Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. größter Sicherheit dargethan werden kann und auch dem Gegnernicht unbekannt war. Wer in seinem Testament seinen Sklaven zum alleinigen Erben einsetzt, gibt damit in der That aufs un- zweideutigste zu erkennen, daß er demselben auch die Freiheit zuwenden will, denn um Erbe zu werden, muß der Sklav frei sein. Allein frei werden und Erbe werden ist zweierlei, es han- delt sich also um zwei an sich völlig von einander unabhängige Dispositionen, die Worte des Testators betreffen aber nur eine derselben, folglich wird der Sklave weder frei, noch Erbe. 613) Wenn Jemand für den Fall, daß seine Kinder vor ihm sterben sollten, einen Andern zum Erben einsetzt, so ist offenbar seine Vorstellung die, daß im entgegengesetzten Fall die Kinder erben sollen; man könnte letztere also auf Grund dieser indirecten Be- rücksichtigung, auch ohne daß sie selbst ausdrücklich eingesetzt sind, aus dem Testament zur Erbschaft berufen. Allein sie sind nicht ausdrücklich eingesetzt, und folglich ist, da sie auch nicht ausdrücklich enterbt sind, das Testament nichtig. 614) Aehnliche Beispiele gewährt das Erbrecht in Menge, namentlich in der Lehre von der Exheredation und Präterition. Der Vater kann seine Kinder beliebig von der Erbschaft ausschließen, mithin auch unter einer Bedingung. Gesetzt nun der Vater ernennt den Sohn unter einer casuellen Bedingung zum Erben, so ist offenbar seine Meinung, daß derselbe für den entgegengesetzten Fall ausgeschlossen sein soll. Allein er hätte dies ausdrücklich sagen müssen, denn Einsetzung und Enterbung ist zweierlei; -- das Testament ist nichtig. 615) Die Nichtigkeit tritt selbst dann 613) §. 2 I. quib. ex caus. (1. 6), worin zugleich die Aenderung von Justinian referirt wird. 614) L. 19 de hered. inst. (28. 5) L. 16 §. 1 de vulg. et pup. subst. (28. 6). Nach den meisten neuern Pandektenlehrbüchern und selbst nach dem von Puchta (§. 473 not. c) müßte dies noch heutzutage gelten! S. dagegen v. Vangerow Leitfaden §. 449 Anm. 1. 615) S. z. B. L. 83 de cond. et dem. (35. 1). Ebenso verweise ich
auf die cretio perfecta und imperfecta. Ulp. XXII, 34. Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. größter Sicherheit dargethan werden kann und auch dem Gegnernicht unbekannt war. Wer in ſeinem Teſtament ſeinen Sklaven zum alleinigen Erben einſetzt, gibt damit in der That aufs un- zweideutigſte zu erkennen, daß er demſelben auch die Freiheit zuwenden will, denn um Erbe zu werden, muß der Sklav frei ſein. Allein frei werden und Erbe werden iſt zweierlei, es han- delt ſich alſo um zwei an ſich völlig von einander unabhängige Dispoſitionen, die Worte des Teſtators betreffen aber nur eine derſelben, folglich wird der Sklave weder frei, noch Erbe. 613) Wenn Jemand für den Fall, daß ſeine Kinder vor ihm ſterben ſollten, einen Andern zum Erben einſetzt, ſo iſt offenbar ſeine Vorſtellung die, daß im entgegengeſetzten Fall die Kinder erben ſollen; man könnte letztere alſo auf Grund dieſer indirecten Be- rückſichtigung, auch ohne daß ſie ſelbſt ausdrücklich eingeſetzt ſind, aus dem Teſtament zur Erbſchaft berufen. Allein ſie ſind nicht ausdrücklich eingeſetzt, und folglich iſt, da ſie auch nicht ausdrücklich enterbt ſind, das Teſtament nichtig. 614) Aehnliche Beiſpiele gewährt das Erbrecht in Menge, namentlich in der Lehre von der Exheredation und Präterition. Der Vater kann ſeine Kinder beliebig von der Erbſchaft ausſchließen, mithin auch unter einer Bedingung. Geſetzt nun der Vater ernennt den Sohn unter einer caſuellen Bedingung zum Erben, ſo iſt offenbar ſeine Meinung, daß derſelbe für den entgegengeſetzten Fall ausgeſchloſſen ſein ſoll. Allein er hätte dies ausdrücklich ſagen müſſen, denn Einſetzung und Enterbung iſt zweierlei; — das Teſtament iſt nichtig. 615) Die Nichtigkeit tritt ſelbſt dann 613) §. 2 I. quib. ex caus. (1. 6), worin zugleich die Aenderung von Juſtinian referirt wird. 614) L. 19 de hered. inst. (28. 5) L. 16 §. 1 de vulg. et pup. subst. (28. 6). Nach den meiſten neuern Pandektenlehrbüchern und ſelbſt nach dem von Puchta (§. 473 not. c) müßte dies noch heutzutage gelten! S. dagegen v. Vangerow Leitfaden §. 449 Anm. 1. 615) S. z. B. L. 83 de cond. et dem. (35. 1). Ebenſo verweiſe ich
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Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44.
