Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
Im ältern Proceß ward die Form gesprochen, im neuern
geschrieben -- man verspricht sich aber leichter, als man sich
verschreibt; sodann geschah jenes von der Parthei, dieses vom
Prätor -- eine Verschiedenheit, deren Bedeutsamkeit für un-
sern Gesichtspunkt ich nicht weiter anzugeben brauche. Dann
endlich waren die Formeln dort bis ins Kleinste hinein unab-
änderlich fixirt -- auch das Auslassen oder Vertauschen eines
völlig gleichgültigen Wortes enthielt einen Formfehler -- hier
hingegen waren sie elastisch, und nur die wirklich entscheidenden
Worte gaben den Ausschlag.

Zur Einsicht in das Wesen und die Bedeutung des dritten
obigen Moments, des principiellen, hoffe ich den Leser am
leichtesten zu führen, indem ich ihm ein Beispiel aus einem
neuern Gesetzbuch mittheile. Es sollen mir dazu die Bestimmun-
gen des preußischen Landrechts über die schriftliche Abfassung
der Verträge657) dienen, sie gewähren ein Muster dafür, wie
derartige Bestimmungen nicht sein sollen. Das Gesetz erfor-
dert diese Form bei allen Verträgen, deren Gegenstand über
50 Rl. beträgt, durchbricht jedoch die Regel nach zwei Seiten
hin, denn einmal soll es in fünf Fällen der Form schlechthin
nicht, andererseits aber umgekehrt in zwölf Fällen selbst dann
bedürfen, wenn das Object jene Summe nicht erreicht, welche
Anordnung aber zum Theil wiederum verschiedenen Modifica-
tionen und Restrictionen unterliegt.658) Schon das bloße Be-

657) Die Belege zu dem folgenden s. bei Bornemann Erörterungen im
Gebiet des preuß. Rechts Heft 1. Berlin 1855. S. 144 fl.
658) S. folgende Beispiele bei Bornemann S. 168: "Die Real-
verträge über bewegliche Sachen bedürfen keiner schriftlichen Form, wenn nur
das Rechtsverhältniß, welches nach den Gesetzen durch das Hingeben der
Sache begründet wird, eintreten soll; Verabredungen über Nebenverpflichtun-
gen müssen dagegen schriftlich festgestellt werden." S. 151: "Verträge, wo-
durch Jemand zu fortdauernden oder auf unbestimmte Zeit versprochenen wie-
derkehrenden persönlichen Leistungen verpflichtet wird, bedürfen schlechthin der
Form, jedoch sind ausgenommen die Miethverträge mit gemeinem Gesinde,
bei welchem das Nehmen und Geben des Miethgeldes die Stelle des schrift-

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
Im ältern Proceß ward die Form geſprochen, im neuern
geſchrieben — man verſpricht ſich aber leichter, als man ſich
verſchreibt; ſodann geſchah jenes von der Parthei, dieſes vom
Prätor — eine Verſchiedenheit, deren Bedeutſamkeit für un-
ſern Geſichtspunkt ich nicht weiter anzugeben brauche. Dann
endlich waren die Formeln dort bis ins Kleinſte hinein unab-
änderlich fixirt — auch das Auslaſſen oder Vertauſchen eines
völlig gleichgültigen Wortes enthielt einen Formfehler — hier
hingegen waren ſie elaſtiſch, und nur die wirklich entſcheidenden
Worte gaben den Ausſchlag.

Zur Einſicht in das Weſen und die Bedeutung des dritten
obigen Moments, des principiellen, hoffe ich den Leſer am
leichteſten zu führen, indem ich ihm ein Beiſpiel aus einem
neuern Geſetzbuch mittheile. Es ſollen mir dazu die Beſtimmun-
gen des preußiſchen Landrechts über die ſchriftliche Abfaſſung
der Verträge657) dienen, ſie gewähren ein Muſter dafür, wie
derartige Beſtimmungen nicht ſein ſollen. Das Geſetz erfor-
dert dieſe Form bei allen Verträgen, deren Gegenſtand über
50 Rl. beträgt, durchbricht jedoch die Regel nach zwei Seiten
hin, denn einmal ſoll es in fünf Fällen der Form ſchlechthin
nicht, andererſeits aber umgekehrt in zwölf Fällen ſelbſt dann
bedürfen, wenn das Object jene Summe nicht erreicht, welche
Anordnung aber zum Theil wiederum verſchiedenen Modifica-
tionen und Reſtrictionen unterliegt.658) Schon das bloße Be-

