Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
das unvermerkt keimt und sproßt, und dem Geist wenn auch
kein klares Bewußtsein, so doch eine dunkle Ahnung zuführt,
das Gemüth stimmt, die Phantasie in Bewegung setzt.

Zeichen und Handlungen, die diesen Zweck haben, einen
geistigen Inhalt sinnlich darzustellen, heißen bekanntlich sym-
bolische
. Symbol ist ein sinnliches Ausdrucksmittel für et-
was Uebersinnliches; wo das Auszudrückende seinerseits
wieder etwas Sinnliches ist, wie z. B. wenn im römischen
Recht 672) bei der Vindication das Grundstück durch eine Scholle
oder im germanischen Recht bei der Tradition durch Rasen und
Zweig 673) vertreten wird (Pars pro toto), sollte man, wenn
man genau sprechen wollte, den Ausdruck vermeiden (sonst
könnte man auch das Gemählde, die Skizze ein Symbol
des Gegenstandes nennen, den sie darstellen sollen), und ich
werde für diese letztere Art im Folgenden den Ausdruck: re-
präsentative
Darstellung gebrauchen. Der Speer war ein
Symbol des Eigenthums, denn er drückte etwas Inneres,
Geistiges aus: die rechtliche Macht und Herrschaft des Eigen-
thümers, dagegen der Stab, dessen man sich an seiner Statt be-
diente, kein Symbol, sondern ein Repräsentant, ein Surrogat
des Speeres. 674) Ebenso war der Scheingang zum Grundstück,
zu dem der Prätor bei der Vindication die Partheien auffor-
derte, 675) keine symbolische Handlung, sondern eine Schein-
handlung (§. 46), sie sollte etwas Aeußeres: das wirkliche
Gehen zum Grundstück vorstellen und ersetzen. Ebensowenig
verdient daher das Geschäft per aes et libram den Namen einer
symbolischen Zahlung, denn das, was hier angedeutet werden
soll: eine Zahlung in alter Form ist wiederum etwas Aeußeres.
Man müßte sonst die 30 Lictoren, welche in späterer Zeit bei

672) Gaj. IV, 17.
673) Michelsen über die festuca notata und die germanische Traditions-
symbolik. Jena 1856.
674) Gaj. IV, 16.
675) Cic. pro Murena 12: Inite viam ... redite viam.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
das unvermerkt keimt und ſproßt, und dem Geiſt wenn auch
kein klares Bewußtſein, ſo doch eine dunkle Ahnung zuführt,
das Gemüth ſtimmt, die Phantaſie in Bewegung ſetzt.

Zeichen und Handlungen, die dieſen Zweck haben, einen
geiſtigen Inhalt ſinnlich darzuſtellen, heißen bekanntlich ſym-
boliſche
. Symbol iſt ein ſinnliches Ausdrucksmittel für et-
was Ueberſinnliches; wo das Auszudrückende ſeinerſeits
wieder etwas Sinnliches iſt, wie z. B. wenn im römiſchen
Recht 672) bei der Vindication das Grundſtück durch eine Scholle
oder im germaniſchen Recht bei der Tradition durch Raſen und
Zweig 673) vertreten wird (Pars pro toto), ſollte man, wenn
man genau ſprechen wollte, den Ausdruck vermeiden (ſonſt
könnte man auch das Gemählde, die Skizze ein Symbol
des Gegenſtandes nennen, den ſie darſtellen ſollen), und ich
werde für dieſe letztere Art im Folgenden den Ausdruck: re-
präſentative
Darſtellung gebrauchen. Der Speer war ein
Symbol des Eigenthums, denn er drückte etwas Inneres,
Geiſtiges aus: die rechtliche Macht und Herrſchaft des Eigen-
thümers, dagegen der Stab, deſſen man ſich an ſeiner Statt be-
diente, kein Symbol, ſondern ein Repräſentant, ein Surrogat
des Speeres. 674) Ebenſo war der Scheingang zum Grundſtück,
zu dem der Prätor bei der Vindication die Partheien auffor-
derte, 675) keine ſymboliſche Handlung, ſondern eine Schein-
handlung (§. 46), ſie ſollte etwas Aeußeres: das wirkliche
Gehen zum Grundſtück vorſtellen und erſetzen. Ebenſowenig
verdient daher das Geſchäft per aes et libram den Namen einer
ſymboliſchen Zahlung, denn das, was hier angedeutet werden
ſoll: eine Zahlung in alter Form iſt wiederum etwas Aeußeres.
Man müßte ſonſt die 30 Lictoren, welche in ſpäterer Zeit bei

