Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. das Resultat, bei der Auslegung der Gesetze blindlings demWort dahin gegeben, sondern für die Anforderungen der Ver- nunft und die Bedürfnisse des praktischen Lebens ein offnes Auge hatte und ihnen entsprechend das Gesetz zu deuten wußte. Dazu war doch trotz aller Verehrung für das Wort der Sinn der Rö- mer zu gesund, als daß sie bei einem Mißgriff im Ausdruck von Seiten des Gesetzgebers ihre bessere Ueberzeugung und die In- teressen des Lebens sklavisch dem Buchstaben geopfert hätten. Darum ist denn auch die Vermuthung berechtigt, daß in jenen obigen Fällen, wo scheinbar das Wort den Sieg davon trug, in der That dieser Sieg ein aus anderen Gründen erwünschter war m. a. W. daß man das Resultat wollte und das Wort nur als erwünschten Vorwand, als äußeren gesetzlichen An- haltspunkt benutzte. Um davon an den obigen Beispielen die Probe zu machen, so hätte es, wenn man sonst nur die testa- mentarische und Intestaterbfolge für verträglich mit einander ge- halten, keine Schwierigkeit verursacht, die Worte: si intestato moritur damit zu vereinigen. Nahm man doch auch in der auf S. 486 angegebenen anderen Beziehung das Wort: in- testatus nicht im strengen Sinn. Die Benutzung des Wortes: moritur für den Satz, daß der Erbe im Moment des Todes des Erblassers gelebt haben müsse, war gleichfalls nur ein Vor- wand, der entgegengesetzte Satz hätte sich mit diesem Wort eben so wohl vertragen. In dem Fall, wenn die Testamentserben ausgeschlagen hatten, hatte man ja dies Wort nicht auf die To- deszeit des Testators, sondern auf den Moment der Eröffnung der Intestaterbfolge bezogen. Die Ausschließung der successio graduum und ordinum auf Grund der angeführten Worte der Zwölf Tafeln scheint mit der Tendenz zusammenzuhängen, den von dem Gesetz in keiner Weise berücksichtigten bloßen Blutsver- wandten (cognati) einen Zugang zum Nachlaß zu gewähren -- einer Tendenz, die in späterer Zeit wenigstens aufs unzweideu- tigste hervortritt und einen der Hauptzwecke der prätorischen Bo- norum Possessio bildete. Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. das Reſultat, bei der Auslegung der Geſetze blindlings demWort dahin gegeben, ſondern für die Anforderungen der Ver- nunft und die Bedürfniſſe des praktiſchen Lebens ein offnes Auge hatte und ihnen entſprechend das Geſetz zu deuten wußte. Dazu war doch trotz aller Verehrung für das Wort der Sinn der Rö- mer zu geſund, als daß ſie bei einem Mißgriff im Ausdruck von Seiten des Geſetzgebers ihre beſſere Ueberzeugung und die In- tereſſen des Lebens ſklaviſch dem Buchſtaben geopfert hätten. Darum iſt denn auch die Vermuthung berechtigt, daß in jenen obigen Fällen, wo ſcheinbar das Wort den Sieg davon trug, in der That dieſer Sieg ein aus anderen Gründen erwünſchter war m. a. W. daß man das Reſultat wollte und das Wort nur als erwünſchten Vorwand, als äußeren geſetzlichen An- haltspunkt benutzte. Um davon an den obigen Beiſpielen die Probe zu machen, ſo hätte es, wenn man ſonſt nur die teſta- mentariſche und Inteſtaterbfolge für verträglich mit einander ge- halten, keine Schwierigkeit verurſacht, die Worte: si intestato moritur damit zu vereinigen. Nahm man doch auch in der auf S. 486 angegebenen anderen Beziehung das Wort: in- testatus nicht im ſtrengen Sinn. Die Benutzung des Wortes: moritur für den Satz, daß der Erbe im