größter Sicherheit dargethan werden kann und auch dem Gegner
nicht unbekannt war. Wer in ſeinem Teſtament ſeinen Sklaven
zum alleinigen Erben einſetzt, gibt damit in der That aufs un-
zweideutigſte zu erkennen, daß er demſelben auch die Freiheit
zuwenden will, denn um Erbe zu werden, muß der Sklav frei
ſein. Allein frei werden und Erbe werden iſt zweierlei, es han-
delt ſich alſo um zwei an ſich völlig von einander unabhängige
Dispoſitionen, die Worte des Teſtators betreffen aber nur eine
derſelben, folglich wird der Sklave weder frei, noch Erbe. 613)
Wenn Jemand für den Fall, daß ſeine Kinder vor ihm ſterben
ſollten, einen Andern zum Erben einſetzt, ſo iſt offenbar ſeine
Vorſtellung die, daß im entgegengeſetzten Fall die Kinder erben
ſollen; man könnte letztere alſo auf Grund dieſer indirecten Be-
rückſichtigung, auch ohne daß ſie ſelbſt ausdrücklich eingeſetzt
ſind, aus dem Teſtament zur Erbſchaft berufen. Allein ſie ſind
nicht ausdrücklich eingeſetzt, und folglich iſt, da ſie auch nicht
ausdrücklich enterbt ſind, das Teſtament nichtig. 614) Aehnliche
Beiſpiele gewährt das Erbrecht in Menge, namentlich in der
Lehre von der Exheredation und Präterition. Der Vater kann
ſeine Kinder beliebig von der Erbſchaft ausſchließen, mithin
auch unter einer Bedingung. Geſetzt nun der Vater ernennt
den Sohn unter einer caſuellen Bedingung zum Erben, ſo iſt
offenbar ſeine Meinung, daß derſelbe für den entgegengeſetzten
Fall ausgeſchloſſen ſein ſoll. Allein er hätte dies ausdrücklich
ſagen müſſen, denn Einſetzung und Enterbung iſt zweierlei; —
das Teſtament iſt nichtig. 615) Die Nichtigkeit tritt ſelbſt dann
613) §. 2 I. quib. ex caus. (1. 6), worin zugleich die Aenderung von
Juſtinian referirt wird.
614) L. 19 de hered. inst. (28. 5) L. 16 §. 1 de vulg. et pup.
subst. (28. 6). Nach den meiſten neuern Pandektenlehrbüchern und ſelbſt
nach dem von Puchta (§. 473 not. c) müßte dies noch heutzutage gelten!
S. dagegen v. Vangerow Leitfaden §. 449 Anm. 1.
615) S. z. B. L. 83 de cond. et dem. (35. 1). Ebenſo verweiſe ich
auf die cretio perfecta und imperfecta. Ulp. XXII, 34.
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