Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. pretation gemäß hätte sie dieselbe wie bei Rechtsgeschäften, soauch bei Gesetzen für statthaft erklären müssen. Denn die Um- gehung des Gesetzes enthält ja keinen Verstoß gegen die Worte, sondern nur gegen die wirkliche Absicht des Gesetzes, 640) mit- hin gegen ein Moment, das die Wortinterpretation als solche grundsätzlich nicht kennt. Das positive Material, das uns zur Beantwortung dieser Frage zu Gebote steht, ist außerordentlich dürftig. Einerseits werden uns zwar Fälle der Umgehung der Gesetze aus alter Zeit berichtet, so namentlich der Zinsgesetze, 641) der Gesetze über die Provocation, 642) allein Versuche zur Um- gehung von Gesetzen kommen jederzeit vor, es fragt sich nur, wie das Recht sie ansieht und behandelt, darüber aber versagen uns die Berichte in jenen Fällen eine bestimmte und sichere Ant- wort, obgleich allerdings durchzuschimmern scheint, daß die Ver- suche zur Umgehung mit Erfolg gekrönt gewesen seien, das Recht letztere also für legal gehalten habe. Nur in einem ein- zigen Fall wird uns, so viel mir bekannt, eine ganz bestimmte und unzweideutige Auskunft gegeben, und hier zwar eine ganz andere, als wir erwarten mußten. Licinius Stolo, der bekannte Urheber der nach ihm benannten Rogationen, hatte sein eignes Ackergesetz dadurch umgangen, daß er seinen Sohn emancipirt und den das gesetzliche Maß übersteigenden Theil seines Grund- besitzes ihm übertragen hatte, und darauf hin ward er, wie Li- vius 643) sagt, nach seinem eignen Gesetz verurtheilt, quod eman- cipando filium fraudem legi fecisset. Die Glaubwürdigkeit dieses Zeugnisses läßt sich nicht in Zweifel ziehen, allein es würde meiner Meinung nach übereilt sein, wenn man dadurch 640) S. Note 620. 641) S. 158 Anm. 190. 642) Wenigstens scheinen die Worte, mit denen Livius X, 9 die dritte Redaction desselben berichtet: legem tulit diligentius sanctam darauf hin zu deuten, daß die Nothwendigkeit einer wiederholten sorgfältigeren Re- daction in der Umgehung des bisherigen Gesetzes ihren Grund hatte. 643) Liv. Vii, 16.
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. pretation gemäß hätte ſie dieſelbe wie bei Rechtsgeſchäften, ſoauch bei Geſetzen für ſtatthaft erklären müſſen. Denn die Um- gehung des Geſetzes enthält ja keinen Verſtoß gegen die Worte, ſondern nur gegen die wirkliche Abſicht des Geſetzes, 640) mit- hin gegen ein Moment, das die Wortinterpretation als ſolche grundſätzlich nicht kennt. Das poſitive Material, das uns zur Beantwortung dieſer Frage zu Gebote ſteht, iſt außerordentlich dürftig. Einerſeits werden uns zwar Fälle der Umgehung der Geſetze aus alter Zeit berichtet, ſo namentlich der Zinsgeſetze, 641) der Geſetze über die Provocation, 642) allein Verſuche zur Um- gehung von Geſetzen kommen jederzeit vor, es fragt ſich nur, wie das Recht ſie anſieht und behandelt, darüber aber verſagen uns die Berichte in jenen Fällen eine beſtimmte und ſichere Ant- wort, obgleich allerdings durchzuſchimmern ſcheint, daß die Ver- ſuche zur Umgehung mit Erfolg gekrönt geweſen ſeien, das Recht letztere alſo für legal gehalten habe. Nur in einem ein- zigen Fall wird uns, ſo viel mir bekannt, eine ganz beſtimmte und unzweideutige Auskunft gegeben, und hier zwar eine ganz andere, als wir erwarten mußten. Licinius Stolo, der bekannte Urheber der nach ihm benannten Rogationen, hatte ſein eignes Ackergeſetz dadurch umgangen, daß er ſeinen Sohn emancipirt und den das geſetzliche Maß überſteigenden Theil ſeines Grund- beſitzes ihm übertragen hatte, und darauf hin ward er, wie Li- vius 643) ſagt, nach ſeinem eignen Geſetz verurtheilt, quod eman- cipando filium fraudem legi fecisset. Die Glaubwürdigkeit dieſes Zeugniſſes läßt ſich nicht in Zweifel ziehen, allein es würde meiner Meinung nach übereilt ſein, wenn man dadurch 640) S. Note 620. 641) S. 158 Anm. 190. 642) Wenigſtens ſcheinen die Worte, mit denen Livius X, 9 die dritte Redaction deſſelben berichtet: legem tulit diligentius sanctam darauf hin zu deuten, daß die Nothwendigkeit einer wiederholten ſorgfältigeren Re- daction in der Umgehung des bisherigen Geſetzes ihren Grund hatte. 643) Liv. Vii, 16.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0200" n="494"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> pretation gemäß hätte ſie dieſelbe wie bei Rechtsgeſchäften, ſo<lb/> auch bei Geſetzen für ſtatthaft erklären müſſen. Denn die Um-<lb/> gehung des Geſetzes enthält ja keinen Verſtoß gegen die <hi rendition="#g">Worte</hi>,<lb/> ſondern nur gegen die wirkliche <hi rendition="#g">Abſicht</hi> des Geſetzes, <note place="foot" n="640)">S. Note 620.