Moment des Todes des Erblaſſers gelebt haben müſſe, war gleichfalls nur ein Vor- wand, der entgegengeſetzte Satz hätte ſich mit dieſem Wort eben ſo wohl vertragen. In dem Fall, wenn die Teſtamentserben ausgeſchlagen hatten, hatte man ja dies Wort nicht auf die To- deszeit des Teſtators, ſondern auf den Moment der Eröffnung der Inteſtaterbfolge bezogen. Die Ausſchließung der successio graduum und ordinum auf Grund der angeführten Worte der Zwölf Tafeln ſcheint mit der Tendenz zuſammenzuhängen, den von dem Geſetz in keiner Weiſe berückſichtigten bloßen Blutsver- wandten (cognati) einen Zugang zum Nachlaß zu gewähren — einer Tendenz, die in ſpäterer Zeit wenigſtens aufs unzweideu- tigſte hervortritt und einen der Hauptzwecke der prätoriſchen Bo- norum Possessio bildete. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0193" n="487"/><fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Wortinterpretation. §. 44.</fw><lb/> das Reſultat, bei der Auslegung der Geſetze blindlings dem<lb/> Wort dahin gegeben, ſondern für die Anforderungen der Ver-<lb/> nunft und die Bedürfniſſe des praktiſchen Lebens ein offnes Auge<lb/> hatte und ihnen entſprechend das Geſetz zu deuten wußte. 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Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44.
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Wort dahin gegeben, ſondern für die Anforderungen der Ver-
nunft und die Bedürfniſſe des praktiſchen Lebens ein offnes Auge
hatte und ihnen entſprechend das Geſetz zu deuten wußte. Dazu
war doch trotz aller Verehrung für das Wort der Sinn der Rö-
mer zu geſund, als daß ſie bei einem Mißgriff im Ausdruck von
Seiten des Geſetzgebers ihre beſſere Ueberzeugung und die In-
tereſſen des Lebens ſklaviſch dem Buchſtaben geopfert hätten.
Darum iſt denn auch die Vermuthung berechtigt, daß in jenen
obigen Fällen, wo ſcheinbar das Wort den Sieg davon trug, in
der That dieſer Sieg ein aus anderen Gründen erwünſchter
war m. a. W. daß man das Reſultat wollte und das Wort
nur als erwünſchten Vorwand, als äußeren geſetzlichen An-
haltspunkt benutzte. Um davon an den obigen Beiſpielen die
Probe zu machen, ſo hätte es, wenn man ſonſt nur die teſta-
mentariſche und Inteſtaterbfolge für verträglich mit einander ge-
halten, keine Schwierigkeit verurſacht, die Worte: si intestato
moritur damit zu vereinigen. Nahm man doch auch in der
auf S. 486 angegebenen anderen Beziehung das Wort: in-
testatus nicht im ſtrengen Sinn. Die Benutzung des Wortes:
moritur für den Satz, daß der Erbe im Moment des Todes des
Erblaſſers gelebt haben müſſe, war gleichfalls nur ein Vor-
wand, der entgegengeſetzte Satz hätte ſich mit dieſem Wort eben
ſo wohl vertragen. In dem Fall, wenn die Teſtamentserben
ausgeſchlagen hatten, hatte man ja dies Wort nicht auf die To-
deszeit des Teſtators, ſondern auf den Moment der Eröffnung
der Inteſtaterbfolge bezogen. Die Ausſchließung der successio
graduum und ordinum auf Grund der angeführten Worte der
Zwölf Tafeln ſcheint mit der Tendenz zuſammenzuhängen, den
von dem Geſetz in keiner Weiſe berückſichtigten bloßen Blutsver-
wandten (cognati) einen Zugang zum Nachlaß zu gewähren —
einer Tendenz, die in ſpäterer Zeit wenigſtens aufs unzweideu-
tigſte hervortritt und einen der Hauptzwecke der prätoriſchen Bo-
norum Possessio bildete.
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