672) Gaj. IV, 17.
673) Michelſen über die festuca notata und die germaniſche Traditions-
ſymbolik. Jena 1856.
674) Gaj. IV, 16.
675) Cic. pro Murena 12: Inite viam … redite viam.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0240" n="534"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juri&#x017F;t. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/>
das unvermerkt keimt und &#x017F;proßt, und dem Gei&#x017F;t wenn auch<lb/>
kein klares Bewußt&#x017F;ein, &#x017F;o doch eine dunkle Ahnung zuführt,<lb/>
das Gemüth &#x017F;timmt, die Phanta&#x017F;ie in Bewegung &#x017F;etzt.</p><lb/>
                      <p>Zeichen und Handlungen, die die&#x017F;en Zweck haben, einen<lb/>
gei&#x017F;tigen Inhalt &#x017F;innlich darzu&#x017F;tellen, heißen bekanntlich <hi rendition="#g">&#x017F;ym-<lb/>
boli&#x017F;che</hi>. Symbol i&#x017F;t ein &#x017F;innliches Ausdrucksmittel für et-<lb/>
was <hi rendition="#g">Ueber&#x017F;innliches</hi>; wo das Auszudrückende &#x017F;einer&#x017F;eits<lb/>
wieder etwas <hi rendition="#g">Sinnliches</hi> i&#x017F;t, wie z. B. wenn im römi&#x017F;chen<lb/>
Recht <note place="foot" n="672)"><hi rendition="#aq">Gaj. IV,</hi> 17.</note> bei der Vindication das Grund&#x017F;tück durch eine Scholle<lb/>
oder im germani&#x017F;chen Recht bei der Tradition durch Ra&#x017F;en und<lb/>
Zweig <note place="foot" n="673)">Michel&#x017F;en über die <hi rendition="#aq">festuca notata</hi> und die germani&#x017F;che Traditions-<lb/>
&#x017F;ymbolik. Jena 1856.</note> vertreten wird (<hi rendition="#aq">Pars pro toto</hi>), &#x017F;ollte man, wenn<lb/>
man genau &#x017F;prechen wollte, den Ausdruck vermeiden (&#x017F;on&#x017F;t<lb/>
könnte man auch das Gemählde, die Skizze ein Symbol<lb/>
des Gegen&#x017F;tandes nennen, den &#x017F;ie dar&#x017F;tellen &#x017F;ollen), und ich<lb/>
werde für die&#x017F;e letztere Art im Folgenden den Ausdruck: <hi rendition="#g">re-<lb/>
prä&#x017F;entative</hi> Dar&#x017F;tellung gebrauchen. Der Speer war ein<lb/><hi rendition="#g">Symbol</hi> des Eigenthums, denn er drückte etwas Inneres,<lb/>
Gei&#x017F;tiges aus: die rechtliche Macht und Herr&#x017F;chaft des Eigen-<lb/>
thümers, dagegen der Stab, de&#x017F;&#x017F;en man &#x017F;ich an &#x017F;einer Statt be-<lb/>
diente, kein Symbol, &#x017F;ondern ein Reprä&#x017F;entant, ein Surrogat<lb/>
des Speeres. <note place="foot" n="674)"><hi rendition="#aq">Gaj. IV,</hi> 16.</note> Eben&#x017F;o war der Scheingang zum Grund&#x017F;tück,<lb/>
zu dem der Prätor bei der Vindication die Partheien auffor-<lb/>
derte, <note place="foot" n="675)"><hi rendition="#aq">Cic. pro Murena 12: Inite viam &#x2026; redite viam.</hi></note> keine &#x017F;ymboli&#x017F;che Handlung, &#x017F;ondern eine Schein-<lb/>
handlung (§. 46), &#x017F;ie &#x017F;ollte etwas <hi rendition="#g">Aeußeres</hi>: das wirkliche<lb/>
Gehen zum Grund&#x017F;tück vor&#x017F;tellen und er&#x017F;etzen. Eben&#x017F;owenig<lb/>
verdient daher das Ge&#x017F;chäft <hi rendition="#aq">per aes et libram</hi> den Namen einer<lb/>
&#x017F;ymboli&#x017F;chen Zahlung, denn das, was hier angedeutet werden<lb/>
&#x017F;oll: eine Zahlung in alter Form i&#x017F;t wiederum etwas Aeußeres.<lb/>
Man müßte &#x017F;on&#x017F;t die 30 Lictoren, welche in &#x017F;päterer Zeit bei<lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[534/0240] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. das unvermerkt keimt und ſproßt, und dem Geiſt wenn auch kein klares Bewußtſein, ſo doch eine dunkle Ahnung zuführt, das Gemüth ſtimmt, die Phantaſie in Bewegung ſetzt. Zeichen und Handlungen, die dieſen Zweck haben, einen geiſtigen Inhalt ſinnlich darzuſtellen, heißen bekanntlich ſym- boliſche. Symbol iſt ein ſinnliches Ausdrucksmittel für et- was Ueberſinnliches; wo das Auszudrückende ſeinerſeits wieder etwas Sinnliches iſt, wie z. B. wenn im römiſchen Recht 672) bei der Vindication das Grundſtück durch eine Scholle oder im germaniſchen Recht bei der Tradition durch Raſen und Zweig 673) vertreten wird (Pars pro toto), ſollte man, wenn man genau ſprechen wollte, den Ausdruck vermeiden (ſonſt könnte man auch das Gemählde, die Skizze ein Symbol des Gegenſtandes nennen, den ſie darſtellen ſollen), und ich werde für dieſe letztere Art im Folgenden den Ausdruck: re- präſentative Darſtellung gebrauchen. Der Speer war ein Symbol des Eigenthums, denn er drückte etwas Inneres, Geiſtiges aus: die rechtliche Macht und Herrſchaft des Eigen- thümers, dagegen der Stab, deſſen man ſich an ſeiner Statt be- diente, kein Symbol, ſondern ein Repräſentant, ein Surrogat des Speeres. 674) Ebenſo war der Scheingang zum Grundſtück, zu dem der Prätor bei der Vindication die Partheien auffor- derte, 675) keine ſymboliſche Handlung, ſondern eine Schein- handlung (§. 46), ſie ſollte etwas Aeußeres: das wirkliche Gehen zum Grundſtück vorſtellen und erſetzen. Ebenſowenig verdient daher das Geſchäft per aes et libram den Namen einer ſymboliſchen Zahlung, denn das, was hier angedeutet werden ſoll: eine Zahlung in alter Form iſt wiederum etwas Aeußeres. Man müßte ſonſt die 30 Lictoren, welche in ſpäterer Zeit bei 672) Gaj. IV, 17. 673) Michelſen über die festuca notata und die germaniſche Traditions- ſymbolik. Jena 1856. 674) Gaj. IV, 16. 675) Cic. pro Murena 12: Inite viam … redite viam.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/240
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/240>, abgerufen am 12.05.2024.