Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. nothwendiges Entwicklungsmoment in der Bildungsgeschichtedes menschlichen Geistes. Wie der in den Banden des sinn- lichen Denkens befangene Geist überall, wo es die Darstellung eines Innerlichen gilt, zu sinnlichen Ausdrucksmitteln seine Zuflucht nimmt, zu Bildern in der Sprache, zu Personi- ficationen in seiner Natur- und religiösen Anschauung, zu Emblemen, Symbolen u. s. w., so benutzt er auch die Handlung, um seinen Gefühlen, Stimmungen, Ahnungen, Entschlüssen eine sinnlich-substantielle, plastische Gestalt zu geben. So wird ihm das Unsichtbare sichtbar, das Ferne nahe, das Tiefe an die Oberfläche gerückt. Dies ist die Sprache, die er versteht, und durch die er die Unbehülflichkeit im abstracten Denken und Reden ausgleicht. Und eben weil sie ihm na- türlich und nothwendig ist, gelingt ihm die Darstellung in und mit ihr in einer Weise, mit der alle Kunst und Ueber- legung der abstracten Periode sich nicht messen kann. Ein ein- ziges Zeichen erschließt ihm das Wesen des Verhältnisses oft besser und hält es ihm gegenwärtiger und geläufiger, als alle Worte es vermöchten. In den Fasces und den Beilen der rö- mischen Consuln steckte sowohl für sie selbst als für das Volk ein sehr beträchtliches Stück von dem Consulate -- es erinnerte beide beständig an das, was es bedeutete Consul zu sein, und ich glaube, es ist nicht zu viel gesagt, daß ohne jenes Attribut der Geist, in dem die Consuln ihre Macht gehandhabt, die Stellung, die sie dem Volk gegenüber einnahmen, und damit die Geschichte des Consulats und des ganzen Staats eine an- dere geworden wäre. Jene sinnlichen Ausdrucksmittel sind die Hülle, in der Gedanken, Ideen, Anschauungen, kurz ein geisti- ger Kern einem Organismus zugeführt werden kann, der ihn in seiner nackten Gestalt sich anzueignen noch nicht befähigt wäre. Was er ergreift und faßt, ist allerdings zunächst nur das Aeußere, die Schale, allein unbewußt hat er in ihr ein geistiges Samenkorn in sich aufgenommen, das auch in unfruchtbarster Erde auf die Dauer nicht regungslos verharren kann, sondern Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. nothwendiges Entwicklungsmoment in der Bildungsgeſchichtedes menſchlichen Geiſtes. Wie der in den Banden des ſinn- lichen Denkens befangene Geiſt überall, wo es die Darſtellung eines Innerlichen gilt, zu ſinnlichen Ausdrucksmitteln ſeine Zuflucht nimmt, zu Bildern in der Sprache, zu Perſoni- ficationen in ſeiner Natur- und religiöſen Anſchauung, zu Emblemen, Symbolen u. ſ. w., ſo benutzt er auch die Handlung, um ſeinen Gefühlen, Stimmungen, Ahnungen, Entſchlüſſen eine ſinnlich-ſubſtantielle, plaſtiſche Geſtalt zu geben. So wird ihm das Unſichtbare ſichtbar, das Ferne nahe, das Tiefe an die Oberfläche gerückt. Dies iſt die Sprache, die er verſteht, und durch die er die Unbehülflichkeit im abſtracten Denken und Reden ausgleicht. Und eben weil ſie ihm na- türlich und nothwendig iſt, gelingt ihm die Darſtellung in und mit ihr in einer Weiſe, mit der alle Kunſt und Ueber- legung der abſtracten Periode ſich nicht meſſen kann. Ein ein- ziges Zeichen erſchließt ihm das Weſen des Verhältniſſes oft beſſer und hält es ihm gegenwärtiger und