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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
losigkeit dieses Circulationsmittels bedeutet, so wird man dies
begreiflich finden. Sodann aber werden andererseits die Nach-
theile der Form dem Publikum, das vorzugsweise mit dem
Wechsel operirt, d. h. den eigentlichen Geschäftsleuten ungleich
weniger fühlbar, als sie es bei einer Ausdehnung der Form auf
die Geschäfte des gewöhnlichen Lebens dem Bürger und Bauer
werden müßten. 669)

Für andere Rechtsgeschäfte, namentlich letztwillige Verfügun-
gen, Uebertragung von Grundeigenthum, Bestellung von Hy-
potheken, Prädialservituten u. s. w. haben die neuern Rechte
theils die Formen des römischen beibehalten, theils neue hinzu-
gefügt. Gerade bei ihnen stellt sich wiederum das Verhältniß
zwischen Gewinn und Kosten besonders günstig. Denn einmal
hat für sie die Form einen viel höhern Werth, als bei den Con-
tracten, 670) da letztere ihre Wirkungen auf die handelnden Per-
sonen beschränken und in verhältnißmäßig kurzer Zeit sich er-
schöpfen, während jene ihre Wirkungen, sowohl was die Zeit-
dauer derselben als die davon betroffenen Personen anlangt,
möglicherweise sehr weit ausdehnen können. In demselben Ver-
hältniß wie diese Ausdehnung wächst der Werth einer Be-
glaubigung des Rechtsgeschäfts durch die Form. Andererseits
aber sind die Nachtheile hier wiederum weniger drückend. Denn
diejenigen Rechtsgeschäfte, die sich rasch consumiren, wie z. B.
die Realcontracte, die Consensualcontracte mit Ausnahme der
Societät, werden auch regelmäßig ohne lange Vorbereitung ab-
geschlossen, ja ein durch eine schwerfällige Form veranlaßter

669) Aus diesem Grunde verdient es alle Anerkennung, daß die augen-
blicklich in Nürnberg tagende Conferenz zur Abfassung eines gemeinsamen
deutschen Handelsrechts, soweit es bis jetzt zur öffentlichen Kunde gekommen,
auf die kaufmännischen Verhältnisse das Princip der Form in energischer
Weise zur Anwendung gebracht hat. Es ist in der Beziehung vieles gut zu
machen!
670) Von der Eigenthumsübertragung beweglicher Sachen gilt etwas
ähnliches. Ich komme an einer andern Stelle (Abschn. IV) darauf zurück.
Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 34

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
loſigkeit dieſes Circulationsmittels bedeutet, ſo wird man dies
begreiflich finden. Sodann aber werden andererſeits die Nach-
theile der Form dem Publikum, das vorzugsweiſe mit dem
Wechſel operirt, d. h. den eigentlichen Geſchäftsleuten ungleich
weniger fühlbar, als ſie es bei einer Ausdehnung der Form auf
die Geſchäfte des gewöhnlichen Lebens dem Bürger und Bauer
werden müßten. 669)

Für andere Rechtsgeſchäfte, namentlich letztwillige Verfügun-
gen, Uebertragung von Grundeigenthum, Beſtellung von Hy-
potheken, Prädialſervituten u. ſ. w. haben die neuern Rechte
theils die Formen des römiſchen beibehalten, theils neue hinzu-
gefügt. Gerade bei ihnen ſtellt ſich wiederum das Verhältniß
zwiſchen Gewinn und Koſten beſonders günſtig. Denn einmal
hat für ſie die Form einen viel höhern Werth, als bei den Con-
tracten, 670) da letztere ihre Wirkungen auf die handelnden Per-
ſonen beſchränken und in verhältnißmäßig kurzer Zeit ſich er-
ſchöpfen, während jene ihre Wirkungen, ſowohl was die Zeit-
dauer derſelben als die davon betroffenen Perſonen anlangt,
möglicherweiſe ſehr weit ausdehnen können. In demſelben Ver-
hältniß wie dieſe Ausdehnung wächſt der Werth einer Be-
glaubigung des Rechtsgeſchäfts durch die Form. Andererſeits
aber ſind die Nachtheile hier wiederum weniger drückend. Denn
diejenigen Rechtsgeſchäfte, die ſich raſch conſumiren, wie z. B.
die Realcontracte, die Conſenſualcontracte mit Ausnahme der
Societät, werden auch regelmäßig ohne lange Vorbereitung ab-
geſchloſſen, ja ein durch eine ſchwerfällige Form veranlaßter

