Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Aufschub könnte bei ihnen unter Umständen das Zustandekom-men geradezu verhindern. Nicht so bei denen, die ich oben ge- nannt habe. Sie drängen und eilen nicht so, regelmäßig geht ihrem Abschluß eine längere Zeit der Vorbereitung, Ueberlegung, Verhandlung voraus, und ob diese Zeit durch die Zuthat der Form um etwas vermehrt wird, fällt gar nicht ins Gewicht. Sodann endlich bietet das Leben zu ihnen bei weitem nicht den häufigen Anlaß; auf tausend Contracte kömmt vielleicht kaum ein Testament, auf hundert Eigenthumsübertragungen beweg- licher Sachen kaum eine von einer unbeweglichen Sache. Auf diese Weise erklärt und rechtfertigt sich auch der einfachere Zu- schnitt der römischen Stipulation gegenüber dem der Mancipa- tion und Abtretung vor Gericht; die formelle Differenz ent- sprach der materiellen. So variirt also das Werthverhältniß zwischen den Vorthei- Dieselbe Bemerkung gilt für die verschiedenen Entwicklungs- Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Aufſchub könnte bei ihnen unter Umſtänden das Zuſtandekom-men geradezu verhindern. Nicht ſo bei denen, die ich oben ge- nannt habe. Sie drängen und eilen nicht ſo, regelmäßig geht ihrem Abſchluß eine längere Zeit der Vorbereitung, Ueberlegung, Verhandlung voraus, und ob dieſe Zeit durch die Zuthat der Form um etwas vermehrt wird, fällt gar nicht ins Gewicht. Sodann endlich bietet das Leben zu ihnen bei weitem nicht den häufigen Anlaß; auf tauſend Contracte kömmt vielleicht kaum ein Teſtament, auf hundert Eigenthumsübertragungen beweg- licher Sachen kaum eine von einer unbeweglichen Sache. Auf dieſe Weiſe erklärt und rechtfertigt ſich auch der einfachere Zu- ſchnitt der römiſchen Stipulation gegenüber dem der Mancipa- tion und Abtretung vor Gericht; die formelle Differenz ent- ſprach der materiellen. So variirt alſo das Werthverhältniß zwiſchen den Vorthei- Dieſelbe Bemerkung gilt für die verſchiedenen Entwicklungs- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <p><pb facs="#f0236" n="530"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> Aufſchub könnte bei ihnen unter Umſtänden das Zuſtandekom-<lb/> men geradezu verhindern. Nicht ſo bei denen, die ich oben ge-<lb/> nannt habe. Sie drängen und eilen nicht ſo, regelmäßig geht<lb/> ihrem Abſchluß eine längere Zeit der Vorbereitung, Ueberlegung,<lb/> Verhandlung voraus, und ob dieſe Zeit durch die Zuthat der<lb/> Form um etwas vermehrt wird, fällt gar nicht ins Gewicht.<lb/> Sodann endlich bietet das Leben zu ihnen bei weitem nicht den<lb/> häufigen Anlaß; auf tauſend Contracte kömmt vielleicht kaum<lb/><hi rendition="#g">ein</hi> Teſtament, auf hundert Eigenthumsübertragungen beweg-<lb/> licher Sachen kaum eine von einer unbeweglichen Sache. Auf<lb/> dieſe Weiſe erklärt und rechtfertigt ſich auch der einfachere Zu-<lb/> ſchnitt der römiſchen Stipulation gegenüber dem der Mancipa-<lb/> tion und Abtretung vor Gericht; die formelle Differenz ent-<lb/> ſprach der materiellen.</p><lb/> <p>So variirt alſo das Werthverhältniß zwiſchen den Vorthei-<lb/> len und Nachtheilen des Formalismus nach Verſchiedenheit der<lb/> Rechtsinſtitute, und eine Form, die für das eine höchſt an-<lb/> gemeſſen iſt, würde für das andere das gerade Gegentheil ſein.