geläufiger, als alle Worte es vermöchten. In den Fasces und den Beilen der rö- miſchen Conſuln ſteckte ſowohl für ſie ſelbſt als für das Volk ein ſehr beträchtliches Stück von dem Conſulate — es erinnerte beide beſtändig an das, was es bedeutete Conſul zu ſein, und ich glaube, es iſt nicht zu viel geſagt, daß ohne jenes Attribut der Geiſt, in dem die Conſuln ihre Macht gehandhabt, die Stellung, die ſie dem Volk gegenüber einnahmen, und damit die Geſchichte des Conſulats und des ganzen Staats eine an- dere geworden wäre. Jene ſinnlichen Ausdrucksmittel ſind die Hülle, in der Gedanken, Ideen, Anſchauungen, kurz ein geiſti- ger Kern einem Organismus zugeführt werden kann, der ihn in ſeiner nackten Geſtalt ſich anzueignen noch nicht befähigt wäre. Was er ergreift und faßt, iſt allerdings zunächſt nur das Aeußere, die Schale, allein unbewußt hat er in ihr ein geiſtiges Samenkorn in ſich aufgenommen, das auch in unfruchtbarſter Erde auf die Dauer nicht regungslos verharren kann, ſondern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0239" n="533"/><fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Formalismus. §. 45.</fw><lb/> nothwendiges Entwicklungsmoment in der Bildungsgeſchichte<lb/> des menſchlichen Geiſtes. 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des menſchlichen Geiſtes. Wie der in den Banden des ſinn-
lichen Denkens befangene Geiſt überall, wo es die Darſtellung
eines Innerlichen gilt, zu ſinnlichen Ausdrucksmitteln ſeine
Zuflucht nimmt, zu Bildern in der Sprache, zu Perſoni-
ficationen in ſeiner Natur- und religiöſen Anſchauung, zu
Emblemen, Symbolen u. ſ. w., ſo benutzt er auch die
Handlung, um ſeinen Gefühlen, Stimmungen, Ahnungen,
Entſchlüſſen eine ſinnlich-ſubſtantielle, plaſtiſche Geſtalt zu
geben. So wird ihm das Unſichtbare ſichtbar, das Ferne nahe,
das Tiefe an die Oberfläche gerückt. Dies iſt die Sprache, die
er verſteht, und durch die er die Unbehülflichkeit im abſtracten
Denken und Reden ausgleicht. Und eben weil ſie ihm na-
türlich und nothwendig iſt, gelingt ihm die Darſtellung in
und mit ihr in einer Weiſe, mit der alle Kunſt und Ueber-
legung der abſtracten Periode ſich nicht meſſen kann. Ein ein-
ziges Zeichen erſchließt ihm das Weſen des Verhältniſſes oft
beſſer und hält es ihm gegenwärtiger und geläufiger, als alle
Worte es vermöchten. In den Fasces und den Beilen der rö-
miſchen Conſuln ſteckte ſowohl für ſie ſelbſt als für das Volk
ein ſehr beträchtliches Stück von dem Conſulate — es erinnerte
beide beſtändig an das, was es bedeutete Conſul zu ſein, und
ich glaube, es iſt nicht zu viel geſagt, daß ohne jenes Attribut
der Geiſt, in dem die Conſuln ihre Macht gehandhabt, die
Stellung, die ſie dem Volk gegenüber einnahmen, und damit
die Geſchichte des Conſulats und des ganzen Staats eine an-
dere geworden wäre. Jene ſinnlichen Ausdrucksmittel ſind die
Hülle, in der Gedanken, Ideen, Anſchauungen, kurz ein geiſti-
ger Kern einem Organismus zugeführt werden kann, der ihn
in ſeiner nackten Geſtalt ſich anzueignen noch nicht befähigt
wäre. Was er ergreift und faßt, iſt allerdings zunächſt nur das
Aeußere, die Schale, allein unbewußt hat er in ihr ein geiſtiges
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