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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
hat nicht für Jeden denselben Werth; dem einen ist sie nöthiger,
dem andern entbehrlicher, und nicht überall sind die Kosten
gleich hoch. So verhält es sich auch mit den Rechtseinrichtun-
gen. Ihr Werth steigt und fällt je nach der Dringlichkeit des
Bedürfnisses, welches sie decken sollen, nach den Voraussetzun-
gen, die sie vorfinden -- der Cours, zu dem die Geschichte ihn
notirt, ist ein wandelbarer -- kurz der Begriff: praktischer
Werth
ist ein relativer. Eine und dieselbe Einrichtung
kann daher hier ebenso drückend werden, als sie sich dort wohl-
thätig beweist.

Diesen relativen Werth des Formalismus ins rechte
Licht zu setzen und die Momente, die für ihn maßgebend sind,
aufzusuchen, ist die Aufgabe der nächsten Seiten.

Jene Relativität ergibt sich schon durch einen flüchtigen Blick
auf die Geschichte. Wäre der Werth des Formalismus ein ab-
soluter, wie ginge es zu, daß die Geschichte ihn bislang noch
nicht gefunden, m. a. W. daß der Gebrauch, den die verschie-
denen Rechte vom Formalismus machen und gemacht haben,
ein so wenig constanter ist? Wäre die Brauchbarkeit überall
dieselbe, warum nicht auch der Gebrauch? Wir wollen uns
von der Geschichte die Antwort ertheilen lassen.

Unser heutiges Recht hat für Contracte im allgemeinen den
Grundsatz der Formlosigkeit adoptirt, dagegen steht der Wech-
sel ausnahmsweise unter dem Gesetz der äußersten formellen
Strenge. Ist unser Schluß von dem Gebrauch auf die Brauch-
barkeit begründet, so müssen die Vortheile des Formalismus
für den Wechsel oder für die Zwecke und Verhältnisse, für die
er bestimmt ist, einen höhern Werth haben, als für die Con-
tracte des gewöhnlichen Lebens, dort müssen sich die Kosten be-
zahlt machen, hier nicht. Und in der That, wenn man in An-
schlag bringt, daß der Wechsel vorzugsweise das Instrument
des kaufmännischen Verkehrs ist ("kaufmännisches Papiergeld"
S. 391 Anm. 511) und was gerade für den eigentlichen Han-
del die Rechtssicherheit, namentlich aber die Klarheit, Zweifel-

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
hat nicht für Jeden denſelben Werth; dem einen iſt ſie nöthiger,
dem andern entbehrlicher, und nicht überall ſind die Koſten
gleich hoch. So verhält es ſich auch mit den Rechtseinrichtun-
gen. Ihr Werth ſteigt und fällt je nach der Dringlichkeit des
Bedürfniſſes, welches ſie decken ſollen, nach den Vorausſetzun-
gen, die ſie vorfinden — der Cours, zu dem die Geſchichte ihn
notirt, iſt ein wandelbarer — kurz der Begriff: praktiſcher
Werth
iſt ein relativer. Eine und dieſelbe Einrichtung
kann daher hier ebenſo drückend werden, als ſie ſich dort wohl-
thätig beweiſt.

Dieſen relativen Werth des Formalismus ins rechte
Licht zu ſetzen und die Momente, die für ihn maßgebend ſind,
aufzuſuchen, iſt die Aufgabe der nächſten Seiten.

Jene Relativität ergibt ſich ſchon durch einen flüchtigen Blick
auf die Geſchichte. Wäre der Werth des Formalismus ein ab-
ſoluter, wie ginge es zu, daß die Geſchichte ihn bislang noch
nicht gefunden, m. a. W. daß der Gebrauch, den die verſchie-
denen Rechte vom Formalismus machen und gemacht haben,
ein ſo wenig conſtanter iſt? Wäre die Brauchbarkeit überall
dieſelbe, warum nicht auch der Gebrauch? Wir wollen uns
von der Geſchichte die Antwort ertheilen laſſen.

Unſer heutiges Recht hat für Contracte im allgemeinen den
Grundſatz der Formloſigkeit adoptirt, dagegen ſteht der Wech-
ſel ausnahmsweiſe unter dem Geſetz der äußerſten formellen
Strenge. Iſt unſer Schluß von dem Gebrauch auf die Brauch-
barkeit begründet, ſo müſſen die Vortheile des Formalismus
für den Wechſel oder für die Zwecke und Verhältniſſe, für die
er beſtimmt iſt, einen höhern Werth haben, als für die Con-
tracte des gewöhnlichen Lebens, dort müſſen ſich die Koſten be-
zahlt machen, hier nicht. Und in der That, wenn man in An-
ſchlag bringt, daß der Wechſel vorzugsweiſe das Inſtrument
des kaufmänniſchen Verkehrs iſt („kaufmänniſches Papiergeld“
S. 391 Anm. 511) und was gerade für den eigentlichen Han-
del die Rechtsſicherheit, namentlich aber die Klarheit, Zweifel-

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[528/0234] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. hat nicht für Jeden denſelben Werth; dem einen iſt ſie nöthiger, dem andern entbehrlicher, und nicht überall ſind die Koſten gleich hoch. So verhält es ſich auch mit den Rechtseinrichtun- gen. Ihr Werth ſteigt und fällt je nach der Dringlichkeit des Bedürfniſſes, welches ſie decken ſollen, nach den Vorausſetzun- gen, die ſie vorfinden — der Cours, zu dem die Geſchichte ihn notirt, iſt ein wandelbarer — kurz der Begriff: praktiſcher Werth iſt ein relativer. Eine und dieſelbe Einrichtung kann daher hier ebenſo drückend werden, als ſie ſich dort wohl- thätig beweiſt. Dieſen relativen Werth des Formalismus ins rechte Licht zu ſetzen und die Momente, die für ihn maßgebend ſind, aufzuſuchen, iſt die Aufgabe der nächſten Seiten. Jene Relativität ergibt ſich ſchon durch einen flüchtigen Blick auf die Geſchichte. Wäre der Werth des Formalismus ein ab- ſoluter, wie ginge es zu, daß die Geſchichte ihn bislang noch nicht gefunden, m. a. W. daß der Gebrauch, den die verſchie- denen Rechte vom Formalismus machen und gemacht haben, ein ſo wenig conſtanter iſt? Wäre die Brauchbarkeit überall dieſelbe, warum nicht auch der Gebrauch? Wir wollen uns von der Geſchichte die Antwort ertheilen laſſen. Unſer heutiges Recht hat für Contracte im allgemeinen den Grundſatz der Formloſigkeit adoptirt, dagegen ſteht der Wech- ſel ausnahmsweiſe unter dem Geſetz der äußerſten formellen Strenge. Iſt unſer Schluß von dem Gebrauch auf die Brauch- barkeit begründet, ſo müſſen die Vortheile des Formalismus für den Wechſel oder für die Zwecke und Verhältniſſe, für die er beſtimmt iſt, einen höhern Werth haben, als für die Con- tracte des gewöhnlichen Lebens, dort müſſen ſich die Koſten be- zahlt machen, hier nicht. Und in der That, wenn man in An- ſchlag bringt, daß der Wechſel vorzugsweiſe das Inſtrument des kaufmänniſchen Verkehrs iſt („kaufmänniſches Papiergeld“ S. 391 Anm. 511) und was gerade für den eigentlichen Han- del die Rechtsſicherheit, namentlich aber die Klarheit, Zweifel-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/234>, abgerufen am 26.11.2024.