Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44.
liberiren, Auslagen machen u. s. w. statt durch Sachen durch
Uebernahme einer Obligation. Die bestehende Obligation kann
verkauft, verpfändet, legirt, cedirt, durch den Richter mit
Beschlag belegt, durch das Gesetz transferirt werden -- kurz
sie fungirt hier in der That ganz so, wie in älterer Zeit die
Sache.

Hiermit schließe ich meine Ausführung über die Bedeutung
der Sache im ältern Recht und damit zugleich die über den Ma-
terialismus des ältern Rechts überhaupt. Als Gewinn dersel-
ben dürfen wir die Gewißheit bezeichnen, daß die sinnliche
Vorstellungsweise der ältern Zeit auch im Recht sich nicht ver-
läugnet hat. Völlig irrig aber wäre es zu meinen, als ob dieser
Zug derber Sinnlichkeit, mit dem das Recht der Zeit seinen
Tribut bezahlt, diese substantielle Schwere, dieser massive Zu-
schnitt seiner Verhältnisse und Begriffe die scharfe juristische Er-
fassung und Durchbildung derselben ausgeschlossen habe. Ja
andererseits versteigt sich das ältere Recht zu so feinen Abstractio-
nen wie z. B. der der hereditas im Gegensatz zu den res heredi-
tariae,
daß wir uns hüten müssen, den Entwicklungsgrad seines
Abstractionsvermögens lediglich nach dem Inhalt des gegenwär-
tigen Paragraphen zu bestimmen. Ein Urtheil darüber läßt sich
nur fällen, wenn man dabei das gesammte Begriffsmaterial des
ältern Rechts einer Kritik unterwirft; dazu aber ist hier noch
nicht der Ort.

II. Das Haften am Wort.

Der Gedanke und das Wort -- grammatische und logische Inter-
pretation -- Verhältniß der alten Jurisprudenz zu diesem Ge-
gensatz -- strenge Wortinterpretation der Rechtsgeschäfte --
freiere der Gesetze -- tendentiöses Element derselben.

XLIV. Das Haften am Wort ist eine von den Erschei-
nungen, durch die sich die niedere Stufe der geistigen Entwick-
lung wie überall so auch im Recht kennzeichnet, und die Rechts-

30*

Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44.
liberiren, Auslagen machen u. ſ. w. ſtatt durch Sachen durch
Uebernahme einer Obligation. Die beſtehende Obligation kann
verkauft, verpfändet, legirt, cedirt, durch den Richter mit
Beſchlag belegt, durch das Geſetz transferirt werden — kurz
ſie fungirt hier in der That ganz ſo, wie in älterer Zeit die
Sache.

Hiermit ſchließe ich meine Ausführung über die Bedeutung
der Sache im ältern Recht und damit zugleich die über den Ma-
terialismus des ältern Rechts überhaupt. Als Gewinn derſel-
ben dürfen wir die Gewißheit bezeichnen, daß die ſinnliche
Vorſtellungsweiſe der ältern Zeit auch im Recht ſich nicht ver-
läugnet hat. Völlig irrig aber wäre es zu meinen, als ob dieſer
Zug derber Sinnlichkeit, mit dem das Recht der Zeit ſeinen
Tribut bezahlt, dieſe ſubſtantielle Schwere, dieſer maſſive Zu-
ſchnitt ſeiner Verhältniſſe und Begriffe die ſcharfe juriſtiſche Er-
faſſung und Durchbildung derſelben ausgeſchloſſen habe. Ja
andererſeits verſteigt ſich das ältere Recht zu ſo feinen Abſtractio-
nen wie z. B. der der hereditas im Gegenſatz zu den res heredi-
tariae,
daß wir uns hüten müſſen, den Entwicklungsgrad ſeines
Abſtractionsvermögens lediglich nach dem Inhalt des gegenwär-
tigen Paragraphen zu beſtimmen. Ein Urtheil darüber läßt ſich
nur fällen, wenn man dabei das geſammte Begriffsmaterial des
ältern Rechts einer Kritik unterwirft; dazu aber iſt hier noch
nicht der Ort.

II. Das Haften am Wort.

Der Gedanke und das Wort — grammatiſche und logiſche Inter-
pretation — Verhältniß der alten Jurisprudenz zu dieſem Ge-
genſatz — ſtrenge Wortinterpretation der Rechtsgeſchäfte —
freiere der Geſetze — tendentiöſes Element derſelben.

XLIV. Das Haften am Wort iſt eine von den Erſchei-
nungen, durch die ſich die niedere Stufe der geiſtigen Entwick-
lung wie überall ſo auch im Recht kennzeichnet, und die Rechts-