669) Aus dieſem Grunde verdient es alle Anerkennung, daß die augen-
blicklich in Nürnberg tagende Conferenz zur Abfaſſung eines gemeinſamen
deutſchen Handelsrechts, ſoweit es bis jetzt zur öffentlichen Kunde gekommen,
auf die kaufmänniſchen Verhältniſſe das Princip der Form in energiſcher
Weiſe zur Anwendung gebracht hat. Es iſt in der Beziehung vieles gut zu
machen!
670) Von der Eigenthumsübertragung beweglicher Sachen gilt etwas
ähnliches. Ich komme an einer andern Stelle (Abſchn. IV) darauf zurück.
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 34
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[529/0235] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. loſigkeit dieſes Circulationsmittels bedeutet, ſo wird man dies begreiflich finden. Sodann aber werden andererſeits die Nach- theile der Form dem Publikum, das vorzugsweiſe mit dem Wechſel operirt, d. h. den eigentlichen Geſchäftsleuten ungleich weniger fühlbar, als ſie es bei einer Ausdehnung der Form auf die Geſchäfte des gewöhnlichen Lebens dem Bürger und Bauer werden müßten. 669) Für andere Rechtsgeſchäfte, namentlich letztwillige Verfügun- gen, Uebertragung von Grundeigenthum, Beſtellung von Hy- potheken, Prädialſervituten u. ſ. w. haben die neuern Rechte theils die Formen des römiſchen beibehalten, theils neue hinzu- gefügt. Gerade bei ihnen ſtellt ſich wiederum das Verhältniß zwiſchen Gewinn und Koſten beſonders günſtig. Denn einmal hat für ſie die Form einen viel höhern Werth, als bei den Con- tracten, 670) da letztere ihre Wirkungen auf die handelnden Per- ſonen beſchränken und in verhältnißmäßig kurzer Zeit ſich er- ſchöpfen, während jene ihre Wirkungen, ſowohl was die Zeit- dauer derſelben als die davon betroffenen Perſonen anlangt, möglicherweiſe ſehr weit ausdehnen können. In demſelben Ver- hältniß wie dieſe Ausdehnung wächſt der Werth einer Be- glaubigung des Rechtsgeſchäfts durch die Form. Andererſeits aber ſind die Nachtheile hier wiederum weniger drückend. Denn diejenigen Rechtsgeſchäfte, die ſich raſch conſumiren, wie z. B. die Realcontracte, die Conſenſualcontracte mit Ausnahme der Societät, werden auch regelmäßig ohne lange Vorbereitung ab- geſchloſſen, ja ein durch eine ſchwerfällige Form veranlaßter 669) Aus dieſem Grunde verdient es alle Anerkennung, daß die augen- blicklich in Nürnberg tagende Conferenz zur Abfaſſung eines gemeinſamen deutſchen Handelsrechts, ſoweit es bis jetzt zur öffentlichen Kunde gekommen, auf die kaufmänniſchen Verhältniſſe das Princip der Form in energiſcher Weiſe zur Anwendung gebracht hat. Es iſt in der Beziehung vieles gut zu machen! 670) Von der Eigenthumsübertragung beweglicher Sachen gilt etwas ähnliches. Ich komme an einer andern Stelle (Abſchn. IV) darauf zurück. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 34

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/235>, abgerufen am 26.11.2024.