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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Vorrede.
Ausdrücken mit neuen, selbstfabricirten bezeichnet, ist ein Narr,
und die Welt nimmt von seinen Umtaufungsversuchen keine
Notiz. In einer andern Lage aber befindet sich der, welcher
neue Begriffe und Anschauungen vorzutragen hat, bestände
das Neue auch nur darin, daß er etwas bereits Vorhandenes
auf eine bestimmte einzelne Wissenschaft überträgt. Will er sich
nicht bloß auf einige wenige Fachgenossen beschränken, will er
zu einem größeren Publicum sprechen und namentlich, wie ich,
auch Studierenden und Laien verständlich werden, so ist er ge-
zwungen, für seine Ideen nach Anknüpfungspunkten zu suchen,
über die ein Jeder gebietet, Bilder und Vergleiche zu be-
nutzen u. s. w. Wo fänden sich diese Anknüpfungspunkte an
das sinnliche Denken in dem Maße, als in der Natur, und
mithin die zu recipirenden Ausdrücke in dem Maße, als in der
Naturwissenschaft? Ein Anderer, der mit lauter gegebenen
Begriffen operirt, hat leicht zu meistern: mach's wie ich, ge-
brauche nur abstracte Ausdrücke. Nach funfzig Jahren, wenn
jene Anschauungen erst Gemeingut geworden und allseitig ge-
prüft, berichtigt und ausgetragen sind, kann ich's auch; wenn
ich's aber jetzt versuchen wollte, würden die meisten meiner Leser
mein Buch als ein abstruses in die Ecke werfen.

Dies führt mich auf einen andern Punkt hinsichtlich der
Darstellung, der mir viele Schwierigkeiten verursacht und das
raschere Fortarbeiten ungemein erschwert hat. Ich meine die
richtige Verbindung des abstracten mit dem concret histori-
schen Element. Wenn irgendwo die Darstellung sich wie auf
schmaler Linie zwischen zwei Extremen zu bewegen hat, so ist
dies bei einer Aufgabe wie der meinigen der Fall. Das Ab-
stracte ohne starke, stoffliche Füllung ist ermüdend, trocken und
bei den meisten Lesern wirkungslos. Also als Gegengewicht
ein bedeutendes stoffliches Element. Aber eben damit beginnt

Vorrede.
Ausdrücken mit neuen, ſelbſtfabricirten bezeichnet, iſt ein Narr,
und die Welt nimmt von ſeinen Umtaufungsverſuchen keine
Notiz. In einer andern Lage aber befindet ſich der, welcher
neue Begriffe und Anſchauungen vorzutragen hat, beſtände
das Neue auch nur darin, daß er etwas bereits Vorhandenes
auf eine beſtimmte einzelne Wiſſenſchaft überträgt. Will er ſich
nicht bloß auf einige wenige Fachgenoſſen beſchränken, will er
zu einem größeren Publicum ſprechen und namentlich, wie ich,
auch Studierenden und Laien verſtändlich werden, ſo iſt er ge-
zwungen, für ſeine Ideen nach Anknüpfungspunkten zu ſuchen,
über die ein Jeder gebietet, Bilder und Vergleiche zu be-
nutzen u. ſ. w. Wo fänden ſich dieſe Anknüpfungspunkte an
das ſinnliche Denken in dem Maße, als in der Natur, und
mithin die zu recipirenden Ausdrücke in dem Maße, als in der
Naturwiſſenſchaft? Ein Anderer, der mit lauter gegebenen
Begriffen operirt, hat leicht zu meiſtern: mach’s wie ich, ge-
brauche nur abſtracte Ausdrücke. Nach funfzig Jahren, wenn
jene Anſchauungen erſt Gemeingut geworden und allſeitig ge-
prüft, berichtigt und ausgetragen ſind, kann ich’s auch; wenn
ich’s aber jetzt verſuchen wollte, würden die meiſten meiner Leſer
mein Buch als ein abſtruſes in die Ecke werfen.

Dies führt mich auf einen andern Punkt hinſichtlich der
Darſtellung, der mir viele Schwierigkeiten verurſacht und das
raſchere Fortarbeiten ungemein erſchwert hat. Ich meine die
richtige Verbindung des abſtracten mit dem concret hiſtori-
ſchen Element. Wenn irgendwo die Darſtellung ſich wie auf
ſchmaler Linie zwiſchen zwei Extremen zu bewegen hat, ſo iſt
dies bei einer Aufgabe wie der meinigen der Fall. Das Ab-
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bei den meiſten Leſern wirkungslos. Alſo als Gegengewicht
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[XI/0017] Vorrede. Ausdrücken mit neuen, ſelbſtfabricirten bezeichnet, iſt ein Narr, und die Welt nimmt von ſeinen Umtaufungsverſuchen keine Notiz. In einer andern Lage aber befindet ſich der, welcher neue Begriffe und Anſchauungen vorzutragen hat, beſtände das Neue auch nur darin, daß er etwas bereits Vorhandenes auf eine beſtimmte einzelne Wiſſenſchaft überträgt. Will er ſich nicht bloß auf einige wenige Fachgenoſſen beſchränken, will er zu einem größeren Publicum ſprechen und namentlich, wie ich, auch Studierenden und Laien verſtändlich werden, ſo iſt er ge- zwungen, für ſeine Ideen nach Anknüpfungspunkten zu ſuchen, über die ein Jeder gebietet, Bilder und Vergleiche zu be- nutzen u. ſ. w. Wo fänden ſich dieſe Anknüpfungspunkte an das ſinnliche Denken in dem Maße, als in der Natur, und mithin die zu recipirenden Ausdrücke in dem Maße, als in der Naturwiſſenſchaft? Ein Anderer, der mit lauter gegebenen Begriffen operirt, hat leicht zu meiſtern: mach’s wie ich, ge- brauche nur abſtracte Ausdrücke. Nach funfzig Jahren, wenn jene Anſchauungen erſt Gemeingut geworden und allſeitig ge- prüft, berichtigt und ausgetragen ſind, kann ich’s auch; wenn ich’s aber jetzt verſuchen wollte, würden die meiſten meiner Leſer mein Buch als ein abſtruſes in die Ecke werfen. Dies führt mich auf einen andern Punkt hinſichtlich der Darſtellung, der mir viele Schwierigkeiten verurſacht und das raſchere Fortarbeiten ungemein erſchwert hat. Ich meine die richtige Verbindung des abſtracten mit dem concret hiſtori- ſchen Element. Wenn irgendwo die Darſtellung ſich wie auf ſchmaler Linie zwiſchen zwei Extremen zu bewegen hat, ſo iſt dies bei einer Aufgabe wie der meinigen der Fall. Das Ab- ſtracte ohne ſtarke, ſtoffliche Füllung iſt ermüdend, trocken und bei den meiſten Leſern wirkungslos. Alſo als Gegengewicht ein bedeutendes ſtoffliches Element. Aber eben damit beginnt

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/17>, abgerufen am 27.04.2024.