30*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0173" n="467"/><fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Wortinterpretation. §. 44.</fw><lb/>
liberiren, Auslagen machen u. &#x017F;. w. &#x017F;tatt durch Sachen durch<lb/>
Uebernahme einer Obligation. Die be&#x017F;tehende Obligation kann<lb/>
verkauft, verpfändet, legirt, cedirt, durch den Richter mit<lb/>
Be&#x017F;chlag belegt, durch das Ge&#x017F;etz transferirt werden &#x2014; kurz<lb/>
&#x017F;ie fungirt hier in der That ganz &#x017F;o, wie in älterer Zeit die<lb/>
Sache.</p><lb/>
                  <p>Hiermit &#x017F;chließe ich meine Ausführung über die Bedeutung<lb/>
der Sache im ältern Recht und damit zugleich die über den Ma-<lb/>
terialismus des ältern Rechts überhaupt. Als Gewinn der&#x017F;el-<lb/>
ben dürfen wir die Gewißheit bezeichnen, daß die &#x017F;innliche<lb/>
Vor&#x017F;tellungswei&#x017F;e der ältern Zeit auch im Recht &#x017F;ich nicht ver-<lb/>
läugnet hat. Völlig irrig aber wäre es zu meinen, als ob die&#x017F;er<lb/>
Zug derber Sinnlichkeit, mit dem das Recht der Zeit &#x017F;einen<lb/>
Tribut bezahlt, die&#x017F;e &#x017F;ub&#x017F;tantielle Schwere, die&#x017F;er ma&#x017F;&#x017F;ive Zu-<lb/>
&#x017F;chnitt &#x017F;einer Verhältni&#x017F;&#x017F;e und Begriffe die &#x017F;charfe juri&#x017F;ti&#x017F;che Er-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung und Durchbildung der&#x017F;elben ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en habe. Ja<lb/>
anderer&#x017F;eits ver&#x017F;teigt &#x017F;ich das ältere Recht zu &#x017F;o feinen Ab&#x017F;tractio-<lb/>
nen wie z. B. der der <hi rendition="#aq">hereditas</hi> im Gegen&#x017F;atz zu den <hi rendition="#aq">res heredi-<lb/>
tariae,</hi> daß wir uns hüten mü&#x017F;&#x017F;en, den Entwicklungsgrad &#x017F;eines<lb/>
Ab&#x017F;tractionsvermögens lediglich nach dem Inhalt des gegenwär-<lb/>
tigen Paragraphen zu be&#x017F;timmen. Ein Urtheil darüber läßt &#x017F;ich<lb/>
nur fällen, wenn man dabei das ge&#x017F;ammte Begriffsmaterial des<lb/>
ältern Rechts einer Kritik unterwirft; dazu aber i&#x017F;t hier noch<lb/>
nicht der Ort.</p>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Haften am Wort.</head><lb/>
                  <argument>
                    <p> <hi rendition="#b">Der Gedanke und das Wort &#x2014; grammati&#x017F;che und logi&#x017F;che Inter-<lb/>
pretation &#x2014; Verhältniß der alten Jurisprudenz zu die&#x017F;em Ge-<lb/>
gen&#x017F;atz &#x2014; &#x017F;trenge Wortinterpretation der Rechtsge&#x017F;chäfte &#x2014;<lb/>
freiere der Ge&#x017F;etze &#x2014; tendentiö&#x017F;es Element der&#x017F;elben.</hi> </p>
                  </argument><lb/>
                  <p><hi rendition="#aq">XLIV.</hi> Das Haften am Wort i&#x017F;t eine von den Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen, durch die &#x017F;ich die niedere Stufe der gei&#x017F;tigen Entwick-<lb/>
lung wie überall &#x017F;o auch im Recht kennzeichnet, und die Rechts-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">30*</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[467/0173] Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. liberiren, Auslagen machen u. ſ. w. ſtatt durch Sachen durch Uebernahme einer Obligation. Die beſtehende Obligation kann verkauft, verpfändet, legirt, cedirt, durch den Richter mit Beſchlag belegt, durch das Geſetz transferirt werden — kurz ſie fungirt hier in der That ganz ſo, wie in älterer Zeit die Sache. Hiermit ſchließe ich meine Ausführung über die Bedeutung der Sache im ältern Recht und damit zugleich die über den Ma- terialismus des ältern Rechts überhaupt. Als Gewinn derſel- ben dürfen wir die Gewißheit bezeichnen, daß die ſinnliche Vorſtellungsweiſe der ältern Zeit auch im Recht ſich nicht ver- läugnet hat. Völlig irrig aber wäre es zu meinen, als ob dieſer Zug derber Sinnlichkeit, mit dem das Recht der Zeit ſeinen Tribut bezahlt, dieſe ſubſtantielle Schwere, dieſer maſſive Zu- ſchnitt ſeiner Verhältniſſe und Begriffe die ſcharfe juriſtiſche Er- faſſung und Durchbildung derſelben ausgeſchloſſen habe. Ja andererſeits verſteigt ſich das ältere Recht zu ſo feinen Abſtractio- nen wie z. B. der der hereditas im Gegenſatz zu den res heredi- tariae, daß wir uns hüten müſſen, den Entwicklungsgrad ſeines Abſtractionsvermögens lediglich nach dem Inhalt des gegenwär- tigen Paragraphen zu beſtimmen. Ein Urtheil darüber läßt ſich nur fällen, wenn man dabei das geſammte Begriffsmaterial des ältern Rechts einer Kritik unterwirft; dazu aber iſt hier noch nicht der Ort. II. Das Haften am Wort. Der Gedanke und das Wort — grammatiſche und logiſche Inter- pretation — Verhältniß der alten Jurisprudenz zu dieſem Ge- genſatz — ſtrenge Wortinterpretation der Rechtsgeſchäfte — freiere der Geſetze — tendentiöſes Element derſelben. XLIV. Das Haften am Wort iſt eine von den Erſchei- nungen, durch die ſich die niedere Stufe der geiſtigen Entwick- lung wie überall ſo auch im Recht kennzeichnet, und die Rechts- 30*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/173
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/173>, abgerufen am 21.11.2024.