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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44.
zusammen, in denen die Jurisprudenz dem Wort entschieden den
Gehorsam aufgekündigt hat.

Die Zwölf Tafeln setzten die Usucapionsfrist für den "fun-
dus"
auf zwei, für die "ceterae res" auf ein Jahr. Wozu ge-
hörten nun die Häuser? Bei strenger Wortinterpretation offenbar
zu den ceterae res, 626) allein die Interpretation stellte sie prak-
tisch aus gutem Grunde dem fundus gleich. Das Recht des Eigen-
thümers, Obst, Früchte u. s. w., die auf des Nachbarn Grund-
stück gefallen, aufzulesen, stammt aus den Zwölf Tafeln, 627) allein
der Ausdruck des Gesetzes war theils zu eng, theils zu weit.
Denn einmal sprach dasselbe bloß von glans (Eichel oder eichel-
ähnliche Frucht z. B. Kastanien) und sodann fügte es für die
Ausübung gar keine Beschränkung hinzu. Hätte man hier wört-
lich interpretiren wollen, so hätte man alle andern Früchte außer
der genannten Art ausnehmen und andererseits dem Eigenthü-
mer die Befugniß einräumen müssen, jeder Zeit, z. B. also auch
bei Nacht das Grundstück der Nachbarn zu betreten. Beides ist
nicht geschehen. 628) Das Gesetz enthält ferner die Bestimmung,
daß der Sklave, dem der Herr im Testament gegen Entrichtung
eines bestimmten Lösegeldes die Freiheit vermacht hatte, das
Lösegeld nicht bloß dem Erben, sondern, wenn letzterer ihn ver-
äußert hatte, dem "emtor" zahlen dürfe. Diesen Ausdruck
nahm man im weitesten Sinn für jeden, der das Eigenthum
am Sklaven erworben habe. 629) Ebenso dehnte man den Aus-

626) Dies bemerkt auch Cic. Top. c. 4 at in lege aedes non ap-
pellantur et sunt ceterarum rerum omnium, quarum annuus est usus.
627) Plin. Hist. nat. XVI, 5.
628) Rücksichtlich des ersten Punktes half die Jurisprudenz L. 1
§. 1 de glande leg. (43. 28),
rücksichtlich des letzteren der Prätor L. 1
pr. ibid.
629) L. 29 §. 1 de statul. (40. 7) .. quoniam lex XII tab. emtionis
verbo omnem alienationem complexa videretur, non interesset, quo
genere quisque dominus ejus fieret.

Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44.
zuſammen, in denen die Jurisprudenz dem Wort entſchieden den
Gehorſam aufgekündigt hat.

Die Zwölf Tafeln ſetzten die Uſucapionsfriſt für den „fun-
dus“
auf zwei, für die „ceterae res“ auf ein Jahr. Wozu ge-
hörten nun die Häuſer? Bei ſtrenger Wortinterpretation offenbar
zu den ceterae res, 626) allein die Interpretation ſtellte ſie prak-
tiſch aus gutem Grunde dem fundus gleich. Das Recht des Eigen-
thümers, Obſt, Früchte u. ſ. w., die auf des Nachbarn Grund-
ſtück gefallen, aufzuleſen, ſtammt aus den Zwölf Tafeln, 627) allein
der Ausdruck des Geſetzes war theils zu eng, theils zu weit.
Denn einmal ſprach daſſelbe bloß von glans (Eichel oder eichel-
ähnliche Frucht z. B. Kaſtanien) und ſodann fügte es für die
Ausübung gar keine Beſchränkung hinzu. Hätte man hier wört-
lich interpretiren wollen, ſo hätte man alle andern Früchte außer
der genannten Art ausnehmen und andererſeits dem Eigenthü-
mer die Befugniß einräumen müſſen, jeder Zeit, z. B. alſo auch
bei Nacht das Grundſtück der Nachbarn zu betreten. Beides iſt
nicht geſchehen. 628) Das Geſetz enthält ferner die Beſtimmung,
daß der Sklave, dem der Herr im Teſtament gegen Entrichtung
eines beſtimmten Löſegeldes die Freiheit vermacht hatte, das
Löſegeld nicht bloß dem Erben, ſondern, wenn letzterer ihn ver-
äußert hatte, dem „emtor“ zahlen dürfe. Dieſen Ausdruck
nahm man im weiteſten Sinn für jeden, der das Eigenthum
am Sklaven erworben habe. 629) Ebenſo dehnte man den Aus-

626) Dies bemerkt auch Cic. Top. c. 4 at in lege aedes non ap-
pellantur et sunt ceterarum rerum omnium, quarum annuus est usus.
627) Plin. Hist. nat. XVI, 5.
628) Rückſichtlich des erſten Punktes half die Jurisprudenz L. 1
§. 1 de glande leg. (43. 28),
rückſichtlich des letzteren der Prätor L. 1
pr. ibid.
629) L. 29 §. 1 de statul. (40. 7) .. quoniam lex XII tab. emtionis
verbo omnem alienationem complexa videretur, non interesset, quo
genere quisque dominus ejus fieret.
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[485/0191] Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. zuſammen, in denen die Jurisprudenz dem Wort entſchieden den Gehorſam aufgekündigt hat. Die Zwölf Tafeln ſetzten die Uſucapionsfriſt für den „fun- dus“ auf zwei, für die „ceterae res“ auf ein Jahr. Wozu ge- hörten nun die Häuſer? Bei ſtrenger Wortinterpretation offenbar zu den ceterae res, 626) allein die Interpretation ſtellte ſie prak- tiſch aus gutem Grunde dem fundus gleich. Das Recht des Eigen- thümers, Obſt, Früchte u. ſ. w., die auf des Nachbarn Grund- ſtück gefallen, aufzuleſen, ſtammt aus den Zwölf Tafeln, 627) allein der Ausdruck des Geſetzes war theils zu eng, theils zu weit. Denn einmal ſprach daſſelbe bloß von glans (Eichel oder eichel- ähnliche Frucht z. B. Kaſtanien) und ſodann fügte es für die Ausübung gar keine Beſchränkung hinzu. Hätte man hier wört- lich interpretiren wollen, ſo hätte man alle andern Früchte außer der genannten Art ausnehmen und andererſeits dem Eigenthü- mer die Befugniß einräumen müſſen, jeder Zeit, z. B. alſo auch bei Nacht das Grundſtück der Nachbarn zu betreten. Beides iſt nicht geſchehen. 628) Das Geſetz enthält ferner die Beſtimmung, daß der Sklave, dem der Herr im Teſtament gegen Entrichtung eines beſtimmten Löſegeldes die Freiheit vermacht hatte, das Löſegeld nicht bloß dem Erben, ſondern, wenn letzterer ihn ver- äußert hatte, dem „emtor“ zahlen dürfe. Dieſen Ausdruck nahm man im weiteſten Sinn für jeden, der das Eigenthum am Sklaven erworben habe. 629) Ebenſo dehnte man den Aus- 626) Dies bemerkt auch Cic. Top. c. 4 at in lege aedes non ap- pellantur et sunt ceterarum rerum omnium, quarum annuus est usus. 627) Plin. Hist. nat. XVI, 5. 628) Rückſichtlich des erſten Punktes half die Jurisprudenz L. 1 §. 1 de glande leg. (43. 28), rückſichtlich des letzteren der Prätor L. 1 pr. ibid. 629) L. 29 §. 1 de statul. (40. 7) .. quoniam lex XII tab. emtionis verbo omnem alienationem complexa videretur, non interesset, quo genere quisque dominus ejus fieret.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/191>, abgerufen am 21.11.2024.