Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. Rechts ist die Lehre von dem Besitz und der Usucapion. Ob-gleich der Besitz seiner ursprünglichen Natur nach ein rein that- sächliches Verhältniß ist, mithin ganz und gar der materialisti- schen Behandlungsweise anheimzufallen scheint, so findet doch auch hier der Gegensatz des Materialismus und Spiritualis- mus Raum genug, sich zu bethätigen, wie eben der Vergleich des ältern und neuern Rechts lehrt. So würde z. B. der Er- werb des Besitzes nach materialistischer Ansicht ein Ergreifen (Apprehension im wörtlichen Sinn) erfordern, und daß auch das ältere Recht dies gethan und sich nicht, wie das neuere, mit der bloßen Möglichkeit unmittelbarer Einwirkung, na- mentlich also nicht mit der s. g. traditio longa manu, dem Zeigen und Sehen der Sache, begnügt habe, wird wohl kaum in Zweifel gezogen werden, wenn man bedenkt, daß sich dies Requisit noch bis ins neuere Recht hinein als formeller Akt in dem manu capere der Mancipation erhalten hat. Das Ergrei- fen (loco movere) verlangten die älteren Juristen 587) auch bei der Unterschlagung der deponirten Sache von Seiten des De- positars, während die neuere Jurisprudenz die Möglichkeit der Unterschlagung auch ohne eine solche materialistische Vollziehung derselben anerkennt. 588) Die ältere Jurisprudenz sprach den juristischen Personen die Nach der natürlichen Anschauung ist der Besitz verloren, 587) "plerique veterum" in L. 3 §. 18 de poss. (41. 2). 588) Papinian in L. 47 de poss. (41. 2). Ebenso bei der Verwand- lung des Depositums in ein Darlehn in L. 9 §. 9 de R. Cr. (12. 1) ... etiam antequam moveantur .... animo coepit possidere. 589) L. 1 §. ult. L. 2 de poss. (41. 2).
Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. Rechts iſt die Lehre von dem Beſitz und der Uſucapion. Ob-gleich der Beſitz ſeiner urſprünglichen Natur nach ein rein that- ſächliches Verhältniß iſt, mithin ganz und gar der materialiſti- ſchen Behandlungsweiſe anheimzufallen ſcheint, ſo findet doch auch hier der Gegenſatz des Materialismus und Spiritualis- mus Raum genug, ſich zu bethätigen, wie eben der Vergleich des ältern und neuern Rechts lehrt. So würde z. B. der Er- werb des Beſitzes nach materialiſtiſcher Anſicht ein Ergreifen (Apprehenſion im wörtlichen Sinn) erfordern, und daß auch das ältere Recht dies gethan und ſich nicht, wie das neuere, mit der bloßen Möglichkeit unmittelbarer Einwirkung, na- mentlich alſo nicht mit der ſ. g. traditio longa manu, dem Zeigen und Sehen der Sache, begnügt habe, wird wohl kaum in Zweifel gezogen werden, wenn man bedenkt, daß ſich dies Requiſit noch bis ins neuere Recht hinein als formeller Akt in dem manu capere der Mancipation erhalten hat. Das Ergrei- fen (loco movere) verlangten die älteren Juriſten 587) auch bei der Unterſchlagung der deponirten Sache von Seiten des De- poſitars, während die neuere Jurisprudenz die Möglichkeit der Unterſchlagung auch ohne eine ſolche materialiſtiſche Vollziehung derſelben anerkennt. 588) Die ältere Jurisprudenz ſprach den juriſtiſchen Perſonen die Nach der natürlichen Anſchauung iſt der Beſitz verloren, 587) „plerique veterum“ in L. 3 §. 18 de poss. (41. 2). 588) Papinian in L. 47 de poss. (41. 2). Ebenſo bei der Verwand- lung des Depoſitums in ein Darlehn in L. 9 §. 9 de R. Cr. (12. 1) … etiam antequam moveantur .... animo coepit possidere. 589) L. 1 §. ult. L. 2 de poss. (41. 2).
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Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43.
Rechts iſt die Lehre von dem Beſitz und der Uſucapion. Ob-
gleich der Beſitz ſeiner urſprünglichen Natur nach ein rein that-
ſächliches Verhältniß iſt, mithin ganz und gar der materialiſti-
ſchen Behandlungsweiſe anheimzufallen ſcheint, ſo findet doch
auch hier der Gegenſatz des Materialismus und Spiritualis-
mus Raum genug, ſich zu bethätigen, wie eben der Vergleich
des ältern und neuern Rechts lehrt. So würde z. B. der Er-
werb des Beſitzes nach materialiſtiſcher Anſicht ein Ergreifen
(Apprehenſion im wörtlichen Sinn) erfordern, und daß auch
das ältere Recht dies gethan und ſich nicht, wie das neuere,
mit der bloßen Möglichkeit unmittelbarer Einwirkung, na-
mentlich alſo nicht mit der ſ. g. traditio longa manu, dem
Zeigen und Sehen der Sache, begnügt habe, wird wohl kaum
in Zweifel gezogen werden, wenn man bedenkt, daß ſich dies
Requiſit noch bis ins neuere Recht hinein als formeller Akt in
dem manu capere der Mancipation erhalten hat. Das Ergrei-
fen (loco movere) verlangten die älteren Juriſten 587) auch bei
der Unterſchlagung der deponirten Sache von Seiten des De-
poſitars, während die neuere Jurisprudenz die Möglichkeit der
Unterſchlagung auch ohne eine ſolche materialiſtiſche Vollziehung
derſelben anerkennt. 588)
Die ältere Jurisprudenz ſprach den juriſtiſchen Perſonen die
Beſitzfähigkeit ab, abermals ganz in Uebereinſtimmung mit
der natürlichen Geſtalt des Verhältniſſes, die neuere hingegen
erkannte ſie ihnen zu. 589) Die Zulaſſung des Beſitzerwerbes
durch freie Stellvertreter iſt ebenfalls ein Fortſchritt des neue-
ren Rechts, in dem ſich unverkennbar eine freiere Behandlung
des Verhältniſſes kundgibt.
Nach der natürlichen Anſchauung iſt der Beſitz verloren,
587) „plerique veterum“ in L. 3 §. 18 de poss. (41. 2).
588) Papinian in L. 47 de poss. (41. 2). Ebenſo bei der Verwand-
lung des Depoſitums in ein Darlehn in L. 9 §. 9 de R. Cr. (12. 1) …
etiam antequam moveantur .... animo coepit possidere.
589) L. 1 §. ult. L. 2 de poss. (41. 2).
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