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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
der Arrogation die 30 Curien repräsentirten, eine symbolische
Volksversammlung nennen. Dagegen war es eine symbolische
Handlung, wenn der Sklav bei der Freilassung sich herum-
drehen mußte, denn diese Veränderung seiner äußern Stel-
lung
(des status im natürlichen Sinn) sollte ein Zeichen sein
für die seiner inneren (des status im juristischen Sinn). Ich
will übrigens nicht verkennen, daß sich die Gränzen zwischen
den symbolischen und repräsentativen Handlungen im einzelnen
Fall sehr verwischen können, allein es kömmt auch weniger auf
die Durchführung, als die Aufstellung des Unterschie-
des an; welches Interesse sich daran knüpft, wird aus dem Fol-
genden klar werden.

Symbole und symbolische Handlungen sind nun, wie oben
bemerkt, recht eigentlich die Sprache des naiven Geistes -- eine
Hieroglyphenschrift, deren er sich bedient, weil er die Buch-
stabenschrift der abstracten Darstellung noch nicht erfunden,
und darum fällt die Blüthezeit derselben in die naive Periode.
Allein es ist doch nicht die Noth allein, die ihn zu dieser
Zeichensprache seine Zuflucht nehmen läßt, nicht das bloße Un-
vermögen oder die Unbeholfenheit des abstracten Ausdrucks,
sondern es ist zugleich das sinnige Behagen, das poetische
Wohlgefallen an der sinnlichen Gestaltung des Geistigen, es ist
der Reiz der Plastik des Gedankens. Dies ergibt sich
aus Folgendem. Zuerst daraus, daß wir jene Darstellungsweise
keineswegs bloß bei solchen Gedanken antreffen, die durch ihre
Tiefe zum Gebrauch derselben nöthigten. Der geistige Kern ist
nicht selten ein so platter und dürftiger, daß auch die Mittel
einer noch so wenig entwickelten Sprache zur Formulirung des-
selben vollkommen ausgereicht haben würden. Ja manche For-
men -- ich erinnere z. B. an die repräsentativen -- schließen
überhaupt gar keinen Gedanken in sich. Und sodann: wäre es
bloß jener Grund allein gewesen, so müßte der Fortschritt der
geistigen Entwicklung oder, was dasselbe, die Ausbildung der
Sprache -- denn was der Geist erwirbt, bucht die letztere --

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
der Arrogation die 30 Curien repräſentirten, eine ſymboliſche
Volksverſammlung nennen. Dagegen war es eine ſymboliſche
Handlung, wenn der Sklav bei der Freilaſſung ſich herum-
drehen mußte, denn dieſe Veränderung ſeiner äußern Stel-
lung
(des status im natürlichen Sinn) ſollte ein Zeichen ſein
für die ſeiner inneren (des status im juriſtiſchen Sinn). Ich
will übrigens nicht verkennen, daß ſich die Gränzen zwiſchen
den ſymboliſchen und repräſentativen Handlungen im einzelnen
Fall ſehr verwiſchen können, allein es kömmt auch weniger auf
die Durchführung, als die Aufſtellung des Unterſchie-
des an; welches Intereſſe ſich daran knüpft, wird aus dem Fol-
genden klar werden.

Symbole und ſymboliſche Handlungen ſind nun, wie oben
bemerkt, recht eigentlich die Sprache des naiven Geiſtes — eine
Hieroglyphenſchrift, deren er ſich bedient, weil er die Buch-
ſtabenſchrift der abſtracten Darſtellung noch nicht erfunden,
und darum fällt die Blüthezeit derſelben in die naive Periode.
Allein es iſt doch nicht die Noth allein, die ihn zu dieſer
Zeichenſprache ſeine Zuflucht nehmen läßt, nicht das bloße Un-
vermögen oder die Unbeholfenheit des abſtracten Ausdrucks,
ſondern es iſt zugleich das ſinnige Behagen, das poetiſche
Wohlgefallen an der ſinnlichen Geſtaltung des Geiſtigen, es iſt
der Reiz der Plaſtik des Gedankens. Dies ergibt ſich
aus Folgendem. Zuerſt daraus, daß wir jene Darſtellungsweiſe
keineswegs bloß bei ſolchen Gedanken antreffen, die durch ihre
Tiefe zum Gebrauch derſelben nöthigten. Der geiſtige Kern iſt
nicht ſelten ein ſo platter und dürftiger, daß auch die Mittel
einer noch ſo wenig entwickelten Sprache zur Formulirung deſ-
ſelben vollkommen ausgereicht haben würden. Ja manche For-
men — ich erinnere z. B. an die repräſentativen — ſchließen
überhaupt gar keinen Gedanken in ſich. Und ſodann: wäre es
bloß jener Grund allein geweſen, ſo müßte der Fortſchritt der
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Sprache — denn was der Geiſt erwirbt, bucht die letztere —

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[535/0241] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. der Arrogation die 30 Curien repräſentirten, eine ſymboliſche Volksverſammlung nennen. Dagegen war es eine ſymboliſche Handlung, wenn der Sklav bei der Freilaſſung ſich herum- drehen mußte, denn dieſe Veränderung ſeiner äußern Stel- lung (des status im natürlichen Sinn) ſollte ein Zeichen ſein für die ſeiner inneren (des status im juriſtiſchen Sinn). Ich will übrigens nicht verkennen, daß ſich die Gränzen zwiſchen den ſymboliſchen und repräſentativen Handlungen im einzelnen Fall ſehr verwiſchen können, allein es kömmt auch weniger auf die Durchführung, als die Aufſtellung des Unterſchie- des an; welches Intereſſe ſich daran knüpft, wird aus dem Fol- genden klar werden. Symbole und ſymboliſche Handlungen ſind nun, wie oben bemerkt, recht eigentlich die Sprache des naiven Geiſtes — eine Hieroglyphenſchrift, deren er ſich bedient, weil er die Buch- ſtabenſchrift der abſtracten Darſtellung noch nicht erfunden, und darum fällt die Blüthezeit derſelben in die naive Periode. Allein es iſt doch nicht die Noth allein, die ihn zu dieſer Zeichenſprache ſeine Zuflucht nehmen läßt, nicht das bloße Un- vermögen oder die Unbeholfenheit des abſtracten Ausdrucks, ſondern es iſt zugleich das ſinnige Behagen, das poetiſche Wohlgefallen an der ſinnlichen Geſtaltung des Geiſtigen, es iſt der Reiz der Plaſtik des Gedankens. Dies ergibt ſich aus Folgendem. Zuerſt daraus, daß wir jene Darſtellungsweiſe keineswegs bloß bei ſolchen Gedanken antreffen, die durch ihre Tiefe zum Gebrauch derſelben nöthigten. Der geiſtige Kern iſt nicht ſelten ein ſo platter und dürftiger, daß auch die Mittel einer noch ſo wenig entwickelten Sprache zur Formulirung deſ- ſelben vollkommen ausgereicht haben würden. Ja manche For- men — ich erinnere z. B. an die repräſentativen — ſchließen überhaupt gar keinen Gedanken in ſich. Und ſodann: wäre es bloß jener Grund allein geweſen, ſo müßte der Fortſchritt der geiſtigen Entwicklung oder, was daſſelbe, die Ausbildung der Sprache — denn was der Geiſt erwirbt, bucht die letztere —

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/241>, abgerufen am 12.05.2024.