Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Vorrede. die Gefahr des Zuviel und Zuwenig, das auf den rein subjecti-ven Takt gestellte Abmessen des richtigen Gleichgewichts: eine Klippe, die für einen Schriftsteller, welcher einen concreten Stoff vor sich hat, gar nicht existirt. Ob man die allgemeinen Ideen, zunächst mit einzelnen Beispielen untermischt, voraus- schicken, ob man sie in die Darstellung des Concreten ver- weben oder erst durch die unbefangene concrete Darstellung Grund und Boden für die abstracte Betrachtung gewinnen soll, ob man das historische Material seinem ganzen Umfang nach mittheilen oder als bekannt voraussetzen oder nur wie im Vorübergehen an die wesentlichen Punkte erinnern soll -- das sind lauter Fragen, die sich mir fast bei jedem neuen Ge- genstand wiederholt haben und bei jedem in individueller Weise zu lösen waren. Ob die Lösung immer die richtige gewesen, darüber will ich mit Niemanden rechten. Dem Einen mag ich des Allgemeinen, dem Andern des Concreten zu viel gethan haben. Darüber gibt es eben keinen objectiven Maßstab. Ich bitte nur zu berücksichtigen, daß es mir nach meiner Erklärung in der Einleitung meines Werks (B. 1 S. 11) nicht bloß auf das römische Recht ankommt, sondern zugleich darauf, an und in dem römischen Recht das Wesen des Rechts überhaupt zur Anschauung zu bringen. Wer liest heutzutage noch Unter- suchungen über das Wesen des Rechts? Wer sie feil hat, darf sie daher dem Publicum nicht in dieser Gestalt vorführen, son- dern in und an einem concreten Stoff. Meiner festen Ueber- zeugung nach gereicht dies ihnen selbst zu hohem Nutzen. Die Rechtsphilosophie würde ihren Kredit nicht in dem Maße ein- gebüßt haben, wie sie es leider heutzutage hat, wenn sie sich das Element des Historischen und Concreten nicht zu sehr hätte ab- handen kommen lassen. Ihre Zukunft liegt m. E. in einer ener- gischeren Wiederaufnahme desselben, in einer auf dem Wege Vorrede. die Gefahr des Zuviel und Zuwenig, das auf den rein ſubjecti-ven Takt geſtellte Abmeſſen des richtigen Gleichgewichts: eine Klippe, die für einen Schriftſteller, welcher einen concreten Stoff vor ſich hat, gar nicht exiſtirt. Ob man die allgemeinen Ideen, zunächſt mit einzelnen Beiſpielen untermiſcht, voraus- ſchicken, ob man ſie in die Darſtellung des Concreten ver- weben oder erſt durch die unbefangene concrete Darſtellung Grund und Boden für die abſtracte Betrachtung gewinnen ſoll, ob man das hiſtoriſche Material ſeinem ganzen Umfang nach mittheilen oder als bekannt vorausſetzen oder nur wie im Vorübergehen an die weſentlichen Punkte erinnern ſoll — das ſind lauter Fragen, die ſich mir faſt bei jedem neuen Ge- genſtand wiederholt haben und bei jedem in individueller Weiſe zu löſen waren. Ob die Löſung immer die richtige geweſen, darüber will ich mit Niemanden rechten. Dem Einen mag ich des Allgemeinen, dem Andern des Concreten zu viel gethan haben. Darüber gibt es eben keinen objectiven Maßſtab. Ich bitte nur zu berückſichtigen, daß es mir nach meiner Erklärung in der Einleitung meines Werks (B. 1 S. 11) nicht bloß auf das römiſche Recht ankommt, ſondern zugleich darauf, an und in dem römiſchen Recht das Weſen des Rechts überhaupt zur Anſchauung zu bringen. Wer lieſt heutzutage noch Unter- ſuchungen über das Weſen des Rechts? Wer ſie feil hat, darf ſie daher dem Publicum nicht in dieſer Geſtalt vorführen, ſon- dern in und an einem concreten Stoff. Meiner feſten Ueber- zeugung nach gereicht dies ihnen ſelbſt zu hohem Nutzen. Die Rechtsphiloſophie würde ihren Kredit nicht in dem Maße ein- gebüßt haben, wie ſie es leider heutzutage hat, wenn ſie ſich das Element des Hiſtoriſchen und Concreten nicht zu ſehr hätte ab- handen kommen laſſen. Ihre Zukunft liegt m. 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Vorrede.
die Gefahr des Zuviel und Zuwenig, das auf den rein ſubjecti-
ven Takt geſtellte Abmeſſen des richtigen Gleichgewichts: eine
Klippe, die für einen Schriftſteller, welcher einen concreten
Stoff vor ſich hat, gar nicht exiſtirt. Ob man die allgemeinen
Ideen, zunächſt mit einzelnen Beiſpielen untermiſcht, voraus-
ſchicken, ob man ſie in die Darſtellung des Concreten ver-
weben oder erſt durch die unbefangene concrete Darſtellung
Grund und Boden für die abſtracte Betrachtung gewinnen ſoll,
ob man das hiſtoriſche Material ſeinem ganzen Umfang nach
mittheilen oder als bekannt vorausſetzen oder nur wie im
Vorübergehen an die weſentlichen Punkte erinnern ſoll —
das ſind lauter Fragen, die ſich mir faſt bei jedem neuen Ge-
genſtand wiederholt haben und bei jedem in individueller Weiſe
zu löſen waren. Ob die Löſung immer die richtige geweſen,
darüber will ich mit Niemanden rechten. Dem Einen mag ich
des Allgemeinen, dem Andern des Concreten zu viel gethan
haben. Darüber gibt es eben keinen objectiven Maßſtab. Ich
bitte nur zu berückſichtigen, daß es mir nach meiner Erklärung
in der Einleitung meines Werks (B. 1 S. 11) nicht bloß auf
das römiſche Recht ankommt, ſondern zugleich darauf, an
und in dem römiſchen Recht das Weſen des Rechts überhaupt
zur Anſchauung zu bringen. Wer lieſt heutzutage noch Unter-
ſuchungen über das Weſen des Rechts? Wer ſie feil hat, darf
ſie daher dem Publicum nicht in dieſer Geſtalt vorführen, ſon-
dern in und an einem concreten Stoff. Meiner feſten Ueber-
zeugung nach gereicht dies ihnen ſelbſt zu hohem Nutzen. Die
Rechtsphiloſophie würde ihren Kredit nicht in dem Maße ein-
gebüßt haben, wie ſie es leider heutzutage hat, wenn ſie ſich das
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handen kommen laſſen. Ihre Zukunft liegt m. E. in einer ener-
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