657) Die Belege zu dem folgenden ſ. bei Bornemann Erörterungen im
Gebiet des preuß. Rechts Heft 1. Berlin 1855. S. 144 fl.
658) S. folgende Beiſpiele bei Bornemann S. 168: „Die Real-
verträge über bewegliche Sachen bedürfen keiner ſchriftlichen Form, wenn nur
das Rechtsverhältniß, welches nach den Geſetzen durch das Hingeben der
Sache begründet wird, eintreten ſoll; Verabredungen über Nebenverpflichtun-
gen müſſen dagegen ſchriftlich feſtgeſtellt werden.“ S. 151: „Verträge, wo-
durch Jemand zu fortdauernden oder auf unbeſtimmte Zeit verſprochenen wie-
derkehrenden perſönlichen Leiſtungen verpflichtet wird, bedürfen ſchlechthin der
Form, jedoch ſind ausgenommen die Miethverträge mit gemeinem Geſinde,
bei welchem das Nehmen und Geben des Miethgeldes die Stelle des ſchrift-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0215" n="509"/><fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Formalismus. §. 45.</fw><lb/>
Im ältern Proceß ward die Form <hi rendition="#g">ge&#x017F;prochen</hi>, im neuern<lb/><hi rendition="#g">ge&#x017F;chrieben</hi> &#x2014; man ver&#x017F;pricht &#x017F;ich aber leichter, als man &#x017F;ich<lb/>
ver&#x017F;chreibt; &#x017F;odann ge&#x017F;chah jenes von der <hi rendition="#g">Parthei</hi>, die&#x017F;es vom<lb/><hi rendition="#g">Prätor</hi> &#x2014; eine Ver&#x017F;chiedenheit, deren Bedeut&#x017F;amkeit für un-<lb/>
&#x017F;ern Ge&#x017F;ichtspunkt ich nicht weiter anzugeben brauche. Dann<lb/>
endlich waren die Formeln dort bis ins Klein&#x017F;te hinein unab-<lb/>
änderlich fixirt &#x2014; auch das Ausla&#x017F;&#x017F;en oder Vertau&#x017F;chen eines<lb/>
völlig gleichgültigen Wortes enthielt einen Formfehler &#x2014; hier<lb/>
hingegen waren &#x017F;ie ela&#x017F;ti&#x017F;ch, und nur die wirklich ent&#x017F;cheidenden<lb/>
Worte gaben den Aus&#x017F;chlag.</p><lb/>
                        <p>Zur Ein&#x017F;icht in das We&#x017F;en und die Bedeutung des dritten<lb/>
obigen Moments, des <hi rendition="#g">principiellen</hi>, hoffe ich den Le&#x017F;er am<lb/>
leichte&#x017F;ten zu führen, indem ich ihm ein Bei&#x017F;piel aus einem<lb/>
neuern Ge&#x017F;etzbuch mittheile. Es &#x017F;ollen mir dazu die Be&#x017F;timmun-<lb/>
gen des preußi&#x017F;chen Landrechts über die &#x017F;chriftliche Abfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
der Verträge<note place="foot" n="657)">Die Belege zu dem folgenden &#x017F;. bei Bornemann Erörterungen im<lb/>
Gebiet des preuß. Rechts Heft 1. Berlin 1855. S. 144 fl.</note> dienen, &#x017F;ie gewähren ein Mu&#x017F;ter dafür, wie<lb/>
derartige Be&#x017F;timmungen <hi rendition="#g">nicht</hi> &#x017F;ein &#x017F;ollen. Das Ge&#x017F;etz erfor-<lb/>
dert die&#x017F;e Form bei allen Verträgen, deren Gegen&#x017F;tand über<lb/>
50 Rl. beträgt, durchbricht jedoch die Regel nach zwei Seiten<lb/>
hin, denn einmal &#x017F;oll es in fünf Fällen der Form &#x017F;chlechthin<lb/><hi rendition="#g">nicht</hi>, anderer&#x017F;eits aber umgekehrt in zwölf Fällen &#x017F;elb&#x017F;t dann<lb/>
bedürfen, wenn das Object jene Summe <hi rendition="#g">nicht</hi> erreicht, welche<lb/>
Anordnung aber zum Theil wiederum ver&#x017F;chiedenen Modifica-<lb/>
tionen und Re&#x017F;trictionen unterliegt.<note xml:id="seg2pn_20_1" next="#seg2pn_20_2" place="foot" n="658)">S. folgende Bei&#x017F;piele bei Bornemann S. 168: &#x201E;Die Real-<lb/>