</note> mit-<lb/> hin gegen ein Moment, das die Wortinterpretation als ſolche<lb/> grundſätzlich nicht kennt. Das poſitive Material, das uns zur<lb/> Beantwortung dieſer Frage zu Gebote ſteht, iſt außerordentlich<lb/> dürftig. Einerſeits werden uns zwar Fälle der Umgehung der<lb/> Geſetze aus alter Zeit berichtet, ſo namentlich der Zinsgeſetze, <note place="foot" n="641)">S. 158 Anm. 190.</note><lb/> der Geſetze über die Provocation, <note place="foot" n="642)">Wenigſtens ſcheinen die Worte, mit denen Livius <hi rendition="#aq">X,</hi> 9 die <hi rendition="#g">dritte</hi><lb/> Redaction deſſelben berichtet: <hi rendition="#aq">legem <hi rendition="#g">tulit diligentius</hi> sanctam</hi> darauf<lb/> hin zu deuten, daß die Nothwendigkeit einer wiederholten ſorgfältigeren Re-<lb/> daction in der Umgehung des bisherigen Geſetzes ihren Grund hatte.</note> allein <hi rendition="#g">Verſuche</hi> zur Um-<lb/> gehung von Geſetzen kommen jederzeit vor, es fragt ſich nur,<lb/> wie das Recht ſie anſieht und behandelt, darüber aber verſagen<lb/> uns die Berichte in jenen Fällen eine beſtimmte und ſichere Ant-<lb/> wort, obgleich allerdings durchzuſchimmern ſcheint, daß die Ver-<lb/> ſuche zur Umgehung mit Erfolg gekrönt geweſen ſeien, das<lb/> Recht letztere alſo für legal gehalten habe. Nur in einem ein-<lb/> zigen Fall wird uns, ſo viel mir bekannt, eine ganz beſtimmte<lb/> und unzweideutige Auskunft gegeben, und hier zwar eine ganz<lb/> andere, als wir erwarten mußten. Licinius Stolo, der bekannte<lb/> Urheber der nach ihm benannten Rogationen, hatte ſein eignes<lb/> Ackergeſetz dadurch umgangen, daß er ſeinen Sohn emancipirt<lb/> und den das geſetzliche Maß überſteigenden Theil ſeines Grund-<lb/> beſitzes ihm übertragen hatte, und darauf hin ward er, wie Li-<lb/> vius <note place="foot" n="643)"><hi rendition="#aq">Liv. Vii,</hi> 16.</note> ſagt, nach ſeinem eignen Geſetz verurtheilt, <hi rendition="#aq">quod eman-<lb/> cipando filium fraudem legi fecisset.</hi> Die Glaubwürdigkeit<lb/> dieſes Zeugniſſes läßt ſich nicht in Zweifel ziehen, allein es<lb/> würde meiner Meinung nach übereilt ſein, wenn man dadurch<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [494/0200]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
pretation gemäß hätte ſie dieſelbe wie bei Rechtsgeſchäften, ſo
auch bei Geſetzen für ſtatthaft erklären müſſen. Denn die Um-
gehung des Geſetzes enthält ja keinen Verſtoß gegen die Worte,
ſondern nur gegen die wirkliche Abſicht des Geſetzes, 640) mit-
hin gegen ein Moment, das die Wortinterpretation als ſolche
grundſätzlich nicht kennt. Das poſitive Material, das uns zur
Beantwortung dieſer Frage zu Gebote ſteht, iſt außerordentlich
dürftig. Einerſeits werden uns zwar Fälle der Umgehung der
Geſetze aus alter Zeit berichtet, ſo namentlich der Zinsgeſetze, 641)
der Geſetze über die Provocation, 642) allein Verſuche zur Um-
gehung von Geſetzen kommen jederzeit vor, es fragt ſich nur,
wie das Recht ſie anſieht und behandelt, darüber aber verſagen
uns die Berichte in jenen Fällen eine beſtimmte und ſichere Ant-
wort, obgleich allerdings durchzuſchimmern ſcheint, daß die Ver-
ſuche zur Umgehung mit Erfolg gekrönt geweſen ſeien, das
Recht letztere alſo für legal gehalten habe. Nur in einem ein-
zigen Fall wird uns, ſo viel mir bekannt, eine ganz beſtimmte
und unzweideutige Auskunft gegeben, und hier zwar eine ganz
andere, als wir erwarten mußten. Licinius Stolo, der bekannte
Urheber der nach ihm benannten Rogationen, hatte ſein eignes
Ackergeſetz dadurch umgangen, daß er ſeinen Sohn emancipirt
und den das geſetzliche Maß überſteigenden Theil ſeines Grund-
beſitzes ihm übertragen hatte, und darauf hin ward er, wie Li-
vius 643) ſagt, nach ſeinem eignen Geſetz verurtheilt, quod eman-
cipando filium fraudem legi fecisset. Die Glaubwürdigkeit
dieſes Zeugniſſes läßt ſich nicht in Zweifel ziehen, allein es
würde meiner Meinung nach übereilt ſein, wenn man dadurch
640) S. Note 620.
641) S. 158 Anm. 190.
642) Wenigſtens ſcheinen die Worte, mit denen Livius X, 9 die dritte
Redaction deſſelben berichtet: legem tulit diligentius sanctam darauf
hin zu deuten, daß die Nothwendigkeit einer wiederholten ſorgfältigeren Re-
daction in der Umgehung des bisherigen Geſetzes ihren Grund hatte.
643) Liv. Vii, 16.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |