) rena 13 und de orat. I, 58. Wie weit die Unkenntniß der Redner gereicht haben mag, ſieht man aus Cic. de orat. I. 56 sq. quod vero impuden- tiam admiratus es eorum patronorum u. ſ. w. Servius (cum in causis orandis primum locum obtineret ..) war ſo unkundig, daß er nicht einmal ein Reſponſum des Quint. Mucius ſofort verſtand. L. 2 §. 43 de orig. jur. (1. 2).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/144
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/144>, abgerufen am 14.05.2024.