</p><lb/> <p>Dieſelbe Bemerkung gilt für die verſchiedenen Entwicklungs-<lb/> ſtufen eines und deſſelben Rechts ſowie für die Rechte der ver-<lb/> ſchiedenen Völker. Hätten die Römer den Druck ihres Formen-<lb/> weſens in dem Maße empfunden, wie wir ihn empfinden müß-<lb/> ten, ſie würden ſich deſſelben im Ganzen und Vollen nicht min-<lb/> der entledigt haben, als ſie es in einzelnen Theilen wie z. B. bei<lb/> dem Legisactionenproceß und ſpäter bei den Formeln letztwilli-<lb/> ger Verfügungen in Wirklichkeit gethan haben. Der Druck<lb/> kann alſo für ſie kein ſo ſchwerer geweſen ſein, und dies führt<lb/> uns auf zwei Umſtände, welche ebenſowohl für die relative<lb/> Natur des Formalismus im allgemeinen, als für das ſpecielle<lb/> Verſtändniß des römiſchen Formalismus von hoher Bedeutung<lb/> ſind. Der erſte iſt die bereits früher (S. 436 u. fl.) mit beſon-<lb/> derem Hinblick auf den Formalismus beſprochene Stellung der<lb/> römiſchen Jurisprudenz zum Volk, die Allgegenwart der Juriſten<lb/> im Leben und die Unentgeltlichkeit ihrer Dienſtleiſtungen. Wie<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [530/0236]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Aufſchub könnte bei ihnen unter Umſtänden das Zuſtandekom-
men geradezu verhindern. Nicht ſo bei denen, die ich oben ge-
nannt habe. Sie drängen und eilen nicht ſo, regelmäßig geht
ihrem Abſchluß eine längere Zeit der Vorbereitung, Ueberlegung,
Verhandlung voraus, und ob dieſe Zeit durch die Zuthat der
Form um etwas vermehrt wird, fällt gar nicht ins Gewicht.
Sodann endlich bietet das Leben zu ihnen bei weitem nicht den
häufigen Anlaß; auf tauſend Contracte kömmt vielleicht kaum
ein Teſtament, auf hundert Eigenthumsübertragungen beweg-
licher Sachen kaum eine von einer unbeweglichen Sache. Auf
dieſe Weiſe erklärt und rechtfertigt ſich auch der einfachere Zu-
ſchnitt der römiſchen Stipulation gegenüber dem der Mancipa-
tion und Abtretung vor Gericht; die formelle Differenz ent-
ſprach der materiellen.
So variirt alſo das Werthverhältniß zwiſchen den Vorthei-
len und Nachtheilen des Formalismus nach Verſchiedenheit der
Rechtsinſtitute, und eine Form, die für das eine höchſt an-
gemeſſen iſt, würde für das andere das gerade Gegentheil ſein.
Dieſelbe Bemerkung gilt für die verſchiedenen Entwicklungs-
ſtufen eines und deſſelben Rechts ſowie für die Rechte der ver-
ſchiedenen Völker. Hätten die Römer den Druck ihres Formen-
weſens in dem Maße empfunden, wie wir ihn empfinden müß-
ten, ſie würden ſich deſſelben im Ganzen und Vollen nicht min-
der entledigt haben, als ſie es in einzelnen Theilen wie z. B. bei
dem Legisactionenproceß und ſpäter bei den Formeln letztwilli-
ger Verfügungen in Wirklichkeit gethan haben. Der Druck
kann alſo für ſie kein ſo ſchwerer geweſen ſein, und dies führt
uns auf zwei Umſtände, welche ebenſowohl für die relative
Natur des Formalismus im allgemeinen, als für das ſpecielle
Verſtändniß des römiſchen Formalismus von hoher Bedeutung
ſind. Der erſte iſt die bereits früher (S. 436 u. fl.) mit beſon-
derem Hinblick auf den Formalismus beſprochene Stellung der
römiſchen Jurisprudenz zum Volk, die Allgegenwart der Juriſten
im Leben und die Unentgeltlichkeit ihrer Dienſtleiſtungen. Wie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |