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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem.
wie der, den Euklid und Archimedes in der Mathematik verfolgt
haben, ein griechischer. Hätten nicht die Römer ihn entdeckt oder
richtiger uns ihn geebnet, so würde ein anderes Volk es gethan
haben, denn jedes Recht wird mit Nothwendigkeit in ihn hin-
eingetrieben. Die Ansätze zur juristischen Methode finden sich
überall und der Ruhm der Römer besteht nur darin, daß sie es
nicht bei bloßen Ansätzen haben bewenden lassen. Die juri-
stische Methode ist nicht etwas von außen ins Recht
Hineingetragenes, sondern die mit innerer Noth-
wendigkeit durch das Recht selbst gesetzte einzige
Art und Weise einer sicheren praktischen Beherr-
schung des Rechts
. Das Historische dabei ist nicht sie selbst,
sondern das Geschick und Talent, mit dem sie von diesem oder
jenem Volk gehandhabt wird.


Es ist eine bekannte sich überall wiederholende Erscheinung,
daß das Recht, wenn es eine gewisse Bildungsstufe erreicht, sich
der Kenntniß der Masse mehr und mehr entzieht und Gegenstand
eines besonderen Studiums wird. Nicht gerade eines gelehrten
oder Schulunterrichts, sondern das Wesentliche ist, daß die
nöthige Vertrautheit mit dem Recht, die früher einem Jeden
mühelos zufiel, jetzt eine besondere Aufmerksamkeit, Absicht, An-
strengung voraussetzt, und da nicht ein Jeder diese Arbeit daran
setzen kann, daß sich rücksichtlich der Rechtskenntniß mehr und
mehr ein Gegensatz ausbildet, den wir in seiner schließlichen
Gestalt als Gegensatz des Juristen und Laien bezeichnen. Das
historische Auftreten des Juristen bekundet die Thatsache, daß
das Recht die Periode der Kindheit und der naiven Existenz zu-
rückgelegt hat; der Jurist ist der unvermeidliche Herold dieses
Wendepunktes im Leben des Rechts. Aber nicht der Jurist ruft
den Wendepunkt, sondern der Wendepunkt den Juristen her-

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem.
wie der, den Euklid und Archimedes in der Mathematik verfolgt
haben, ein griechiſcher. Hätten nicht die Römer ihn entdeckt oder
richtiger uns ihn geebnet, ſo würde ein anderes Volk es gethan
haben, denn jedes Recht wird mit Nothwendigkeit in ihn hin-
eingetrieben. Die Anſätze zur juriſtiſchen Methode finden ſich
überall und der Ruhm der Römer beſteht nur darin, daß ſie es
nicht bei bloßen Anſätzen haben bewenden laſſen. Die juri-
ſtiſche Methode iſt nicht etwas von außen ins Recht
Hineingetragenes, ſondern die mit innerer Noth-
wendigkeit durch das Recht ſelbſt geſetzte einzige
Art und Weiſe einer ſicheren praktiſchen Beherr-
ſchung des Rechts
. Das Hiſtoriſche dabei iſt nicht ſie ſelbſt,
ſondern das Geſchick und Talent, mit dem ſie von dieſem oder
jenem Volk gehandhabt wird.


Es iſt eine bekannte ſich überall wiederholende Erſcheinung,
daß das Recht, wenn es eine gewiſſe Bildungsſtufe erreicht, ſich
der Kenntniß der Maſſe mehr und mehr entzieht und Gegenſtand
eines beſonderen Studiums wird. Nicht gerade eines gelehrten
oder Schulunterrichts, ſondern das Weſentliche iſt, daß die
nöthige Vertrautheit mit dem Recht, die früher einem Jeden
mühelos zufiel, jetzt eine beſondere Aufmerkſamkeit, Abſicht, An-
ſtrengung vorausſetzt, und da nicht ein Jeder dieſe Arbeit daran
ſetzen kann, daß ſich rückſichtlich der Rechtskenntniß mehr und
mehr ein Gegenſatz ausbildet, den wir in ſeiner ſchließlichen
Geſtalt als Gegenſatz des Juriſten und Laien bezeichnen. Das
hiſtoriſche Auftreten des Juriſten bekundet die Thatſache, daß
das Recht die Periode der Kindheit und der naiven Exiſtenz zu-
rückgelegt hat; der Juriſt iſt der unvermeidliche Herold dieſes
Wendepunktes im Leben des Rechts. Aber nicht der Juriſt ruft
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[324/0030] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem. wie der, den Euklid und Archimedes in der Mathematik verfolgt haben, ein griechiſcher. Hätten nicht die Römer ihn entdeckt oder richtiger uns ihn geebnet, ſo würde ein anderes Volk es gethan haben, denn jedes Recht wird mit Nothwendigkeit in ihn hin- eingetrieben. Die Anſätze zur juriſtiſchen Methode finden ſich überall und der Ruhm der Römer beſteht nur darin, daß ſie es nicht bei bloßen Anſätzen haben bewenden laſſen. Die juri- ſtiſche Methode iſt nicht etwas von außen ins Recht Hineingetragenes, ſondern die mit innerer Noth- wendigkeit durch das Recht ſelbſt geſetzte einzige Art und Weiſe einer ſicheren praktiſchen Beherr- ſchung des Rechts. Das Hiſtoriſche dabei iſt nicht ſie ſelbſt, ſondern das Geſchick und Talent, mit dem ſie von dieſem oder jenem Volk gehandhabt wird. Es iſt eine bekannte ſich überall wiederholende Erſcheinung, daß das Recht, wenn es eine gewiſſe Bildungsſtufe erreicht, ſich der Kenntniß der Maſſe mehr und mehr entzieht und Gegenſtand eines beſonderen Studiums wird. Nicht gerade eines gelehrten oder Schulunterrichts, ſondern das Weſentliche iſt, daß die nöthige Vertrautheit mit dem Recht, die früher einem Jeden mühelos zufiel, jetzt eine beſondere Aufmerkſamkeit, Abſicht, An- ſtrengung vorausſetzt, und da nicht ein Jeder dieſe Arbeit daran ſetzen kann, daß ſich rückſichtlich der Rechtskenntniß mehr und mehr ein Gegenſatz ausbildet, den wir in ſeiner ſchließlichen Geſtalt als Gegenſatz des Juriſten und Laien bezeichnen. Das hiſtoriſche Auftreten des Juriſten bekundet die Thatſache, daß das Recht die Periode der Kindheit und der naiven Exiſtenz zu- rückgelegt hat; der Juriſt iſt der unvermeidliche Herold dieſes Wendepunktes im Leben des Rechts. Aber nicht der Juriſt ruft den Wendepunkt, ſondern der Wendepunkt den Juriſten her-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/30>, abgerufen am 28.04.2024.