verträge über bewegliche Sachen bedürfen keiner &#x017F;chriftlichen Form, wenn nur<lb/>
das Rechtsverhältniß, welches nach den Ge&#x017F;etzen durch das Hingeben der<lb/>
Sache begründet wird, eintreten &#x017F;oll; Verabredungen über Nebenverpflichtun-<lb/>
gen mü&#x017F;&#x017F;en dagegen &#x017F;chriftlich fe&#x017F;tge&#x017F;tellt werden.&#x201C; S. 151: &#x201E;Verträge, wo-<lb/>
durch Jemand zu fortdauernden oder auf unbe&#x017F;timmte Zeit ver&#x017F;prochenen wie-<lb/>
derkehrenden per&#x017F;önlichen Lei&#x017F;tungen verpflichtet wird, bedürfen &#x017F;chlechthin der<lb/>
Form, jedoch &#x017F;ind ausgenommen die Miethverträge mit gemeinem Ge&#x017F;inde,<lb/>
bei welchem das Nehmen und Geben des Miethgeldes die Stelle des &#x017F;chrift-</note> Schon das bloße Be-<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[509/0215] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. Im ältern Proceß ward die Form geſprochen, im neuern geſchrieben — man verſpricht ſich aber leichter, als man ſich verſchreibt; ſodann geſchah jenes von der Parthei, dieſes vom Prätor — eine Verſchiedenheit, deren Bedeutſamkeit für un- ſern Geſichtspunkt ich nicht weiter anzugeben brauche. Dann endlich waren die Formeln dort bis ins Kleinſte hinein unab- änderlich fixirt — auch das Auslaſſen oder Vertauſchen eines völlig gleichgültigen Wortes enthielt einen Formfehler — hier hingegen waren ſie elaſtiſch, und nur die wirklich entſcheidenden Worte gaben den Ausſchlag. Zur Einſicht in das Weſen und die Bedeutung des dritten obigen Moments, des principiellen, hoffe ich den Leſer am leichteſten zu führen, indem ich ihm ein Beiſpiel aus einem neuern Geſetzbuch mittheile. Es ſollen mir dazu die Beſtimmun- gen des preußiſchen Landrechts über die ſchriftliche Abfaſſung der Verträge 657) dienen, ſie gewähren ein Muſter dafür, wie derartige Beſtimmungen nicht ſein ſollen. Das Geſetz erfor- dert dieſe Form bei allen Verträgen, deren Gegenſtand über 50 Rl. beträgt, durchbricht jedoch die Regel nach zwei Seiten hin, denn einmal ſoll es in fünf Fällen der Form ſchlechthin nicht, andererſeits aber umgekehrt in zwölf Fällen ſelbſt dann bedürfen, wenn das Object jene Summe nicht erreicht, welche Anordnung aber zum Theil wiederum verſchiedenen Modifica- tionen und Reſtrictionen unterliegt. 658) Schon das bloße Be- 657) Die Belege zu dem folgenden ſ. bei Bornemann Erörterungen im Gebiet des preuß. Rechts Heft 1. Berlin 1855. S. 144 fl. 658) S. folgende Beiſpiele bei Bornemann S. 168: „Die Real- verträge über bewegliche Sachen bedürfen keiner ſchriftlichen Form, wenn nur das Rechtsverhältniß, welches nach den Geſetzen durch das Hingeben der Sache begründet wird, eintreten ſoll; Verabredungen über Nebenverpflichtun- gen müſſen dagegen ſchriftlich feſtgeſtellt werden.“ S. 151: „Verträge, wo- durch Jemand zu fortdauernden oder auf unbeſtimmte Zeit verſprochenen wie- derkehrenden perſönlichen Leiſtungen verpflichtet wird, bedürfen ſchlechthin der Form, jedoch ſind ausgenommen die Miethverträge mit gemeinem Geſinde, bei welchem das Nehmen und Geben des Miethgeldes die Stelle des ſchrift-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/215
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/215>, abgerufen am 24.11.2024.